414 Tage sind vergangen, seit Belinda Bencic im Herbst 2023 in San Diego letztmals einen Tennismatch bestritten hat. Im April wurden sie und ihr Verlobter Martin Hromkovic Eltern von Tochter Bella. Nun kehrt die 27-Jährige bei einem Turnier in einem Hamburger Aussenviertel auf den Platz zurück. Am Mittwoch trifft sie auf die Russin Julia Awdejewa (WTA 238).
Im Norden Deutschlands können sie ihr Glück kaum fassen, dass Bencic, einst die Nummer 4 der Welt, zweifache Halbfinalistin bei einem Grand-Slam-Turnier und Einzel-Olympiasiegerin von 2021, ausgerechnet beim Turnier in Hamburg antritt. Neben dem Schweizer Fernsehen wollen auch die TV-Sender Sat 1 und NDR mit der frischgebackenen Mutter sprechen.
Belinda Bencic kehrt früher zurück, als allgemein erwartet worden war. Möglich sei das, weil ihr Verlobter ihr in der Betreuung viel abnehme und auch die beiden Grossmütter eine grosse Unterstützung seien. Ihre Tochter Bella sei fast überall dabei: Wenn sie auf dem Platz stehe, aber auch dann, wenn sie im Fitnesscenter an ihrem Körper feilt. «Dazu muss ich sagen, dass Bella ein sehr glückliches Baby ist. Sie lässt mich nachts schlafen, was grossartig ist. Das ermöglicht es mir, mich aufs Training zu konzentrieren.»
Im Hamburg spiele sie, weil sie herausfinden wollten, wie sie künftig die Bedürfnisse der Familie und das Leben als Tennisspielerin vereinbaren will, sagt die Ostschweizerin, die nie Zweifel aufkommen liess, dass sie ihre Karriere fortsetzen will. Natürlich sei es eine grosse Herausforderung, «aber wir sind kein Spezialfall. Es gibt Millionen Mütter auf der ganzen Welt, die es schaffen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen.» Die Reise nach Hamburg sei Tochter Bellas erster Flug gewesen, sagt Bencic.
Gefordert gewesen sei auch ihr Verlobter, der auch ihr Fitnesstrainer ist und sich neues Wissen habe aneignen müssen, zum Beispiel zum Thema Beckenbodentraining. Angefangen, sich zu bewegen, habe sie bereits zwei Monate nach der Geburt, erst für 10 Minuten, dann für 15. «Es war ein sehr langsamer, behutsamer Einstieg. Nach der Schwangerschaft fühlt sich der Körper anders an, und ich musste lernen, auf ihn zu hören», sagt Bencic.
Sie geniesse die Fortschritte und den Prozess, sagt Bencic, aber «natürlich» sei sie noch nicht in Bestform. Erreichen will sie diese Ende Jahr, wenn sie in Australien den United Cup und im Anschluss die Australian Open spielt.
Zwar sagt Bencic, sie wolle immer noch die beste Spielerin der Welt sein und sie finde es inspirierend, wie andere Mütter die Rückkehr geschafft hätten. «Doch nun sehe ich die Welt von einer anderen Seite. Bisher war das Tennis mein Ein und Alles. Nun bin ich viel entspannter. Ich sehe es als meinen Beruf, den ich immer noch sehr liebe und sehr gerne mache.»
An ihren hohen Zielen habe sich durch die Pause und die Mutterschaft nichts geändert. «Ich will immer noch zur Weltspitze gehören», sagt sie. Seit Belinda Bencic als Zweijährige erstmals einen Schläger in den Händen hielt, verfolgt sie ein Ziel: ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen. «Ich will das unbedingt. Und ich werde es schaffen, noch bevor ich das Racket für immer weglege. Ich habe noch Zeit», sagte sie im Herbst 2022.
Doch gerade dort ist ihre Bilanz bescheiden: In 33 Anläufen ist sie nur drei Mal über die Achtelfinals hinausgekommen. Ihr bestes Resultat gelang ihr 2019 bei den US Open, als sie den Halbfinal erreichte. 2023 scheiterte sie drei Mal in der zweiten Runde, einmal verlor sie schon in der Startrunde.
Nur sieben Frauen haben als Mütter die Australian Open, die French Open, in Wimbledon oder bei den US Open den Titel gewonnen. In Wimbledon, beim Lieblingsturnier von Bencic, ist das bisher nur einer Frau gelungen: Evonne Goolagong 1980. Alle sieben haben eines gemeinsam: Sie gewann schon vor der Geburt ihres ersten Kindes ein Grand-Slam-Turnier.
Immerhin hilft Bencic bei der Rückkehr eine Anfang 2019 zum Schutz von Müttern eingeführte, neue Regel. Diese haben bis zu drei Jahre nach der Geburt des Kindes Anspruch auf ein geschütztes Ranking, zuvor lag das Maximum bei zwei Jahren nach dem letzten Turnier. Belinda Bencic kann 2025 bei zwei Grand-Slam-Turnieren, 5 von 10 Masters-Turnieren und bei insgesamt acht Turnieren auf ein geschütztes Ranking zurückgreifen. (aargauerzeitung.ch)