Seit zwei Jahren befindet sich Roger Federer im Vorhof zum Rücktritt. 19 Partien hat er in diesem Zeitraum bestritten, die letzte am 7. Juli 2021 bei seiner Niederlage im Viertelfinal von Wimbledon. Mehrfach musste sich der inzwischen 40-Jährige am Knie operieren lassen. Erst kürzlich stieg er wieder ins Training ein. Wann er zurückkehrt, ist offen. Wimbledon wird er verpassen. Sein Ziel: die Teilnahme am von ihm initiierten Laver Cup.
A Fedal Comeback.
— Laver Cup (@LaverCup) February 3, 2022
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Für Roger Federer ist das Format eine Herzensangelegenheit. Er versteht es als seine Liebeserklärung ans Tennis. Sein persönliches Vermächtnis. Als Antwort auf die Frage, wie man die Ikonen der Geschichte ehrt, die Gesichter der Gegenwart und die Stars der Zukunft zusammenbringt. Als Festakt des Sports. Als Denkmal für Rod Laver, den Australier, den Federer verehrt. Und ja, vielleicht auch ein wenig für sich selbst. Weil er das Bedürfnis hat, dem Sport etwas zu hinterlassen, das ihn überdauert.
Obwohl er noch bis Juni dem Spielerrat angehört, spielte Federer in den letzten zwei Jahren im Tennis vordergründig keine Rolle mehr, wenn er nicht selber an einem Turnier teilnahm. Nur eine Ausnahme machte er. Im letzten Herbst, kurz nach einem weiteren Eingriff am Knie, sass Federer im Publikum, als der Laver Cup in Boston gastierte. Federer ging damals, kurz nach einem Eingriff am Knie, an Krücken. Er musste Fragen nach seinem Befinden erdulden, und schlimmer: er erweckte bei vielen Mitleid. Dass Federer das auf sich nahm, zeigt, wie wichtig ihm der Laver Cup ist.
Unermüdlich lobbyiert Federer seit dessen Premiere 2017 in Prag für den Kontinentalwettbewerb und schmiedet Allianzen, um ihn für eine Zukunft ohne ihn, Rafael Nadal oder Novak Djokovic abzusichern. Der wichtigste Zug gelang ihm im Frühling 2019, als der Laver Cup ein offizieller ATP-Event wurde, bei dem es neben einer Antrittsgage im siebenstelligen Bereich und 250'000 Dollar Preisgeld, auch Weltranglistenpunkte gibt.
Seither hängen für Roger Federer dunkle Wolken über dem Laver Cup. 2020 fiel er der Corona-Pandemie zum Opfer, 2021 fehlte Federer wegen einer Verletzung. Und nun tobt in der Ukraine ein militärischer Krieg, der im Rest der Welt auf politischer, ökonomischer und diplomatischer Ebene geführt wird. Die Fronten sind verhärtet, es droht ein Kampf der Systeme.
Das betrifft auch den Sport. Russische und belarussische Vereine und Sportlerinnen werden von Wettbewerben ausgeschlossen. Mit Wimbledon verweigert das älteste und bedeutendste Tennisturnier Russinnen und Weissrussen die Teilnahme. Möglicherweise griffen die Organisatoren damit der britischen Regierung vor, die einen harten Kurs gegen Russland Aggressor fährt, Waffen an die Ukraine liefert, Vermögen einfriert, den Handel einschränkt und Russen mit einer Einreisesperre belegt.
Der Laver Cup ist ein Kontinentalduell zwischen dem Team Europa und dem Team Welt. In Anbetracht der sich verändernden geopolitischen Lage ist das Format anfällig dafür, ideologisch instrumentalisiert zu werden. Die Teams bestehen aus je sechs Spielern, wovon die Captains (Björn Borg für Europa und John McEnroe für das Team Welt) die Hälfte nach ihrem Gusto nominieren können. Die anderen drei Plätze werden von den jeweils drei nach den French Open (bis 5. Juni) in der Weltrangliste Bestklassierten eingenommen. Für Europa wären Daniil Medwedew (ATP 2) und Andrei Rublew (ATP 8) ein Thema. Zwei von Wimbledon ausgeschlossene Russen.
Zudem findet der Laver Cup, der Bühne der Rückkehr von Roger Federer werden soll, in diesem Jahr in London (23. bis 25. September) statt. Es ist fraglich, ob Medwedew und Rublew einreisen können. Wimbledon hatte die Ausladung zudem mit Sicherheitsbedenken begründet. Überlegungen, die auch die Organisatoren des Laver Cups berücksichtigen müssen.
Federer und der Laver Cup stecken in einer klassischen Zwickmühle, der Russland-Falle: Werden Medwedew und Rublew ausgeschlossen, oder sie verzichten aus freien Stücken, fehlen zwei der Besten Spieler. Zudem setzt man sich dem Vorwurf der Parteinahme aus. Und man verärgert den wichtigsten strategischen Partner, die ATP. Die Profiorganisation der Männer hat den unilateralen Entscheid Wimbledons als diskriminierend verurteilt. Russen und Weissrussen können weiterhin unter neutraler Flagge an von der ATP organisierten Turnieren teilnehmen.
Beim Laver Cup geht das nicht. Er baut auf der sportlichen Konkurrenz zwischen den Erdteilen auf: zwischen Europa und der Welt. Wer welchem Lager angehört, kann nicht von der Nationalität entkoppelt werden.
Schliesst der Laver Cup die beiden Russen nicht aus, läuft er Gefahr, von politischen Diskussion überschattet, oder sogar instrumentalisiert zu werden. Beides ist nicht im Interesse der Teilnehmer und Organisatoren.
Wir wollten von den Organisatoren des Laver Cups wissen, wie sie das verhindern wollen, welche Überlegungen sie sich machen und mit den Herausforderungen umgehen. Folgende Fragen wurden am Donnerstag am Mittag zugestellt. Sie blieben auch auf Nachfrage unbeantwortet.
Im Gegensatz zum Weltranglistenersten Novak Djokovic, der in Belgrad am Rand seines Heimturniers den Ausschluss in Wimbledon kritisiert hat, hatte Federer bisher keine Gelegenheit, sich zu dieser Frage zu äussern.
Mitte März hatte der vierfache Vater mitgeteilt, «War Child Holland» mit einer halben Million Dollar zu unterstützen, um ukrainischen Kindern den Zugang zu Schulunterricht zu ermöglichen. «Meine Familie und ich sind von den Bildern aus der Ukraine geschockt und untröstlich wegen der unschuldigen Menschen, die so fürchterlich betroffen sind», schrieb der 40-Jährige. «Wir stehen für Frieden.» Gegen geopolitische Verwerfungen wie den Krieg in der Ukraine ist auch Federer mit dem Laver Cup nicht geschützt. Der Umgang damit dürfte zur echten Herausforderung werden.
Watson, bitte übernehmen sie!