Am 27. Oktober gab Lucas Braathen an einer Pressekonferenz unter Tränen bekannt, dass er nicht länger im Weltcup mitfahren wird. «Damit ich in diesem System weiterfahren kann, musste ich nicht nur meine Träume aufschieben. Ich musste auch meine Freude aufschieben. Ich bin nicht mehr bereit, das zu tun», sagte der Norweger damals vor den Medien.
Der junge Skifahrer rechnete damals auch mit dem norwegischen Skiverband ab, von dem er sich «extrem provoziert» und «respektlos» behandelt gefühlt habe.
Seit dieser Nachricht, die im Skizirkus für Aufsehen gesorgt hatte, sind nun knapp drei Monate vergangen. Vor dem Rennwochenende in Kitzbühel hat der Norweger mit der österreichischen Kronen Zeitung über die Zeit nach seinem Rücktritt gesprochen.
Mit Kitzbühel verbindet der 23-Jährige besondere Erinnerungen. Im österreichischen Skiort erlebte er nicht nur seinen ersten Auftritt im Weltcup, sondern es ist auch der Ort, an dem er mit seinem Vater die ersten Schritte auf den Ski machte. «Er hat hier gelebt und mich hier zum Skifahren gebracht», erzählt er. Seine Liebe zu diesem Sport entwickelte der Norweger anscheinend aber erst später: «Als ich ein Kind war, habe ich das Skifahren gehasst, es war überhaupt nicht meins», verrät er.
In seinem ersten Slalom in Kitzbühel sorgte er 2020 bereits für ein Ausrufezeichen. Mit der Startnummer 34 gestartet, war er im ersten Lauf der Schnellste und verpasste das Podest mit einem vierten Platz schliesslich nur knapp. Braathen kann sich noch gut an diesen Tag erinnern: «Es erwarteten mich Tausende Menschen sowie Arnold Schwarzenegger auf der Tribüne. Und wenige Stunden später führte ich im ersten Durchgang – das war einfach surreal».
Seinen ersten Weltcupsieg feierte der Norweger dann am 18. Oktober 2020 im Riesenslalom von Sölden. 2022 folgten Siege in den Slaloms von Wengen und Val d'Isère, 2023 konnte der Ausnahmekönner den Riesenslalom von Alta Badia für sich entscheiden. Den letzten Sieg vor seinem Rücktritt errang der 23-Jährige vor rund einem Jahr beim Slalom in Adelboden.
Auch Wengen bleibt dem Skifahrer in besonderer Erinnerung. Umso schwieriger sei es gewesen, dieses Jahr nicht mit dabei zu sein: «Wengen letztens zu sehen, wo wir schon so viel Geschichte geschrieben haben, war schwer», sagte er im Interview.
Sein Rücktritt, so Braathen, habe nicht mit dem Skisport per se zu tun, sondern vielmehr mit dem System dahinter: «Meine Liebe zum Skifahren und zum Skirennsport war bis zuletzt vorhanden, aber ich befand mich in einem System, in einer Situation, in der es mir nicht gut ging. Und ich habe erkannt, dass ich eigentlich ziemlich unglücklich bin.»
Er habe immer drei Ziele vor Augen gehabt, erzählt Braathen: «Eines davon war, der beste Skifahrer der Welt zu werden. Das zweite Ziel war, der Szene im Skisport etwas zurückzugeben. Und das dritte Ziel war, über den Sport hinauszugehen und etwas zu bewirken.» Er habe immer versucht, seinen eigenen Weg zu gehen, es sei ihm aber nicht gelungen, über den Sport hinaus etwas zu bewirken, und er «musste daher aussteigen».
Bevor Braathen seine Entscheidung zum Rücktritt vor dem Auftakt in Sölden an einer Pressekonferenz bekannt gab, informierte er seine Sponsoren persönlich und reiste dafür durch halb Europa: «Das ist nichts, das man am Telefon erledigt», begründet er seine Herangehensweise. Auch seine Teamkollegen informierte er im Vorfeld: «Wir fühlten uns immer wie Freunde, die sich am Startgate kurzzeitig in Konkurrenten verwandeln. Ich erinnere mich, als ich und meine Teamkollegen bei meinem Rücktritt alle gemeinsam im Hotelzimmer sassen und weinten – es war so schrecklich, und doch so schön», erinnert er sich an diesen speziellen Moment.
Nach diesem grossen Schritt, so erzählt der Norweger, habe er sich viele Gedanken gemacht, hinter seiner Entscheidung könne er aber nach wie vor stehen: «Man hat immer Angst, weil man nicht weiss, wie man sich nach einiger Zeit fühlen wird. Also war ich sehr nervös, ob ich es etwa sofort bereuen werde. Aber ich habe definitiv das Gefühl, dass es richtig war, aus der Situation, in der ich mich befand, auszusteigen. Mit jedem Tag, der vergeht, geht es mir besser».
Seine freie Zeit nutzt Braathen nun für Dinge, für die vorher neben den Weltcuprennen wenig Platz war. So besuchte der Norweger mit brasilianischen Wurzeln beispielsweise vor kurzem seine Familie in Südamerika.
In Kitzbüehl wird Braathen dieses Jahr nur als Zuschauer zugegen sein. Das Rennen mal von der anderen Seite mitzuverfolgen, rufe zwar gemischte Gefühle hervor, erklärt Braathen, mitfiebern wird er aber so oder so: «Ich werde jedenfalls jeden einzelnen Athleten anfeuern, der eine Show für die Zuschauer abzieht. Es wird bestimmt cool.»
Was seine Zukunft angeht, sei er offen. Momentan widme er sich kreativen Projekten mit Oakley, Atomic und Red Bull: «Ich darf somit neue Erfahrungen erleben und hoffe, dass diese mir helfen werden, eine Entscheidung zu treffen, was ich künftig möchte, also was mein Hauptweg sein soll.»
Egal, was noch kommen wird, der Norweger sieht seiner Zukunft gelassen entgegen: «Das Einzige, was ich sicher weiss, ist, dass ich es auf meine eigene Art und Weise machen werde – und genau das war es, was zu dieser Entscheidung geführt hat.» (kat)