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Ski: Bis es Tote gibt? Die Kritik am Weltcupprogramm ist widersprüchlich

epa11073325 Aleksander Aamodt Kilde of Norway crashes during the Men's downhill race at the FIS Alpine Skiing World Cup in Wengen, Switzerland, 13 January 2024. EPA/PETER SCHNEIDER
Für Aleksander Aamodt Kilde ist die Saison nach seinem Sturz am Samstag gelaufen.Bild: keystone
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Bis es Tote gibt? Die Kritik am Weltcupprogramm ist widersprüchlich

Drei schwere Unfälle in drei Tagen. Nach den Rennen in Wengen fragen sich viele: Ist der Weltcupkalender überladen? Und wer ist schuld an den Stürzen? Eine Einordnung.
15.01.2024, 07:0815.01.2024, 16:38
Martin Probst / CH Media
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Am Sonntagmorgen teilt Aleksander Kilde ein Bild aus dem Krankenhaus und schreibt: «Ich bin hier und zusammengeflickt.» Der Norweger hat sich bei seinem Sturz im Ziel-S der Lauberhornabfahrt weniger schlimm verletzt als befürchtet.

Zurück bleiben Prellungen. Eine Schnittwunde an der Wade und eine ausgekugelte Schulter wurden bereits operiert. Kilde schreibt: «Dieser Sport kann brutal sein, aber ich liebe ihn noch immer.»

Die Frage, die sich viele stellen

Dreimal an drei Tagen flog der Rettungshelikopter über den Zielraum von Wegen. Am Donnerstag wurde Marco Kohler ins Krankenhaus gebracht. Diagnose: Totalschaden im Knie. Am Freitag traf es Alexis Pinturault. Auch er erlitt einen Kreuzbandriss. Am Samstag ist Kilde an der Reihe.

Im TV ist zu hören, wie Marco Odermatt sagt: «Ich hoffe, dass es eine Lektion ist, hier nie mehr drei Rennen zu fahren.» Es ist seine Antwort auf die Frage, die sich in Wengen viele aus dem Skiweltcup stellen: War das alles zu viel?

Die meisten haben eine klare Meinung: «Ja», sagt FIS-Renndirektor Markus Waldner. «Ja», sagt OK-Präsident Urs Näpflin. Deutlicher wird Christian Schwaiger, der Cheftrainer des deutschen Männerteams. «Wenn wir die Wochenenden so mit Rennen überfrachten, fordern wir heraus, dass noch richtig schlimme Dinge passieren», sagte er der Deutschen Presseagentur. Was, sagte er nicht. Aber es ist klar, was er meint: Tote.

45 Rennen in einem Winter

Bei der Frage, wer schuld ist an der derzeitigen Situation, landet man schnell bei einem Mann: Johan Eliasch. Der Schwede ist seit Juni 2021 Präsident des Internationalen Skiverbandes und hat seither nur ein Ziel: den Skisport grösser und globaler machen. Das Motto: immer mehr. Der Fussball dient als Vorbild. Was jene, die täglich mit dem Skiweltcup um die Welt reisen, davon halten, ist kein offenes Geheimnis: überhaupt nichts.

epa10457462 Fourth placed Marco Odermatt (R) of Switzerland talks with Johan Eliasch, President of the International Ski Federation, FIS, during the medal ceremony for the Men's Super-G race at t ...
In der Kritik: FIS-Präsident Johan Eliasch, hier mit Marco Odermatt.Bild: keystone

Ganz direkt will zwar niemand Eliasch nennen. Aber es passiert zwischen den Zeilen. Odermatt sprach in Val d'Isère von Clowns bei der FIS. Waldner sagt: «Solange der Weltcupkalender so überladen ist, werden wir unter meiner Führung keine Rennen mehr nachholen.» 13 Abfahrten waren für diesen Winter geplant. 45 Rennen insgesamt. Schwaiger sagt: «Das Programm, das wir derzeit fahren, ist Wahnsinn. Das Übel startet bei der Kalenderplanung. Diese machen leider nicht Experten, sondern andere.»

Seit 1967 gibt es den Weltcup. Meistens wurden deutlich weniger Rennen gefahren. Doch ein einsamer Rekord ist dieser Winter nicht. In der Saison 1985/86 wurden schon einmal 13 Abfahrten durchgeführt. Für die Saison 2015/16 wurden sogar 46 Rennen geplant, 44 Rennen fanden statt, darunter 11 Abfahrten. Und auch drei Speedrennen in Wengen gab es schon. 2022 fanden ebenfalls zwei Abfahrten und ein Super-G statt.

Hört die FIS den Stars zu?

Ist die Kritik an der FIS also gar nicht berechtigt? Fehlt den Athleten vielmehr die Selbstverantwortung? Schliesslich gibt es keinen Zwang, ein Rennen zu bestreiten. Kilde war in dieser Woche angeschlagen. Hat er sich übernommen? Odermatt sagte in Val d'Isère: «Wenn ich ein Rennen auslasse, ist der Disziplinensieg vielleicht weg.» Diese Denkweise ist nachvollziehbar. Für die Athleten geht es um viel. Nicht zuletzt um Geld.

epa11073722 Marco Odermatt of Switzerland in action during the Men's downhill race at the FIS Alpine Skiing World Cup in Wengen, Switzerland, 13 January 2024. EPA/JEAN-CHRISTOPHE BOTT
Ein Fan-Meer fiebert mit Marco Odermatt mit. Bild: keystone

Waldner betont darum auch immer wieder, dass es die Athleten sind, die Ersatzrennen fordern. Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann sagt: «Es ist doch paradox, wenn ein Athlet sagt, er verdiene zu wenig, sich dann aber über Rennen beschwert.»

Wer ist also schuld? So einfach ist die Antwort nicht. Es bräuchte den Dialog. Die Unzufriedenheit der Athleten über die FIS ist spürbar. Athleten wie Odermatt oder Kilde scheuen sich nicht, ihre Meinung zu äussern. Dafür verdienen sie Applaus. Aber hört die FIS zu?

Es wäre zu wünschen, dass der Internationale Skiverband die Athleten deutlicher in die Planung miteinbeziehen würde. Gleichzeitig müssen sich die Sportler bewusst machen, dass ihre Forderungen widersprüchlich sind. Im Moment wird viel kritisiert und wenig gesprochen. Eine Lösung kann es allerdings nur gemeinsam geben. Also sollten alle Parteien an einen Tisch.

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53 Kommentare
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Frechsteiner
15.01.2024 07:25registriert März 2019
Der Kalender wäre nicht überladen. Man müsste halt einfach Rennen ansetzten, die man auch durchführen kann und nicht die Märchen-Abfahrt von Zermatt.

So hat man die ganze Zeit stress, die 2 Rennen noch nachzuholen.
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Only G
15.01.2024 07:47registriert Dezember 2016
Die Denke von Lehmann ist paradox. Wenn ein guter aber nicht hervorragender Skifahrer auf jedes Rennen angewiesen ist um finanziell über die Runden zu kommen ist das System falsch. Selbst dem Veranstalter in Wengen gelingt es ja nur knapp zu überleben weil…. die Vermarktungserträge beim Verband landen.
Ein Odermatt oder Kilde steht nicht wegen der Kohle an jedem Start, die pushen sich so sehr mit so hoher Konstanz, wenn einer auf ein Rennen verzichtet ist die Kugel vielleicht schon weg. Odermatt läuft die zweite Saison auf einem 80er Punkte Schnitt!
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arni99
15.01.2024 09:10registriert Juli 2016
Speedrennen ist eine hochrisiko Sport. Schlimme Unfälle gibt es seit es Rennen gibt. Die Verbesserungen an der Sicherheit, werden durch die Verbesserungen am Material wieder ausgeglichen (von den Fahrern gewünscht). Die 2 Stürze am Do. und Fr. dürfen nichts mit Müdigkeit zu tun haben, ansonsten haben die Fahrer nichts im Weltcup zu suchen (zwei Speedrennen gab es schon oft). Der Sturz von Kilde ist die Folge von nicht fit am Start (ich bin sicher wenn fit, fährt er von der Kraft her, problemlos drei Rennen am Stück). 3 Rennen wird es nicht mehr geben Denn im Nachhinein ist man klüger.
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