Dieser erste Montag im Mai ist für Jannik Sinner ein Tag der Erlösung. Nach drei Monaten ist seine Dopingsperre abgelaufen, im Foro Italico darf der aktuell beste Spieler der Welt wieder offiziell auf einem Tennisplatz stehen. Seine Rückkehr wird zumindest in Italien sehnlichst erwartet, andere stehen der erstaunlich kurzen Sperre weit kritischer gegenüber.
Bereits bei der Ankunft auf dem kleineren Römer Flughafen Ciampino steht Sinner am Sonntag unter genauester Beobachtung. Kurz nach 14 Uhr sei er gelandet, berichtet die italienische Nachrichtenagentur Ansa. Lächelnd, in weissem Sweatshirt und dunklen Hosen. Der König hält beim Masters-1000-Turnier in der Heimat Hof, das am Mittwoch beginnt. Sinner selber startet nach einem Freilos gegen den Argentinier Mariano Navone (ATP 99) oder seinen jungen Landsmann Federico Cina (ATP 323), der von einer Wildcard profitiert. «Ich bin sehr zufrieden, in Rom zurück zu sein», erklärte er vor einigen Tagen. «Es gibt keinen schöneren Ort.»
Wie gut er nach gut drei Monaten ohne Wettkampf ist, wird sich weisen. Dass er noch immer an der Spitze der Weltrangliste steht, überrascht jedenfalls und ist Ausdruck des Versagens seiner Konkurrenten, die ihre Chance nicht packen und das Machtvakuum füllen konnten. Ohne Sinner herrschte auf der ATP Tour, die wegen der Forderungen vieler Spieler nach besserer Bezahlung ohnehin in Aufruhr ist, Anarchie pur.
Seit dem Sieg des 23-jährigen Südtirolers am Australian Open fanden vier Turniere der Masters-1000-Kategorie sowie sechs der nächsttieferen 500er-Serie statt. Dabei gab es zehn verschiedene Sieger. So kam keiner seiner Verfolger auch nur annähernd dazu, Sinner vom Thron zu stossen. Noch immer führt er das Ranking mit satten 1645 Punkten Vorsprung auf Alexander Zverev an. Sinner wird mindestens bis zum French Open die Nummer 1 der Welt bleiben.
Gerade der Deutsche fiel nach seinem klar verlorenen Final in Melbourne – seinem dritten in einem Grand-Slam-Final – in ein regelrechtes Loch. Nie wäre seine Chance so gross gewesen, einmal die Nummer 1 der Welt zu werden wie jetzt. Doch in Indian Wells und Monte Carlo scheiterte er in seinem Auftaktmatch, in Miami und Madrid in den Achtelfinals. Einziger Lichtblick war der Heimsieg beim 500er-Turnier in München.
Ein Auf und Ab war es bei Carlos Alcaraz, der letztes Jahr mit dem French Open und Wimbledon die beiden Grand Slams auf Sand und Rasen gewann. Nach Enttäuschungen in den USA startete er mit dem Turniersieg in Monte Carlo und einem Final in Barcelona stark in die Sandsaison, musste dann aber vergangene Woche angeschlagen auf Madrid verzichten.
Schliesslich hetzt auch Novak Djokovic bislang erfolglos seinem 100. ATP-Titel hinterher. Der 37-jährige Serbe gibt aktuell Rätsel auf. Einzig in Miami erinnerte der Grand-Slam-Rekordsieger an seine besseren Tage, unterlag aber im Final dem aufschlagstarken Teenager Jakub Mensik. Auf Sand schied er in Monte Carlo und Madrid gleich im ersten Spiel aus, für das Italian Open sagte er ohne Angabe von Gründen ab.
So hiessen die Gewinner der grössten Titel seit dem Australian Open Jack Draper, Mensik, Alcaraz und Casper Ruud. Für den Engländer, den Tschechen und den Norweger war es der jeweils erste Sieg auf Masters-1000-Stufe. Jannik Sinner wird sich beim Verfolgen der Resultate zufrieden ins Fäustchen gelacht haben.
Leicht gefallen ist ihm die Pause aber nicht. In einem Interview mit dem italienischen Fernsehen RAI verriet er letzte Woche, dass es ihm «wirklich schwer gefallen ist, die dreimonatige Sperre zu akzeptieren, denn in meinem Geist habe ich keinen Fehler begangen.» Sinner hatte den positiven Dopingbefund auf das anabole Steroid Clostebol mit den unabsichtlich kontaminierten Händen eines Physiotherapeuten erklärt. Viele empfanden die nur dreimonatige Sperre aber als Bonus und Gefallen für den Star.
Das sieht Sinner allerdings ganz anders. «Es gab und gibt keine Vorzugsbehandlung», ist er überzeugt. Im Interview sprach er auch über das trotz seiner beiden ersten Major-Triumphe in Melbourne und New York schwierige letzte Jahr. «Ich fühlte mich nicht so, wie sich ein Tennisspieler auf dem Platz fühlen sollte», hielt er fest. «Eigentlich trainiert man, um die grossen Matches zu geniessen. Aber diese Freude verschwand mit jedem Tag mehr.»
Die Situation habe ihn belastet. «In den Garderoben, den Turnierrestaurants, haben mich die anderen Spieler anders angeschaut als vorher», so Sinner. Nun ist er zurück. Ob er wieder unvoreingenommen angeschaut wird, ist eine andere Frage. (riz/sda)