Wie baut man ein Meisterteam?
André Breitenreiter: Diese Erfolgsgeschichte in einigen kurzen Sätzen zusammenzufassen, ist nahezu unmöglich.
Versuchen Sie es trotzdem!
Es braucht zunächst grundlegende Eigenschaften, ohne die sowohl der Meistertitel mit dem FC Zürich wie auch meine Bundesligaaufstiege mit Hannover 96 und dem SC Paderborn nicht möglich gewesen wären. Kommunikation und empathische Menschenführung sind elementar in jedem Beruf. Es geht aber auch um andere Dinge!
Nämlich?
Um Begeisterung und die Leidenschaft, für eine Sache zu arbeiten. Als Trainer benötigt man den Willen und die Lernbereitschaft eines Teams, um die eigene Spielphilosophie auf die Jungs übertragen zu können. Wenn dann durch einen guten Start, durch Siege, die Überzeugung reift, wachsen Selbstbewusstsein und Teamspirit.
Wann haben Sie beim FCZ gemerkt: Da wächst etwas richtig Tolles zusammen?
Schon früh in der Saison. Ich habe das dem Team auch nach einigen Spieltagen so kommuniziert, um gleichzeitig für Bilder und Motivation zu sorgen. Entscheidend war das Gefühl, zu spüren, wie eng das Trainer-Team und die Mannschaft beisammen sind. Persönliche Egos wurden durch den Zusammenhalt nicht zugelassen. Der Teamerfolg stand im Vordergrund. Dafür hatten wir fantastische Führungsspieler mit Blerim Dzemaili, Yanick Brecher und Antonio Marchesano, die zu keiner Zeit eine Selbstzufriedenheit innerhalb des Teams haben aufkommen lassen.
Ist es einfacher, mit dem FCZ um den Titel zu spielen als mit YB, das den Druck des Favoriten spürt?
Ich kann nicht bestätigen, dass das wirklich einfacher ist mit einem Team, das sich in der Saison zuvor mit der nahezu gleichen Mannschaft im Grunde erst ganz zum Schluss vor dem Abstieg gerettet hat …
… so war das natürlich nicht gemeint! Die Erwartungen sind einfach viel kleiner in der Öffentlichkeit.
Da bin ich bei Ihnen, klar. Das war auch ein ausschlaggebender Grund für mich, nach Zürich zu kommen. Verein und Fans waren in den vergangenen drei Jahren nicht gerade erfolgsverwöhnt. Dass es dann schon in der ersten Saison Richtung Meisterschaft gehen könnte, konnte kein Mensch vorhersehen. Aber ich hatte schon die Hoffnung, dass wir eine gute Rolle spielen können.
Sie haben vorhin Blerim Dzemaili erwähnt, er hatte eine nicht ganz einfache Zeit wegen Knieverletzungen. Wie haben Sie ihn ins Boot geholt?
Blerim hatte eine schwierige Rückkehr zum FC Zürich. Die Erwartungshaltung an ihn war gross. Mit seinen körperlichen Voraussetzungen vor meiner Zeit ist er von der einen in die nächste Verletzung hineingeraten. Es herrschte eine grosse Unzufriedenheit bei den Fans und innerhalb des Vereins. Auch er selbst hat mehr von sich erwartet. Das hat Blerim sehr belastet. Für mich war vom ersten Tag an klar: Ein Spieler mit dieser Vita, mit dieser Erfahrung und mit dieser Winner-Mentalität wird extrem wichtig werden, um grosse Ziele zu erreichen. Wir haben viel miteinander gesprochen. Blerim öffnete sich. Sagte mir, dass er dieser grossen Erwartungshaltung unbedingt gerecht werden müsste und niemanden enttäuschen dürfte.
Und dann verletzt er sich in der Vorbereitung erneut.
Wir mussten ihn von diesem Druck befreien. Ich sagte ihm: ‹Blerim, du bist und bleibst mein erster Ansprechpartner. Das muss nicht bedeuten, dass du immer von Beginn an spielst, aber wir brauchen dich und deine Erfahrung und auch deine Qualität auf dem Platz. Aber tu mir und dir bitte den Gefallen und beanspruche für dich nicht diese Rolle, dass du alles alleine regeln musst.›
Was auffiel: Sie haben die Mannschaft so gebaut, dass eine Achse herausgestochen ist. Brecher, Innenverteidiger Mirlind Kryeziu, Balljäger Ousmane Doumbia, Marchesano – und schliesslich Stürmer Ceesay.
Diese Konstellation hat sich mit den Anfangserfolgen ergeben. Ich denke, jede erfolgreiche Mannschaft hat eine stabile Achse, auf die sie sich verlassen kann. Aber uns hat noch mehr ausgezeichnet.
Woran denken Sie?
An den grossen Konkurrenzkampf. Jeder Spieler wusste, dass er im Training immer bis an die Grenze gehen muss, weil er sonst am Wochenende nicht auf dem Platz steht. Auch Spieler, die schon belächelt wurden, konnten sich nun nach dem Leistungsprinzip beweisen. Kryeziu und Ceesay zum Beispiel wurden zu absoluten Top-Spielern – obwohl es aus dem Umfeld Empfehlungen gab, diese Spieler am besten zu verschenken. Allgemein kann man sagen, dass viele Spieler über, oder sagen wir besser an ihrer Leistungsgrenze gespielt haben. Das zeichnet ein erfolgreiches Team aus. Und dazu gehört auch ein sehr gut funktionierendes Trainerteam hinter dem Chef-Trainer.
Gab es auf dem Weg zur Meisterschaft ein Schlüsselerlebnis?
Es gab sicherlich einige wichtige Siege, aber erwähnen möchte ich den Mannschaftsabend im Trainingslager im Winter in der Türkei. Wir waren an der Tabellenspitze, ab dem Winter ist die Erwartungshaltung dann auch in Zürich gestiegen, gerade von aussen. Damit muss man ja umgehen können. Wir hatten ein tolles Trainingslager in der Türkei, ermöglicht von der Familie Canepa, da gebührt ihnen grössten Dank dafür. Und dann, am Mannschaftsabend, es war in einem Nobelrestaurant, ein wunderbares Aquarium drin, wurde dieses Lied «Bella Ciao» gespielt.
Jetzt sind wir gespannt!
Auf einmal begannen alle, mit ihren Servietten zu wedeln und dieses Lied zu singen. Das hat eine Dynamik entwickelt, ich kriege noch heute Gänsehaut. Wir hatten mehrere italienischsprachige Spieler im Team, die haben alle mitgerissen, nahezu jeder hat mitgesungen, es war eine Riesenstimmung. Da habe ich gesehen: Mit diesem Zusammenhalt und mit dieser Energie wird uns in dieser Saison nichts aufhalten können, wir werden es schaffen und Meister werden! Dieses Lied «Bella Ciao» ist von da an in der Kabine nach Siegen als erstes gespielt worden und alle haben mit ihren Handtüchern und Trikots gewedelt und gesungen. Das sind diese Kleinigkeiten, die nachher dazu beitragen, unvergessliche Bilder im Kopf zu haben.
Sie erzählten einmal, dass auch vor den Spielen schon gesungen wird in der Garderobe, «La Bicicleta» von Shakira und Carlos Vives stand auch hoch im Kurs, nicht?
Genau! Das sind auch verrückte Dinge, die man so im Profi-Zirkus wahrscheinlich nicht so häufig hat. «La Bicicleta» war der letzte Song, der jeweils lief, bevor wir fürs Warm-up auf den Platz gingen. Wir hatten mit Adrian Guerrero einen Spieler aus Spanien, der fing irgendwann an, dieses Lied mitzusingen. Auf einmal sangen zwei mit, dann vier, dann acht. Und irgendwann hat die ganze Kabine inklusive Trainerteam und Betreuer dazu geklatscht und gesungen, als wäre das Spiel schon vorbei – aber danach ging es mit einer Freude, Lockerheit und der nötigen Überzeugung raus, dieses Spiel zu gewinnen.
3️⃣ Worte, die alle Fussballer glücklich machen?
— FC Zürich (@fc_zuerich) November 28, 2021
🗣 „Zwei Tage frei!“ 🙌🏼
Unser Cheftrainer meldete sich nach dem Sieg per Videobotschaft in die #FCZ-Kabine.#FCZYB #stadtclub #NieUsenandGah pic.twitter.com/avNh4brX54
Welchen Eindruck hatten Sie vom Schweizer Fussball gesamthaft?
Die Ausbildung in der Schweiz ist fantastisch, ganz grundsätzlich, egal ob beim Verband oder den einzelnen Vereinen. Man legt sehr viel Wert auf Details und eine sehr gute Betreuung. Es ist kein Zufall, dass sich deshalb viele Spieler aus der Schweiz in den internationalen Ligen durchgesetzt haben und zu Top-Stars wurden. Das spiegelt sich dann insbesondere in der Nationalmannschaft wider.
Und die Liga?
Ich würde die Super League mit der kroatischen Liga vergleichen. Klasse Einzelspieler auf hohem Niveau. Aber die Liga ist doch eher klein und wird auch so wahrgenommen. Die Schweiz hat etwa neun Millionen Einwohner und ist im Vergleich zu Deutschland mit den 80 Millionen klein. Allein deshalb können die Möglichkeiten schon nicht vergleichbar sein mit der Bundesliga, Premier League oder Serie A. Was aber aus diesen Möglichkeiten gemacht wird, hat mich sehr beeindruckt.
Was gibt es denn zu tun?
Das ist für mich schwierig zu beurteilen. Aber lassen Sie mich sagen, was sich die Schweiz unbedingt erhalten muss: Ich finde, die meisten Klubs zeigen attraktiven Fussball, der Wille ist sichtbar, nach vorne zu spielen, es fallen entsprechend auch viele Tore. Das gilt es zu bewahren. Die Schweiz wird auch in Zukunft eine gute Plattform sein für Spieler und Trainer. Als kleine Empfehlung, auch aus persönlichem Grund: Man sollte dankbar sein für Spieler und Trainer, die hierherkommen und die Liga bereichern – auch wenn sie dann später in eine Topliga weiterziehen.
Haben Sie noch Kontakt mit dem Ehepaar Canepa?
Nein, leider haben wir seit Beendigung meines Engagements keinen Kontakt mehr. Näher möchte ich nicht darauf eingehen. Ich habe aber Kontakt zu Mitarbeitern und Spielern aus dem Meisterjahr, da sind teils freundschaftliche Beziehungen für ewig entstanden. Auch erhalte ich noch heute sehr viele Nachrichten von FCZ-Fans, die mich sehr glücklich machen.
Sie wechselten nach dem Jahr mit dem FCZ in die Bundesliga zu Hoffenheim – wurden dort anfangs der Rückrunde allerdings entlassen. Haben Sie den Wechsel einmal bereut?
Nein. Ich hatte meine Gründe für einen Wechsel, diese haben sich im Rückblick mehr als bestätigt. Es bleibt der beste Saisonstart der Vereinsgeschichte von Hoffenheim. Danach hatten wir grosses Verletzungspech von Top-Spielern, was zu ausbleibenden Ergebnissen und einem Negativlauf geführt hat. Die Geschichte ist relativ einfach zusammengefasst.
Also würden Sie auch im Rückblick alles genau gleich machen?
Auf jeden Fall. Hoffenheim ist ein gut geführter Verein mit top Rahmenbedingungen. Es ist im Fussball manchmal so, dass man auf diesem Niveau nahezu machtlos zusehen muss, wie Verletzungen von Top-Spielern den Erfolg beeinflussen. Dann bleiben Ergebnisse aus und dann ist das Geschäft so, wie es ist, leider. Aber das verändert die Entscheidung davor nicht.
Verfolgen Sie den FCZ der Ausgabe 2023/2024 aus der Ferne mit?
Also ganz einfach ist es aufgrund der EU-Richtlinien nicht, aus Deutschland Spiele der Super League live mitzuverfolgen. Dennoch ist es mir weiterhin wichtig, die Entwicklung des Schweizer Fussballs mit seinen einzelnen Vereinen intensiv zu verfolgen. Insbesondere auf meinen Besuch zum Heimspiel im November, natürlich gegen YB, freue ich mich total. Darüber hinaus macht es mich glücklich zu sehen, dass mit Bo Henriksen ein Trainer gefunden wurde, der dem Team offensichtlich genau das gibt, was es benötigt, um erfolgreich zu spielen.