Am 21. Mai 1938 gelingt den Schweizern der erste Sieg über England. In Zürich werden die Engländer mit allen Stars (Hapgood, Young, Matthews, Boulden und Bastin) mit 2:1 besiegt. Dieser grandiose Erfolg macht Mut für die WM in Paris. Dort heisst der erste Gegner Deutschland. Besser: Grossdeutschland.
Die Stimmung ist aufgeheizt. Rund zwei Monate vorher ist Deutschland in Österreich einmarschiert. Die sportliche Folge der politischen Aktion: Wiens Ballartisten werden ins deutsche Rumpelfussball-Nationalteam eingebaut. Es gibt System- und Spielkultur-Schwierigkeiten. Nach dem schmählichen Scheitern beim Olympischen Turnier von 1936 (0:2 gegen Norwegen) ist Nationaltrainer Professor Otto Nerz durch Sepp Herberger ersetzt worden.
Deutschland hat sich in einer Gruppe mit Schweden, Estland und Finnland für die WM qualifiziert. Die Schweiz fährt dank einem 2:1 gegen Portugal nach Paris. Die Spieler kassieren für die WM-Qualifikation eine Prämie von 100 Franken.
Es geht gleich im K.o.-System los. Das Achtelfinale findet am 4. Juni 1938 vor 30'000 Zuschauern im Prinzenpark-Stadion in Paris statt. Es ist das offizielle WM-Eröffnungsspiel. Deutschland, der haushohe Favorit, setzt sechs Deutsche und fünf Österreicher ein. Der Belgier Jean Langenus leitet die Partie. Er gilt als einer der besten Schiedsrichter der Welt. Aber die Deutschen werden sich hinterher über mindestens zwei ausgebliebene Penalty-Pfiffe beschweren.
In der 29. Minute bringt Jupp Gauchel Deutschland aus acht Metern 1:0 in Führung. Kurz vor der Pause (43.) trifft Trello Abegglen aus sieben Metern mit dem Kopf zum 1:1. Es bleibt auch nach zweimal 15 Minuten Verlängerung bei diesem Resultat. Elfmeterschiessen gibt es noch nicht.
Fünf Tage später, am 9. Juni 1938, kommt es vor 22’000 Zuschauern im gleichen Stadion um 18 Uhr bei brütender Hitze zum Wiederholungsspiel. Sepp Herberger setzt sechs neue Spieler ein. Willi Hahnemann zelebriert nach acht Minuten das 1:0. In der 22. Minute lenkt Ernest Lötscher den Ball mit dem Fuss zum 2:0 ins eigene Tor. Die Entscheidung scheint gefallen.
Aber das Anschlusstor von Eugen Walascheck in der 41. Minute leitet die Wende ein. Der eingebürgerte Russe hatte erst zwei Tage vor der WM von der FIFA die Spielerberechtigung bekommen. Einer der Helden ist Georges Aeby. Er bleibt nach einem heftigen Zusammenstoss mit Ludwig Goldbrunner liegen. Platzwunde am Kopf. Er wird mit einer Bahre vom Feld getragen. Doch in der 60. Minute kehrt er mit einem riesigen Kopfverband zurück. Mannschaftsarzt Dr. Paul Martin hat die Wunde genäht.
Ein Ruck geht durch die Mannschaft. Der technisch brillante Alfred Bickel gleicht in der 64. Minute aus. Trello Abegglen erzielt in der 75. und 78. Minute die zwei Treffer zum Schlussresultat von 4:2. Severino Minelli ist ein weiterer Held. Er gilt als einer der besten und härtesten Verteidiger der Welt.
Walter Lutz, der wohl beste Kenner des Schweizer Fussballs, hat diese Mannschaft so analysiert: «Karl Rappan hat die Mannschaft zusammengeschweisst, nie abgeändert. Sie ist eine ideale Mischung. Im Durchschnitt 26,5 Jahre alt, eine optimale Synthese von Spiel und Kampf, Technik und Herz mit einem ureigenen, auf dem kurzen Pass basierenden Spiel, von überdurchschnittlicher Spielkultur, ohne schwachen Punkt, taktisch ausgereift.»
Die Deutschen zeigen sich als sportliche Verlierer. Unmittelbar nach Spielschluss gehen die deutschen Spieler, allen voran Kapitän Fritz Szepan, auf die Schweizer zu und gratulieren. Sepp Herberger erzählt Jahre später dem Reporter Jürgen Leinemann: «Glauben Sie mir, es war eine furchtbare Schlacht, es war kein Spiel mehr.» Hitlers Parteizeitung «Völkischer Beobachter» überlegte: «Wir können vielleicht ganz froh sein, dass wir ausgeschieden sind. Denn beim Kampf Mann gegen Mann tun sich Abgründe auf.» 14 Monate später beginnt der Zweite Weltkrieg.
Der Sieg löst in der Schweiz den wahrscheinlich grössten Begeisterungssturm aller Zeiten aus. Der Bundesrat Rudolf Minger schickt den Helden ein Telegramm: «Die tapfere Schweizer Mannschaft beglückwünsche ich zu dem grossartigen Sieg, der mit vorbildlichem Einsatz errungen wurde. Mit eidgenössischem Gruss, Minger, Bundesrat.» In Leitartikeln wird Fussball als Schulfach gefordert.
Im Viertelfinale gegen Ungarn sind die Schweizer nicht mehr frisch genug. Sie hatten nur zwei Tage Erholungszeit (die Ungarn dagegen eine Woche) und müssen auf die verletzten Severino Minelli und Georges Aeby verzichten. Ungarn gewinnt in Lille 2:0. Die Schweiz hat seither nur noch einmal das Viertelfinale erreicht: 1954 in Bern (5:7-Niederlage gegen Österreich).