In den unteren Schweizer Ligen entscheidet bei Punktgleichheit nicht die Tordifferenz oder die Direktbegegnung, sondern zuerst die Anzahl Strafpunkte. Wer sich besonders fair verhält, wird zudem mit der Teilnahme in der Hauptrunde beim Schweizer Cup belohnt. Doch nicht alle halten sich beim Kartensammeln vornehm zurück, wie ein Blick in die Strafpunkte-Statistiken zeigt.
Gezählt wurden alle Verbandsspiele der Saison 2022/23. Also nicht nur Meisterschaftsspiele, sondern auch Cup-Partien und allfällige Entscheidungsspiele.
Strafpunkte gibt es für alle möglichen Vergehen. Unten eine kleine Auswahl, die ganze Liste gibt es hier:
Die Regionalverbände führen die Fairplay-Ranglisten auf ihren Websites. Aufgrund der unterschiedlichen Anzahl Partien wird auch der Koeffizient pro Partie ausgerechnet. Wir verwenden hier diesen für die Rangfolge.
Im Schnitt aller Teams kassiert eine Mannschaft pro Partie drei Strafpunkte, auf die Saison gerechnet (unterschiedliche Anzahl Partien) sind es rund 62.
Beginnen wir mit den positiven Seiten. Das fairste Team der Schweiz war in der abgelaufenen Saison der SC Wohlensee 2b. Sechs Gelbe Karten kassierten die Berner (übrigens der Jugendklub von watson-Sonnenschein Nico Franzoni) in 22 Partien nur. Das macht einen Koeffizienten von 0,273. Trainer Harry Voigt freut sich natürlich, auch wenn er sagt: «Über die Strafpunkte gewinnt man keine Spiele. Ich bin jedoch stolz darauf, dass es mit wenig Strafpunkten trotzdem zu einem Mittelfeldplatz gereicht hat. Schliesslich ist es unsere erste Saison in der 4. Liga.»
Ein Gesprächsthema sei die Fairplay-Wertung bei ihnen nicht. Sie würden aber seit Jahren wenige Strafpunkte kassieren. Das ging so weit, dass das Team in der lokalen Zeitung vor ein paar Jahren als «Die Lämmer vom Wohlensee» bezeichnet wurde. Damals gab es erst am letzten Spieltag der Vorrunde einen Strafpunkt – das schaffte zuvor kein Team.
Interne «Strafen» gebe es keine. Aber Voigt muss zugeben: «Einen der Strafpunkte habe ich kassiert, weil ich jede Aktion kommentiert habe. Da haben sich die Jungs natürlich lustig über mich gemacht.»
Warum sein Team aber so fair spielt, kann sich der Coach erklären: «Wohlensee hat keine A-Junioren-Mannschaft. Wir sind vor zirka fünf Jahren den B-Junioren entwachsen und haben als Aktivmannschaft in der 5. Liga gestartet. Unsere körperliche Unterlegenheit haben wir durch spielerische Fähigkeiten ausgeglichen und anstelle des Zweikampfes den Ball laufen lassen. Die Mannschaft ist zu Grossteilen noch die gleiche.» (Vielleicht könnte unser Nico Franzoni da noch etwas Erfahrung mitbringen, wenn er zu seinem Jugendklub zurückkehren würde.)
Der SC Wohlensee hat den tiefsten Strafpunkte-Koeffizienten, am wenigsten Gelbe Karten sahen aber zwei andere Teams. Die 5.-Ligisten SC Basel Nord und FC Union-Sportive Montfaucon 2 mussten von Schiedsrichtern nur fünfmal verwarnt werden. Bei weniger Partien liegt der Koeffizient aber leicht höher (0,313).
Basel-Nord-Trainer Benjamin von Falkenstein und seinem Co-Trainer Davide de Santis war bewusst, dass sie zu den fairsten Teams gehören: «Wir legen Wert darauf, fair zu spielen. Wir stehen auf dem Platz, um Spass zu haben, nicht um zu pöbeln und nachher Bussgelder für Karten zu bezahlen.»
Als «Geheimnis» nennt er den guten Teamspirit, man könne auch mit Niederlagen umgehen. «Wir wollen natürlich jedes Spiel gewinnen, im Vordergrund steht aber die Freude am Fussball. Wir spielen in der 5. Liga. Es wäre ein bisschen absurd, würden wir jedes Spiel mit der Härte einer Champions-League-Partie angehen.» Dabei lieferten die Kicker aus Basel Nord eine erfolgreiche Rückrunde. In der Vorrunde wurde zwar die Aufstiegsgruppe knapp verpasst, in der Rückrunde siegte man dann aber sechsmal und spielte einmal unentschieden (eine Partie ohne Wertung) – Rang 1.
Verständnis für Teams mit vielen Strafpunkten hat von Falkenstein wenig. Sein Tipp: «In unserer Liga ist Fussball ein Hobby, das allen Spass machen soll. Weder Gegner noch Schiedsrichter haben Lust, am Sonntagmorgen beleidigt oder sogar verletzt zu werden.»
Auch beim FC Union-Sportive Montfaucon 2 freut man sich über die Nachricht, wie Jean-Marc Bueche auf Anfrage schreibt: «Wir betonen den Wert von Fairplay immer wieder. Brutalität führt zu noch mehr Brutalität. Das wollen wir nicht.»
Beim Montfaucon wurde man 2017 für die Fairness belohnt. Damals kam die erste Mannschaft dank dieser Wertung in die Schweizer-Cup-Hauptrunde und durfte gegen Xamax antreten. Damals gab's zwar ein 0:21, was Schweizer Cup-Rekord bedeutete. Aber das Spiel und der Event bleiben trotzdem in positiver Erinnerung.
Am anderen Ende der Tabelle befindet sich der FC Vully-Sport II. Der Freiburger 5.-Ligist konnte in dieser Saison zwar den Aufstieg feiern, muss aber mit 529 Strafpunkten auch den Titel des unfairsten Teams tragen.
Was war geschehen? Auf Anfrage teilt der Verband mit: «Ein Spieler beging eine Gewalttat gegen einen Gegner. Angesichts der Situation wurde eine dreijährige Sperre ausgesprochen, die das Team von Vully 483 Fairplay-Punkte gekostet hat.»
Eine Anfrage bei Vullys Präsident Olivier Hirschi bringt noch etwas mehr Licht in die fragliche Szene. In der 85. Minute sei einer ihrer Spieler provoziert worden. Ein Mitspieler, der auch Kickboxen betreibt, kam ihm zu Hilfe und beendete die Auseinandersetzung mit zwei bis drei Schlägen. «Der gegnerische Spieler war leicht am Kopf verletzt, die Partie wurde abgebrochen», erinnert sich Hirschi.
Der Schiedsrichter gab erst zwei Spielsperren, der gegnerische Klub akzeptierte dies aber nicht und die Strafe wurde später auf eine dreijährige Sperre für den Spieler erhöht.
483 der 529 Strafpunkte sind auf dieses Spiel zurückzuführen, wie der Verband schreibt. Insgesamt holte sich das Team vier Rote Karten während der Saison. Was auch nicht gerade wenig ist – vor allem, wenn man ganz vorne mitspielt.
Auch unter den Teams mit sehr vielen Strafpunkten befindet sich der FC Thun. Dieser stellt auch ein 5.-Liga-Team. Eine Antwort, wie die 329 Strafpunkte zustande kamen, steht noch aus.
Oben zeigte sich schon, dass die unfairsten Teams selten mit hartem und unfairem Spiel viele Strafpunkte kassieren, sondern «durch Worte, Lästereien und Übertemperament», wie SC-Wohlensee-Trainer Harry Voigt sagt. Oder kurz: «Ein ruhiges Gemüt hilft.»
Aber spielt vielleicht auch noch die Ligazugehörigkeit eine Rolle? Die folgende Statistik sagt deutlich: Ja. Je höher das Niveau, desto mehr Strafpunkte werden vergeben. So werden in Partien der 2. Liga im Schnitt fast 2 Strafpunkte mehr vergeben als in Partien der 5. Liga.
Schauen wir noch etwas genauer hin. Welches ist die fairste Liga auf Regionalverbandsebene? Hier schwingt die 5. Liga aus Solothurn oben aus. Fairste 4. Liga ist diejenige des Fussballverbands Bern/Jura, sie liegt nur knapp hinter der eigenen 5. Liga.
Auch in den 3. Ligen sind jene Teams des solothurnischen Fussballverbands diejenigen mit den wenigsten Strafpunkten, in der 2. Liga braucht es im Innerschweizer Fussballverband am wenigsten Bestrafungen.
Die vier unfairsten Spielklassen sind alle aus der 2. Liga. Die Klubs aus dem Wallis sammelten dabei fast 6 Strafpunkte pro Partie.
Doch nicht nur die Ligastärke, auch die Verbandszugehörigkeit spielt eine Rolle. So werden im Neuenburger und Tessiner Fussball im Schnitt nur rund zwei Strafpunkte über alle Stärkeklassen hinweg verteilt. Wohingegen im Fussballverband Region Zürich am meisten Bestrafungen ausgesprochen werden müssen.
Finde deinen Klub aus der 2. bis 5. Liga hier in der Tabelle. Einfach den Namen ins Suchfeld eingeben und du erhältst alle Angaben zu deinem Verein.
YB98
Kleiner Hinweis dazu, der Schiedsrichter gibt überhaupt keine Sperren, das macht der Verband aufgrund des Berichtes des Schiedsrichters. Ich bin selbst Schiedsrichter und habe keine Ahnung wie die Sperren berechnet werden xD
Radio Eriwan
„In der 85. Minute sei einer ihrer Spieler provoziert worden. Ein Mitspieler, der auch Kickboxen betreibt, kam ihm zu Hilfe und beendete die Auseinandersetzung mit zwei bis drei Schlägen…“
Waren ,andere‘ schuld?
Caligula