Als sie jüngst in Madrid im Halbfinal von Coco Gauff vorgeführt wurde, liess sich für einen Moment erahnen, welchem Druck Iga Swiatek derzeit ausgesetzt ist. Minutenlang verbarg sie ihr Gesicht in einem Handtuch. Als sie es wieder abnahm, war klar: Sie hatte bitterlich geweint. Später wurde bekannt, dass ihr Grossvater kurz vor Turnierbeginn verstorben war.
Vielleicht waren es auch noch Tränen der Enttäuschung, Tränen der Wut, Tränen der Verzweiflung, weil sie auch sportlich nicht mehr in die Spur findet. Seit sie vor rund einem Jahr zum dritten Mal in Folge die French Open in Paris gewonnen hat, wartet Iga Swiatek auf einen Turniersieg.
Angefangen hatte die Krise der vierfachen Grand-Slam-Siegerin im letzten Herbst. Am 12. September wurde sie von der International Tennis Integrity Agency (Itia) informiert, dass sie Anfang August positiv auf die verbotene Substanz Trimetazidin getestet worden war. Es handelt sich dabei um ein Herzmittel, das die Sauerstoffversorgung der Muskelzellen verbessert.
"The toughest battle of my life."
— Cycling on TNT Sports (@cyclingontnt) November 28, 2024
Iga Swiatek's full statement after accepting a one-month suspension under the Tennis Anti-Doping Programme for testing positive for the prohibited substance trimetazidine. pic.twitter.com/Zya4YmAEqO
Ein Schock für das Aushängeschild der Schweizer Sportbekleidungsmarke On, bei der Roger Federer seit 2019 Teilhaber ist, der sich persönlich dafür eingesetzt hatte, dass die bei Ausrüstern gefragte Swiatek vor zwei Jahren und unter grossem finanziellem Aufwand bei On unterschrieb.
Ihre Erklärung: eine Melatonin-Pille, die sie eingenommen hatte, weil sie keinen Schlaf finden konnte. Als am nächsten Morgen Kontrolleure an ihre Türe klopften, notierte sie 14 Substanzen, Nahrungsergänzungsmittel und Medikamente, die sie regelmässig einnimmt, ausser das Melatonin, das den Schlaf-wach-Rhythmus reguliert. Welche das sind, ist nicht bekannt.
Verboten ist Melatonin nicht. Doch Swiateks Pille war verunreinigt. Eine Erklärung, die eine Laboranalyse darauf bestätigte. Weil «kein erhebliches Verschulden oder Fahrlässigkeit» vorliege, wurde die heute 23-Jährige am 28. November und damit nach Saisonende für einen Monat gesperrt. Sie habe mit «enormen Ängsten» zu kämpfen gehabt. «Nun, da alles geklärt ist, kann ich wieder das tun, was ich am meisten liebe. Ich weiss, dass ich stärker daraus herausgehen werde», äusserte sich Swiatek hoffnungsvoll.
Das Gegenteil war der Fall. Hatte sie im vergangenen Jahr die Turniere in Madrid, Rom und Paris gewonnen, hat sie 2025 auf Sand bislang nur sechs von neun Partien gewonnen. Kein Titel, kein Final, verlorene Aura.
Auf der Suche nach Lösungen trennte Swiatek sich im Herbst nach drei Jahren von ihrem Erfolgstrainer Tomasz Wiktorowski und sicherte sich die Dienste des Belgiers Wim Fissette. Mit Kim Clijsters, Angelique Kerber und Naomi Osaka gewann er sechs Grand-Slam-Titel, zuletzt war er während zweier Jahre ohne Anstellung. Zwar gilt er als einer der Besten seines Fachs, dennoch gilt er in Polen als Sündenbock für Swiateks sportliche Talfahrt. Er wirke desinteressiert, teilnahmslos und habe keinen Draht zu Swiatek.
Kontrovers diskutiert wird auch die Rolle von Sportpsychologin Daria Abramowicz. Seit 2019 weicht die 37-Jährige nicht von Swiateks Seite, ist bei fast jeder Trainingseinheit dabei, achtet auf jede Geste, kontrolliert dabei mithilfe von Herzfrequenz- und Gehirnstrommessgeräten den Stresslevel Swiateks. Selbst bei der Gestaltung der Freizeit redet sie mit: So schicke sie die introvertierte Swiatek an den Strand, ins Café, empfiehlt ihr Bücher zur Lektüre oder legt ihr vor dem Spiel ein Sudoku-Rätsel bereit.
Abramowicz war einst Wettkampfseglerin, betreute davor Athletinnen aus dem Rad- und Schwimmsport und Schachspieler. Nun ist sie mehr als nur eine Psychologin. Sie ist: Reisebegleitung, Freundin, Mentorin. An 300 Tagen im Jahr seien sie zusammen. Ihre Rolle beschrieb sie einst so: «Ich bin Bindeglied zwischen den Trainern, Beratern, Eltern und Freunden.» Das Gefühl, das sie vermitteln wolle: «Du bist nicht einsam und allein.»
Hinter vorgehaltener Hand sprechen Beobachter immer mehr von einem ungesunden Abhängigkeitsverhältnis. Ein Trainer aus dem Bahnradsport, wo Abramowicz einst Juniorinnen betreute, beschreibt die Psychologin als «berechnend, kalt und Karrieristin». Daran, dass Abramowicz Swiatek an die French Open nach Paris begleitet, wird das kaum etwas ändern.
Gerüchte, sie denke darüber nach, auf Wimbledon zu verzichten und eine Pause einzulegen, dementierte sie zwar. Nach Paris (ab 25. Mai) reist sie ohne grosse Erwartungen und mit viel Ballast im Gepäck. Was auch am Umfeld liegt, das vielleicht zu viel kontrolliert. Und zu wenig unterstützt. (aargauerzeitung.ch)