Swiss Olympic hat beim Thema Winterspiele in der Schweiz drei mögliche Szenarien: Man bewirbt sich bereits für die Austragung 2030, weil dort die Gegnerschaft mit dem ebenfalls eine Kandidatur prüfenden Schweden überschaubar ist. Oder man sagt grundsätzlich ja zu einer erneuten Kandidatur, aber zu einem späteren Zeitpunkt. 2034 scheint durch Salt Lake City besetzt, 2038 zeitlich noch sehr weit weg, um den Boost einer baldigen Ankündigung über die Zeit zu retten. Oder man verzichtet grundsätzlich auf weitere Olympia-Experimente, weil man die Akzeptanz bei der Schweizer Bevölkerung als zu klein betrachtet.
Seit viereinhalb Monaten läuft eine Machbarkeitsstudie, die man gemeinsam mit dem Internationalen Olympischen Komitee vornimmt. Ralph Stöckli, Olympiadirektor bei Swiss Olympic, hat den operativen Lead. Er sagt: «Klar können wir Olympische Winterspiele in der Schweiz durchführen. Die entscheidende Frage ist, ob wir das auch wollen.»
Ein internes Narrativ für eine mögliche Kandidatur zeigt, dass man diese Frage offensichtlich in Sportkreisen positiv beantwortet. Auch Sportministerin Viola Amherd steht hinter den Plänen. Die Gretchenfrage allerdings bleibt: Wie überzeugt man jene, die an der Urne die Kosten für Olympische Spiele durchwinken sollen? Matthias Remund, Direktor des Bundesamts für Sport, fasst es richtig zusammen: «Ein weiteres Nein der Bevölkerung kann sich der Sport nicht leisten».
Wer trägt welchen Anteil der Kosten, die auf rund 1.5 Milliarden Franken geschätzt werden? Das IOC zeigte sich in diesem Punkt zwar zuletzt grosszügiger, aber alles hat seine Grenzen, wie die aktuellen Diskussionen mit den Wächtern der fünf Ringe zeigen.
Das interne Dokument lässt die letzte Ziffer des möglichen Austragungsjahres bewusst offen (203x). Es zeigt aber klar auf, wie man die Schweizer Bevölkerung von einer Kandidatur überzeugen soll. Gemäss Konzept sollen es die ersten Olympischen Spiele sein, für die sich ein Land und nicht wie bisher vorgegeben eine Stadt bewirbt. Und die Schweiz verspricht die nachhaltigsten Spiele aller Zeiten.
Die Verfasser des Narrativs sprechen davon, dass die Zeit für eine Erneuerung und ein Wandel der Olympischen Spiele gekommen sei. Und sie erkennen beim IOC den notwendigen Wandel, um die Kriterien für die Durchführung der Spiele «grundlegend anzupassen». Spiele sollen neu zum jeweiligen Austragungsland passen und nicht umgekehrt.
Man ist überzeugt, dass die Schweiz aus folgenden Gründen ideale Voraussetzungen für Winterspiele mitbringt: Die Wintersportverbände haben das Know-how, um internationale Grossveranstaltungen durchzuführen. Die Schweiz hat eine beeindruckende Kultur der Freiwilligenarbeit und das Land ist international geachtet für seine Innovationskraft.
Konkret schlägt Swiss Olympic dezentral und nachhaltig organisierte Spiele mit sechs Pfeilern vor: Die Schweiz ist das erste Land der Welt, das als Nation für Olympische Spiele kandidiert. Wettkämpfe sollen in allen vier Sprachregionen über die Bühne gehen.
Die Schweiz wird in naher Zukunft ohnehin zum «World Winter Sports Hub», denn durch die Durchführung von Welt- oder Europameisterschaften in 10 von 14 olympischen Disziplinen in den kommenden fünf Jahren ist garantiert, dass die notwendige Infrastruktur vorhanden ist. Es sollen keine zusätzlichen Sportanlagen gebaut werden, als dass ohnehin bereits geplant sind. Auf den Bau einer Eisschnelllauf-Anlage wird verzichtet. Diese Wettkämpfe will man im nahen Ausland austragen.
Die anstehenden Grossanlässe im Wintersport führen auch dazu, dass die nationalen Sportverbände das notwendige Know-how aufbauen. Sie sollen bei der Durchführung von Olympischen Spielen das Eventmanagement übernehmen. Es sei das erste Mal, dass alle Schweizer Wintersportverbände von Beginn weg in den Prozess einer möglichen Olympia-Kandidatur involviert sind. Die Verfasser des Konzepts sprechen von einem «Projekt des Sports für die gesamte Gesellschaft».
Die Schweizer Variante von Winterspielen soll günstiger, lokaler und kooperativer werden. Neben dem erhöhten finanziellen Engagements des IOC will die Schweiz die Redimensionierung der Anzahl Akkreditierungen ausserhalb des Sports und der Zuschauerkapazitäten konsequent weiterverfolgen. Auch die Einbindung des «besten öffentlichen Verkehrsnetzes der Welt» soll - analog zu den Olympischen Jugendspielen 2020 in Lausanne - umgesetzt werden.
Das Narrativ verspricht auch die Spiele mit den meisten involvierten Gruppen und nennt es «Spiele von allen für alle». Möglichst viele Menschen auch ausserhalb des Sports sollen von Olympischen Spielen in der Schweiz profitieren. Es nennt als Beispiele verstärkte Förderung und Sichtbarkeit von Frauen auf allen Ebenen oder das Thema Inklusion. So will man Olympische und Paralympische Spiele viel stärker miteinander verbinden, als dies bisher der Fall war.
Damit jede und jeder einzelne in der Gesellschaft den Ansatz dieser neuen Spiele potenziell mitträgt, soll die Haltung der Bevölkerung zum Projekt Winterspiele in der Schweiz zuallererst geprüft werden und erst dann eine Entscheidung über das weitere Engagement gefällt werden. Eine repräsentative Umfrage dafür ist in Ausarbeitung.
Zu guter Letzt steht das Vermächtnis der Spiele ganz oben auf der Prioritätenliste des Dachverbands. Das Olympiaprojekt soll die Schweiz zu einer konsequent nachhaltigen Gesellschaft führen. Es soll die Freiwilligenarbeit, die Vielfalt des Landes und die Innovationskraft langfristig stärken. Junge Führungskräfte sollen durch ihr Engagement und die Begleitung durch erfahrene Coaches fit für höhere Aufgaben gemacht werden. Auch auf die digitale Transformation, die Energiewende oder den Tourismus sollen die Winterspiele durch zukunftsträchtige Partnerschaften als Katalysator wirken.
Urs Lehmann, Präsident von Swiss Ski und erfolgreicher Unternehmer, ist einer der Initianten einer Olympia-Bewerbung. Er sitzt zusammen mit Vertretern von Swiss Olympic und anderen Sportverbänden im Leitgremium des aktuell laufenden Prozesses. Er sagt: «Das Projekt nimmt Fahrt auf. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir so etwas gemeinsam organisieren können - und zwar bereits im Jahr 2030.» (aargauerzeitung.ch)