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Interview

IOC-Direktor im Interview über eine Olympia-Kandidatur der Schweiz 2030

epa09715943 View of the Olympic rings next to the mogul course during the preparations of the Beijing 2022 Winter Olympics, in Zhangjakou, China, 29 January, 2022. EPA/Guillaume Horcajuelo
Die Olympischen Spiele haben zumindest in Sportkreisen nichts von ihrer Strahlkraft verloren.Bild: keystone
Interview

IOC-Olympiadirektor Dubi: «Wir sind offen, über alle Ideen zu diskutieren»

Die Schweizer Wintersportverbände wollen gemeinsam für Olympische Winterspiele kandidieren. Jüngst sind die konkreten Pläne für einen national getragenen, nachhaltigen Megaevent publik geworden. Wie kommen diese beim IOC an? Wir haben nachgefragt.
24.08.2023, 18:1729.08.2023, 20:42
Rainer Sommerhalder / ch media
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Die Schweiz will als Land kandidieren. Geht das überhaupt? Bisher war es stets eine Stadt. Was sagen die Regeln des IOC und wie sehen Sie das?
Christophe Dubi:
Lassen wir die Regeln beiseite. Regeln entwickeln sich ständig. Gerade im Sport ist eine Veränderung der Regeln die Norm. Jede Sportart muss mit der Zeit gehen, um relevant zu bleiben. Das IOC hat 2014 mit der Agenda 2020 entschieden, dass sich die Spiele dem Austragungsort anpassen sollen und nicht umgekehrt. Seither ist einiges passiert.

Und was bedeutet das jetzt in Bezug auf die Frage?
Nehmen wir die Austragung von Cortina und Milano als Beispiel. Ich rede jetzt bei den Distanzen bewusst von Stunden und nicht von Kilometern. Zwischen den beiden Orten liegen knapp 5 Stunden. Wir alle können diese Zahlen auf die Schweiz oder auf Schweden ummünzen, um zu verstehen, was das bedeutet. Wir schauen, ob eine Kandidatur diesbezüglich der Agenda 2020 folgt, was im Fall der Schweiz so ist. Also schaut das IOC, ob die Kandidatur für den Gastgeber Sinn macht - vor allem für dessen Vision und nachhaltigen Entwicklung. Wenn für die Schweiz eine Kandidatur mit mehreren Kantonen und Städten Sinn macht, dann müssen wir genau dies beurteilen. Die Regeln haben erst zweite Priorität.

FILE - International Olympic Committee (IOC) Sports Director Christophe Dubi meets the press in Milan, Italy, Wednesday, Dec. 14, 2022. The organising committee has admitted there have been delays bec ...
Der Westschweizer Christophe Dubi ist Olympiadirektor des IOC.Bild: keystone

Eine Idee ist, die Spiele wegen der Tourismussaison früher im Jahr, bereits im Januar durchzuführen. Lässt das IOC über den Zeitpunkt der Spiele mit sich reden?
Wir sind offen, über alle Themen und jede Idee zu diskutieren. Deshalb gibt es ja auch das Gefäss des kontinuierlichen Dialogs. Wenn im internationalen Sport eine Bereitschaft besteht, auch andere Termine für die Spiele auszuloten, besprechen wir das natürlich. Ob wir letztlich ja oder nein sagen, kommt auf die Gründe für eine Verschiebung an. Was ich jedoch mit Sicherheit sagen kann: Die Winterspiele sind in gewisser Weise in einer Tradition verankert, die nicht nur aus den Spielen selbst, sondern im grösseren Kontext dem Wintersport besteht. Im Sportkalender gibt es viele grosse Events an traditionellen Terminen. Der derzeitige Zeitpunkt der Winterspiele im Februar basiert also auf bewährten Bedingungen. Dann finden sich in der Regel auch die besten Bedingungen für die Schneeverhältnisse sowie das Tageslicht. Der Termin ist auch verankert in einem sehr traditionellen Sportkalender. Aber hey – alles kann besprochen werden! Deshalb führen wir ja auch diesen offenen Dialog mit den möglichen Kandidaten.

Christophe Dubi
Der 54-Jährige stammt aus Lausanne und studierte Politische Ökonomie an der Universität Fribourg. Später erlangte Dubi den Master in Sports Administration. Er hat zahlreiche Publikationen zum Thema Sportmanagement verfasst. Seit 1996 arbeitet er für das IOC in Lausanne, zuerst als Praktikant und danach als Manager in der Abteilung für Strategische Planung. Im Juli 2007 wurde Dubi zum IOC-Sportdirektor ernannt. Seit September 2014 ist Dubi Exekutivdirektor der Olympischen Spiele. Seine Abteilung ist zuständig für die Verwaltung und Koordinierung aller Aktivitäten im Zusammenhang mit den Olympischen und Olympischen Jugendspielen, von der Bewerbungsphase bis zur Auflösung der Organisationskomitees. Alle strategischen Entwicklungen rund um die Olympischen und Jugendolympischen Spiele sowie die Koordinations- und Bewertungskommissionen von künftigen Kandidaturen fallen ebenfalls in seine Verantwortung. Dubis Vater Gérard nahm als Eishockeyspieler für die Schweiz 1972 bei den Olympischen Spielen in Sapporo teil. (rs)

Die Schweiz ist nicht das einzige Land, das Interesse an Olympischen Winterspielen hat. Wie ist der Stand einer möglichen Kandidatur von Schweden für 2030?
Schweden befindet sich wie die Schweiz in einem kontinuierlichen Dialog. Sie haben ein Projekt, das auf der Kandidatur für 2026 basiert und aktuell verfeinert wird. Es baut wie die Schweiz auf die Nutzung bestehender Infrastruktur auf.

Elegant wäre eine Doppelvergabe der Spiele für 2030 und 2034 wie es das IOC mit Paris (2024) und Los Angeles (2028) getan hat. Aber dazu gibt es noch eine weitere Komponente: Wie sehr ist denn Salt Lake City für 2034 bereits gesetzt?
Lassen Sie es mich klar ausdrücken: Salt Lake City steht als Veranstalter bereit. Es gibt schriftliche Erklärungen über den Support der Stadt und des Gouverneurs des Bundesstaates Utah. Ihre Präferenz ist jedoch eine Kandidatur für 2034 - wegen der zeitlichen Nähe zu den Sommerspielen 2028 in Los Angeles. Die IOC-Exekutive muss basierend auf dem Report der Kommission für zukünftige Spiele in der Tat bis Ende Jahr entscheiden, ob eine Doppelvergabe Sinn macht.

ARCHIV – ZU DEN ERFOLGREICHSTEN MEDAILLENGEWINNERN AN OLYMPISCHEN WINTERSPIELEN STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG - Simon Ammann of Switzerland smiles after landing his final and ...
Simon Ammann jubelt an den Olympischen Winterspielen 2002: Die Schweiz hat gute Erinnerungen an Salt Lake City.Bild: AP

Stimmt es, dass das Ziel des IOC ist, pro Austragungsjahr nur eine Kandidatur in den Targeted Dialogue eintreten zu lassen?
Das ist eine politische Frage, welche die gewählten IOC-Mitglieder entscheiden müssen und nicht wir von Management. Entsprechend kann und will ich dazu nicht spekulieren. Unser Auftrag ist es, der Exekutive bestmögliche Projekte vorzulegen, welche die Erwartungen der Bevölkerung der kandidierenden Länder, aber auch die Erwartungen der IOC-Bewegung erfüllen. Was ich Ihnen sagen kann: Wir sind glücklich, dass die Message der IOC-Führung vom letzten November erhöht wurde. Aus Sichtpunkt des IOC ist die Situation heute viel komfortabler als sie es vor einigen Monaten war.

Die Niederlage von Sion gegen Turin für die Winterspiele 2006 bleibt schmerzlich in vielen Köpfen. Nun droht in einer Ausmarchung zwischen der Schweiz, Schweden und Salt Lake City ein ähnliches Szenario. Sollte das passieren, kann man Winterspiele in der Schweiz für Jahrzehnte vergessen. Auch das IOC möchte doch möglichst keine Verlierer produzieren!
Ich sehe den Sinn der Frage. Unser Präsident Thomas Bach hat mehrmals gesagt, dass wir nach Möglichkeit vermeiden müssen, dass jemand das Gefühl erfährt, etwas verloren zu haben. Ich denke, dass die Beziehungen zwischen der Schweizer Bevölkerung und Olympischen Spielen etwas ganz Besonderes sind. Das IOC hat seinen Sitz in Lausanne, es ist sehr viel Symbolik vorhanden. Das verleiht der Schweiz einen ganz speziellen Platz in der Welt des Sports, einschliesslich der positiven wirtschaftlichen Auswirkungen. Die Bedeutung dieser Rolle wird von allen Sportverbänden anerkannt.

Zurück zu Sion 2006!
Was damals zwischen Sion und Turin passierte, ist nur ein Aspekt. Seit dieser Entscheidung gab es andere Versuche von Kandidaturen, aber dannzumal war die Ablehnung durch die Bevölkerung ausschlaggebend. Auch das war sehr schmerzhaft, auch für mich persönlich. Wir bewegen uns in der Schweiz, ich würde nicht sagen, auf dünnem Eis. Aber das Ergebnis einer neuerlichen Kandidatur muss eine Win-Win-Situation hervorbringen. Das IOC hat aus den verlorenen Abstimmungen gelernt, die Organisatoren in der Schweiz haben daraus gelernt, alle haben daraus gelernt. Das IOC hat die Idee der Spiele seither weiterentwickelt. Das war damals unsere Message und wir haben nicht nur geredet, wir haben gehandelt.

Wann genau will der Executive Board des IOC den Entscheid über den Targeted Dialogue für 2030 fällen: Steht der Termin bereits?
Nein, denn im aktuellen kontinuierlichen Dialog wollen wir möglichst eine hohe Flexibilität behalten. Wir streben einen Entscheid bis zum Jahresende an, aber es müssen alle Puzzleteile zusammenpassen. Wir haben weiterhin eine gewisse Flexibilität. Wenn es länger dauert, dann bereitet mir das persönlich keinen Stress. Denn die vorhandenen Projekte basieren auf viel vorhandenem Know-how und Infrastruktur.

Ein entscheidendes Diskussionsthema sind stets die Finanzen. Wie rechnet sich eigentlich der Beitrag aus, welcher das IOC an die Kosten der Organisation beiträgt?
Ich erkläre es so einfach wie möglich. Das IOC generiert Einnahmen aus drei Bereichen: Sponsoring-Rechte, TV-Rechten sowie Medienrechte. Dieses Geld wird innerhalb der olympischen Bewegung zwischen dem IOC, dem Organisationskomitee, den internationalen Sportverbänden und den nationalen olympischen Komitees verteilt. Das IOC behält 10 Prozent dieser Einnahmen, der Rest geht an die olympische Bewegung. Die Spiele werden vom IOC auf drei verschiedene Arten mitfinanziert. Es gibt einen Medienrechtsbeitrag, einen Sponsoringbeitrag, der teilweise in Cash und teilweise in Form von Dienstleistungen überwiesen wird. Als Beispiel übernimmt Omega für die Zeitmessung Aufgaben, die eine Kostenreduktion für die Organisatoren bewirken. Und ganz wichtig: Wir bezahlen auch die TV-Produktion der Spiele. Das ist also eine Sachleistung des IOC.

Und was bedeutet das in Zahlen?
Die Addition ergibt für die Winterspiele einen Beitrag von rund 1 Milliarde Franken. Wir haben für Cortina 2026 noch nicht alle Verträge abgeschlossen, aber gemäss aktuellen Zahlen sind es dort etwa 950 Millionen. Für Paris 2024 sind es 1,7 Milliarden, für Los Angeles vier Jahre später 1,8 Milliarden. Zusätzlich hat das Organisationskomitee zwei weitere Einnahmequellen: das nationale Sponsoring, das alles vom traditionellen Sponsor über Merchandising bis hin Hospitality umfasst. Und die Einnahmen des Ticketverkaufs. So setzt sich auf der Einnahmenseite das Gesamtergebnis zusammen.

«Das eingenommene Geld wird vollständig an den Rest der olympischen Familie zurückgegeben.»

Wie weit ist der Betrag verhandelbar?
Nicht gross, denn alles, was wir durch die Spiele verdienen, geben wir an die Sportbewegung zurück. Machen wir mehr Gewinn, liefern wir mehr ab. Machen wir weniger Gewinn, verpflichten wir uns dennoch, den vertraglich vereinbarten Betrag an den Organisator abzugeben. Der Spielraum ist also sehr gering.

Wieso übernimmt das IOC keine Defizitgarantie für die Spiele?
Zuerst einmal die wichtigste Message: Wir gleichen den Haushalt der Olympischen Spiele aus. Und wenn wir Einsparungen bei den Kosten vornehmen können, dann machen wir das. Aber eine Defizitgarantie können wir aus zwei Gründen nicht geben. Erstens: Das eingenommene Geld wird vollständig an den Rest der olympischen Familie zurückgegeben. So überlebt der Sport als Ganzes. Jedes kleine nationale olympische Komitee, jeder Sportverband ist auf dieses Geld angewiesen. Zweitens: Wir können keine Verantwortung für die Handlungen anderer übernehmen. Wir können keine Defizitgarantie abgeben für Verträge, welche das lokale OK abschliesst. Wir übernehmen nicht die Verantwortung für das Gehalt des OK-Direktors, wir übernehmen auch keine Verantwortung für die Installation der temporären Infrastruktur. Aber unsere Verpflichtung besteht darin, dass, wenn das IOC durch die Spiele mehr Geld einnimmt, weil wir erfolgreich arbeiten, dies auch mehr Zuschüsse für das Organisationskomitee bedeutet. In Paris sind es nun 1,7 anstatt 1,6 Milliarden.

Also kein Hauch einer Chance für eine Defizitgarantie?
Es ist das erste Mal, dass ich via Medien von einer möglichen Forderung punkto Defizitgarantie höre. Jeder kann dazu eine Meinung haben. Aber es bringt das bestehende, bewährte und faire Konzept durcheinander. Und dann sind da ja noch all die anderen Kosten, die Investitionen in langfristige Projekte für eine Gemeinschaft. Wenn Paris die Wasserqualität der Seine derart verbessern will, dass künftig jeden Sommer darin gebadet werden kann, dann hängt dieses Projekt zwar mit den Olympischen Spielen zusammen. Aber es kann nicht also Kostenpunkt für die Olympische Spiele taxiert werden.

Wie sieht es mit den exorbitanten Sicherheitskosten einer solchen Veranstaltung aus?
Ja, die Sicherheit muss von den Behörden im Austragungsland gewährleistet werden. Was wir aber nie vergessen sollten: Wenn man im Fall von Paris 4,3 Milliarden für die Betriebskosten ausgibt, entsteht eine wirtschaftliche Aktivität, die auf etwa 7 bis 8 Milliarden geschätzt wird. Und diese durch die Spiele generierten 8 Milliarden generieren Steuereinnahmen. Wenn ich grosszügig rechne, werden in Frankreich dank den Spielen rund 3,2 Milliarden an Steuereinnahmen erzielt. Dies trägt dazu bei, die Kosten der öffentlichen Hand zu decken. Der gesamte wirtschaftliche Teil sollte also nicht auf das IOC-Geld reduziert werden. (aargauerzeitung.ch)

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