Murat Yakin steht derzeit im Gegenwind. Können Sie die Kritik am Nationaltrainer nachvollziehen?
Dominique Blanc: Mit Kritik von aussen müssen wir leben. Aber intern hatten und haben wir vollstes Vertrauen in unseren Trainer. Es war immer klar, dass wir den Weg bis zum Ende der Qualifikation mit Murat Yakin gehen werden. Nach dem Ende der Quali werden wir uns mit ihm über die Zukunft austauschen. Das war immer so geplant.
Also wird Yakin auch an der EM noch Natitrainer sein, falls sich die Schweiz für die Endrunde in Deutschland qualifiziert?
Ja, das ist laut Vertrag so vorgesehen.
Was passiert aber, sollte die Schweiz die Barrage bestreiten müssen?
Darüber haben wir uns bislang nicht unterhalten. Auch, weil wir überzeugt sind, dass wir uns direkt für die EM qualifizieren werden.
Wie ging es Ihnen als Zuschauer bei diesem 3:3 – nach 1:3-Rückstand – gegen Belarus?
Gewiss war ich enttäuscht, dass wir gegen Belarus nicht gewonnen haben. Aber ich habe auch gesehen, dass wir den Gegner wie alle anderen Gegner mit 80 Prozent Ballbesitz und vielen herausgespielten Chancen dominiert haben.
Haben Sie während dieses Spiels an Murat Yakin zu zweifeln begonnen?
Nein, nie. Ich habe ihm am Tag nach dem Spiel bestätigt, was unser sportlicher Direktor Pierluigi Tami bereits am Vorabend gesagt hat, dass wir keine Trainerdiskussion führen werden.
Warum nicht?
Was hat man nach der Auslosung gehört? Schwache Gegner, zehn Spiele, zehn Siege, das Hotel für Deutschland kann man schon mal buchen. Für uns war aber immer klar, dass es kein Spaziergang würde. Denn alle wollen nach Deutschland.
Trotzdem waren die Unentschieden gegen Rumänien, Kosovo und Belarus ernüchternd.
Einverstanden. Aber wir führen nach Verlustpunkten die Tabelle an, haben von sieben Partien keine verloren. Und wir haben es in den letzten drei Spielen in den eigenen Füssen, uns als Gruppenerster zu qualifizieren. Das ist die Realität.
Und Yakin ist der richtige Mann?
Ja. Wir werden mit ihm an die EM reisen.
War denn der Aufschrei nach dem 3:3 gegen Belarus eine Anti-Yakin-Hysterie?
Die Nati löst gigantische Emotionen aus. In der Romandie, wo ich herkomme, war die Hysterie noch grösser. Ich respektiere die starken emotionalen Schwankungen. Aber vielleicht haben einige Fans unsere Gegner unterschätzt. Dort sehen wir auch Spieler, die in den grossen fünf Ligen Europas für Aufsehen sorgen. Keine Frage, mir gefällt es, wenn die Erwartungen in unsere Nati hoch sind. Aber es braucht auch Pragmatismus. Italien beispielsweise tut sich wiederholt schwer in einer Endrunden-Qualifikation.
Trotzdem werden wir den Eindruck nicht los, dass nach dem 1:6-Debakel an der WM gegen Portugal Risse im Team entstanden sind, die nun zum Vorschein kommen. Können Sie benennen, was derzeit schief läuft?
Ich sehe keine Risse mehr, erst recht keinen Bruch. Nehmen wir das Spiel gegen Rumänien, sensationell, vielleicht das beste in der Ära Yakin. Doch in der Schlussphase kassieren wir zwei Kontertore. Ist nun alles schlecht deswegen? Nein, auch wenn das Resultat ärgerlich ist. Für uns sind solche Ereignisse kein Grund, an unserem Staff zu zweifeln. Denn ich spüre den Hunger des Trainers und der Spieler, etwas Grosses zu erreichen.
Das 2:2 in Kosovo beförderte Dissonanzen zwischen Granit Xhaka und Murat Yakin ans Tageslicht. Und das war nicht der erste Crash zwischen den beiden. Gilt es da noch ein Problem zu lösen?
Nicht mehr, das ist gelöst. Wir haben zwei starke Charaktere. Für mich ist es kein Drama, wenn die Leader mal nicht gleicher Meinung sind. Wichtig ist, dass sie sich austauschen, diskutieren und Lösungen finden zum Wohl der Mannschaft.
Aber der Austausch sollte stattfinden, bevor ein Einzelner mit seiner Kritik an die Öffentlichkeit geht.
Das Verhalten von Xhaka nach dem Kosovo-Spiel war nicht optimal. Das hat eine klärende Diskussion gebraucht. Und ich bin überzeugt, dass diese Diskussion helfen wird, dass das Team wieder in die Erfolgsspur findet.
Schlechter als die Männer performen die Frauen.
Stimmt, es ist derzeit kompliziert. Wir haben klare Ziele vereinbart, unter anderem eine kompetitive Equipe für die Heim-EM 2025 aufzubauen, die mit Leidenschaft und Enthusiasmus begeistert.
Aber das Team von Trainerin Inka Grings hat von den letzten 14 Spielen nur eines gewonnen.
Wenn man das pragmatisch analysiert, kommt man zum Schluss: Wir haben gegen die besten Teams der Welt verloren. Vor vier Jahren belegten wir im FIFA-Ranking Rang 21. Und wir stehen heute immer noch auf dieser Position. Es ist also kein Rückschritt, aber auch kein Fortschritt erkennbar.
Warum?
Ein Grund dafür ist, dass man es in Ländern wie Portugal und Spanien für Profiklubs zur Bedingung gemacht hat, dass sie ein Frauen-Team haben müssen.
Das könnte man in der Schweiz auch fordern.
Theoretisch. Aber nehmen wir einen Super-League-Klub mit 20 Millionen Franken Budget. Um ein professionelles Frauen-Team zu unterhalten, bräuchte es bei unseren Lebenshaltungskosten gegen 2 Millionen. Also ein Zehntel des Budgets. In Spanien haben die Klubs durchschnittlich 100 Millionen zur Verfügung. Und weil das allgemeine Lohnniveau tiefer ist, kann man vielleicht schon mit einer halben Million ein gutes Frauen-Team aufbauen.
Also bleibt nur die Kapitulation?
Nein, wir arbeiten gemeinsam mit der Liga und den Klubs daran, die Professionalisierung des Frauen-Fussballs voranzutreiben.
Fakt ist aber, dass die Nationaltrainerin wegen der Resultatkrise infrage gestellt wird. Warum glauben Sie noch an Inka Grings?
Wir haben uns mit Inka Grings auf ein Ziel verständigt: Ein dynamisches Team für 2025 aufzubauen. Und wir sehen, dass sie auf diesem Weg ist, immer wieder junge Talente einbaut. Deshalb sind für uns die Niederlagen in der Nations League gegen wirklich grosse Kaliber nicht entscheidend für unsere Beurteilung. Wir werden nach den Spielen im Dezember gemeinsam eine Analyse mache und schauen, wo wir stehen.
Der Abstand zur Weltspitze wird aber immer grösser. Kommt da die Heim-EM 2025 nicht zu früh?
Seien wir doch einfach mal glücklich, dass wir als kleiner Verband den Zuschlag für dieses Fussballfest erhalten haben. Die EM kommt bestimmt nicht zu früh.
Zieht man die Auftritte dieses Jahres als Referenz heran, droht 2025 eher Katerstimmung als Euphorie.
Das glaube ich nicht. Unser Team wird mit einem frischen Fussball begeistern. Ausserdem reden wir nicht vom Titelgewinn. Bei dieser EM stehen andere Aspekte im Vordergrund.
Welche?
Wir wollen dieses Turnier nutzen, um den Frauenfussball zu entwickeln und zu fördern. Und: Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass wir in der Schweiz ein Problem mit der Infrastruktur haben. Der Fussball boomt ungebrochen. Letzte Saison hatten wir 316'000 lizenzierte Spielerinnen und Spieler. Unterdessen ist die Zahl auf 356'800 gestiegen. Was aber nicht mit dieser Tendenz Schritt hält, ist die Anzahl bespielbarer Fussballplätze. Die Heim-EM soll helfen, Behörden und Bevölkerung für das Problem zu sensibilisieren.
Aber noch fehlt die Bereitschaft einer Stadt, den EM-Final auszutragen.
Nein, dieses Problem haben wir gelöst. Anfang Dezember werden wir kommunizieren, wo das Endspiel gespielt wird.
2034 soll die WM der Männer in Saudi-Arabien stattfinden. Finden Sie das eine gute Idee?
Natürlich gibt es Gründe, dagegen zu sein. Aber gleichzeitig kann man auch fragen: warum nicht? Der Fussball ist global. Ausserdem haben wir bis jetzt noch keine offizielle Mitteilung der FIFA erhalten.
Die Idee ist vielleicht nicht so gut, weil in Saudi-Arabien Minderheiten unterdrückt, Regimekritiker inhaftiert werden und Frauen nicht die gleichen Rechte haben.
Aber wir können helfen, die gesellschaftliche Entwicklung voranzutreiben. Wir haben mit anderen UEFA-Mitgliedern eine Menschenrechtsgruppe gebildet, mit der wir Einfluss nehmen können auf die FIFA.
Wo konkret?
Es hat einige Verbesserungen im Arbeitsrecht gegeben. Detaillierte Erkenntnisse haben wir, sobald wir den Bericht der FIFA, der die Situation in Katar ein halbes Jahr nach der WM durchleuchtet, erhalten.
Was halten Sie von der Drei-Kontinente-WM 2030?
Wie für 2034 gilt hier das gleiche: Wir haben das Dossier im Zentralvorstand noch nicht zur Prüfung erhalten.
Die Weltmeisterschaften werden dort stattfinden, wo sie Gianni Infantino haben will. Warum kann der Präsident in der FIFA unkontrolliert und nach Belieben wirken?
Ich glaube nicht, dass er unkontrolliert agiert. Die Organe in der FIFA funktionieren. Es gibt ein starkes Board mit 32 Mitgliedern, das in alle Entscheidungen involviert ist. Gewiss ist Infantino ein umtriebiger Mann, der in Europa hart für sein Wirken kritisiert wird.
Können Sie das verstehen?
Ja. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass ausserhalb Europas anders auf die FIFA und den Fussball geschaut wird.
Die FIFA foutiert sich um Themen wie Klimakrise und Menschenrechte. Und nach der durch die Hamas verursachte Gewalteskalation im Nahen Osten erscheint auch die WM 2022 in einem noch düstereren Bild, weil Gastgeber Katar die Terrororganisation finanziell unterstützt.
Einverstanden. Aber ich arbeite zusammen mit den 54 UEFA-Verbänden intensiv daran, die Fifa zu beeinflussen. Unser Ziel ist es, auch für die FIFA gültige Regeln in Bezug auf Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung und Menschenrechte aufzustellen.
Ist es richtig und gut, dass die Partie Israel – Schweiz nun am Mittwoch in Ungarn stattfindet?
Ja. Sport muss Sport bleiben. Der Sport ist meist der erste und der letzte Ort, wo man zusammen spricht. Und es war der unbedingte Wille unserer israelischen Freunde, diese Partie zu spielen.