Schiedsrichter Anthony Taylor winkt nach Eriksens Zusammenbruch sofort Hilfe herbei.Bild: keystone
04.08.2021, 10:5204.08.2021, 13:44
Rund sieben Wochen nach seinem Kollaps bei der Fussball-EM ist der Däne Christian Eriksen erstmals nach Italien zurückgekehrt. Wie die «Gazzetta dello Sport» berichtet, landete der 29-Jährige gestern in Mailand und traf sich dort mit Inter-Boss Giuseppe Marotta.
Bei den Gesprächen ging es wohl um die sportliche Zukunft von Eriksen. Sein Vertrag bei den «Nerazzurri» läuft noch bis Sommer 2024. Doch in Italien kann der offensive Mittelfeldspieler mit dem implantierten Defibrillator, der Herzrhythmusstörungen erkennt und im Notfall Schocks auslöst, nicht spielen. In der Serie A gelten diesbezüglich deutlich strengere Regeln als in anderen europäischen Ligen.
«Wir können Christian Eriksen keine Erlaubnis geben, weiter in der Serie A zu spielen», sagt Francesco Braconaro vom italienischen Fussballverband. «Ausser er entfernt den Defibrillator wieder.» Der Däne hat selbst noch keine Aussagen zu seinen Zukunftsplänen gemacht. Zu viele Fragen sind noch offen. Allen voran diejenige nach der Ursache seines Herzstillstands.
Noch ist unklar, ob Eriksen jemals wieder für Inter auflaufen darf.Bild: imago-images.de
In Mailand unterzieht er sich nun ausführlichen Tests und Behandlungen, die endlich Antworten bringen sollen. Selbst wenn die Untersuchungen gut verlaufen, wird Eriksen noch bis zu sechs Monate aussetzen müssen.
Während Eriksen um seine fussballerische Zukunft bangt, hat Schiedsrichter Anthony Taylor, der am 12. Juni in Kopenhagen die Partie zwischen Dänemark und Finnland leitete, erstmals seine Sicht der Dinge geschildert. Bei der BBC und dem Youtube-Portal «MrBeanyman» erklärt er ausführlich und mit der Sachlichkeit eines Unparteiischen, was bei Eriksens Zusammenbruch seine Aufgaben waren und wie er die Situation gemeistert hat.
Anthony Taylor...
... über den Moment von Eriksens Kollaps:
«Es war definitiv die herausforderndste Situation meiner Schiedsrichter-Karriere und es macht einem bewusst, wie kostbar das Leben sein kann. Als Christian zusammenbrach, schaute ich gerade zu ihm und ich konnte sein Gesicht sehen. Ich war nur etwa 10 Meter entfernt und wusste sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. Wie sein Gesicht aussah und wie er zu Boden fiel ... Das war, was mich am meisten beunruhigte.»
Anthony Taylor wusste sofort, dass die Situation ernst war.bild: screenshot bbc
... über die folgenden Momente:
«Meine Hauptpriorität ist die Sicherheit der Spieler. Das heisst, wenn ein Spieler verletzt oder nicht gesund ist, braucht er medizinische Hilfe. Das war alles, woran ich gedacht habe und deshalb rief ich sofort einen Arzt aufs Spielfeld. Die echten Helden an diesem Tag waren Dänemarks Captain (Simon Kjaer, Anm. d. Red.) und die Mediziner, die sofort mit der Wiederbelebung begannen.»
... über die Reaktionen auf sein Verhalten auf dem Platz:
«Es ist schmeichelhaft, gelobt zu werden, aber ich kann mich nur wiederholen – das Einzige, was ich getan habe, war die Ärzte zu rufen. Meine Rolle war mehr die des Krisenmanagers. Die Leute denken, dass Schiedsrichter kein Herz haben und nur dazu da sind, Nachmittage zu ruinieren, aber das Entscheidende hier ist, zu verstehen, wie sich die Leute fühlen und wie sie reagieren.»
... ob er auf Autopilot geschaltet habe:
«Im Moment, als es passierte, war der Fokus voll darauf, dass Christian die Behandlung bekam, die er benötigte. Das war dank der schnellen Reaktion von Kjaer und den Ärzten der Fall. Der Fussball wurde völlig irrelevant, schliesslich geht es um Menschenleben.
Doch auch später war ich gefordert. Alle kamen zu mir und fragten, wie es weitergeht. Wird das Spiel fortgesetzt oder nicht? Was sollen wir tun? Wie lange sollen wir warten? Zusammen mit dem UEFA-Delegierten war das mein Job. Deshalb hatte ich auch nach Eriksens Wiederbelebung genug damit zu tun, die Emotionen aller Beteiligten zu managen.
Aber wie gesagt: Das Wichtigste war, dass es Christian gut ging und er die Hilfe bekam, die er brauchte. Dann mussten wir sicherstellen, dass es den restlichen Spielern beider Mannschaften gut ging. Und ich musste dafür sorgen, dass es meinem Team gut ging.»
... wann er erstmals mit seinen Schiri-Kollegen gesprochen habe:
«Ich wusste aus meiner Erfahrung als Premier-League-Schiedsrichter und auch aus meiner früheren Arbeit im Gefängnisdienst, dass es wichtig ist, an die Kollegen zu denken. Aber nachdem wir mit den Spielern in die Katakomben gegangen waren, konnte ich nicht bei den Jungs in der Umkleidekabine sein.
Ich war mit dem UEFA-Delegierten und Vertretern der Mannschaften in einem anderen Raum. Dort entschieden wir, dass das Spiel unterbrochen bleibt, bis wir wissen, wie es Christian geht. Das war die grundlegende Information, die wir wissen mussten, bevor wir eine weitere Entscheidung über die Fortsetzung des Spiels treffen konnten.»
Nach bangen Minuten wird Eriksen bei Bewusstsein vom Platz gebracht.Bild: keystone
... über den Entscheid, die Partie fortzusetzen:
«Natürlich wurde ausführlich über die Wiederaufnahme des Spiels diskutiert. Die Entscheidung fiel schliesslich in vollem Einvernehmen mit den Spielern beider Mannschaften und den Verbänden. Die dänischen Spieler hatten bereits mit Christian über FaceTime gesprochen und dieser hatte seine Kollegen gar gebeten, die Partie zu Ende zu spielen.»
... wann er Kontakt mit seiner Familie hatte:
«Mit meiner Frau konnte ich erst zwei oder drei Stunden nach Spielende sprechen, als wir wieder im Hotel waren. Es war so viel los. Jemand aus unserem Schiedsrichter-Team hatte aber Nachrichten an all unsere Familien geschickt und ihnen gesagt, dass es uns gut gehe und sie sich keine Sorgen machen müssten. Aber es konnte ja ohnehin jeder im TV sehen, was gerade passierte.»
... ob er seit dem Vorfall mit Eriksen gesprochen habe:
«Persönlich habe ich nicht mit ihm gesprochen. Einige Tage nach seinem Kollaps habe ich ihm aber eine Nachricht geschickt. Nach dem Spiel hatte ich mit Kasper Schmeichel gesprochen, als wir das Stadion verliessen. Kasper kam zu mir und informierte mich kurz, wie es Christian geht.»
Alle Europameister im Fussball
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quelle: keystone / catherine ivill / pool
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