Die Weltspiele der Behindertensportler werden wohl ohne royalen Glanz auskommen müssen. Am Montag sagte Prinz Edward, der jüngste Sohn der Queen und Schirmherr des britischen Behindertensports, seinen geplanten Besuch der Paralympics in Sotschi ab. Tags darauf schloss sich ihm Prinzessin Margriet an, die Tante des niederländischen Königs Willem Alexander, und auch die schwedische Kronprinzessin Victoria will nicht nach Russland reisen.
Because of the serious situation in Ukraine, @WilliamJHague & I believe it would be wrong for UK Ministers to attend the Sochi Paralympics.
— David Cameron (@David_Cameron) 2. März 2014
Mit der angespannten Lage in der Ukraine und der Eskalation auf der Halbinsel Krim sind die Paralympics definitiv zum Politikum geworden. Der britische Premierminister David Cameron teilte bereits am Sonntag auf Twitter mit, ein Besuch der Spiele in Sotschi wäre für britische Minister falsch.
Die kanadische Regierung zog am Montag nach, und US-Präsident Barack Obama liess mitteilen, dass das Weisse Haus keine Delegation zu den Paralympics schicken werde. Gleichzeitig bekundete er seine «starke Unterstützung» für die US-Athleten.
Obamas Statement verdeutlicht den Balanceakt, den die Paralympics darstellen. Einerseits ist der Unmut gross über das aggressive Vorgehen Russlands gegenüber der Ukraine. Doch gleichzeitig wäre es stossend, ausgerechnet die handicapierten Sportler büssen zu lassen, nachdem die Elite an den Olympischen Spielen in Sotschi teilnehmen konnte. «Wir haben eine Verantwortung für die Athleten, die sich vier Jahre lang vorbereitet haben,», sagte Christof Baer, der Missionschef der Schweizer Paralympics-Delegation, dem «Blick».
Als einziges grosses Medium fordert die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» unter dem Titel «Wegbleiben, nicht wegsehen!» offen einen sportlichen Boykott der Paralympics. Andere Medien üben harsche Kritik an der Putin-Show auf Kosten der Behinderten, schrecken aber vor einem Boykottaufruf zurück. Auch Bundesrat Alain Berset hält an seiner geplanten Sotschi-Reise vorerst fest, wie ein Sprecher dem «Blick» erklärte: «Das kann sich aber je nach Entwicklung der Lage auf der Krim noch ändern. Wir verfolgen die Geschehnisse eng und mit Besorgnis.»
Mit einem mulmigen Gefühl sind viele der rund 600 Sportlerinnen und Sportler nach Sotschi gereist, das nur etwa 500 Kilometer von der Krim entfernt liegt. Auch die Schweizer Delegation befindet sich bereits vor Ort. «Die Sicherheit und das Wohlbefinden der Athleten und Offiziellen haben für uns oberste Priorität», sagte Sir Philip Craven, der Präsident des Internationalen Paralympics-Komitees (IPC). Man hoffe, dass es für die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine eine gewaltfreie Lösung «im Geiste des olympischen Friedens» gebe.
Auf das Prinzip Hoffnung setzt auch Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensport-Verbands (DSB). Wladimir Putin habe die Paralympics im Auge: «Bei einem Militärschlag würde er noch bittere Lorbeeren bekommen.»
Wunschdenken oder Realismus? An seiner Medienkonferenz am Dienstagmittag war der russische Präsident offensichtlich bemüht, die Wogen zu glätten. «Bisher gibt es eine solche Notwendigkeit nicht», sagte Putin zu einem möglichen russischen Militäreinsatz in der Ukraine.
Selbst wenn es zu einer Entspannung kommt: Die Krise in der Ukraine wird die Paralympics überschatten. Vielleicht aber verschafft sie den Spielen der Behinderten für einmal eine gewisse Beachtung. In der Regel finden sie praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Oder wie es Leser des «FAZ»-Kommentars undiplomatisch-direkt ausdrückte: «Ich sage es nicht gerne – aber: Wen interessieren die Paralympics?»