Nach 15 von 21 Etappen führt Sepp Kuss vom Team Jumbo-Visma bei der Vuelta a España über anderthalb Minuten vor seinen Kollegen Primoz Roglic und Jonas Vingegaard. Der erste Fahrer eines anderen Teams folgt mit 2:37 Minuten Rückstand auf Platz 4. Gemäss einem ungeschriebenen Gesetz ist der Fall nun klar: Vingegaard und Roglic verzichten auf Angriffe auf ihren Teamkollegen und eigentlichen Helfer, womit der US-Amerikaner seinen Vorsprung problemlos über die Runden bringen und den grössten Erfolg seiner Karriere feiern könnte.
Doch auf der 16. Etappe vom gestrigen Dienstag hat Tour-de-France-Dominator Vingegaard andere Pläne. Der 26-jährige Däne greift vier Kilometer vor dem Ziel auf dem Gipfel des Bejel an, lässt den Leader um über eine Minute hinter sich und lanciert so eine Grundsatz-Diskussion im Radsport. Die strittige Frage: Darf er das?
Während der Etappe wundert sich Eurosport-Experte Jens Voigt über die Attacke von Vingegaard: «Sie hätten einfach einen ruhigen Tag haben und Kuss in Ruhe ins Ziel bringen können.» Damit meint der frühere Profi das niederländische Team Jumbo-Visma, das am Morgen der 15. Etappe eine schlimme Nachricht verkraften musste.
Der belgische Fahrer Nathan Van Hooydonck war in seiner Heimat in einen schweren Autounfall verwickelt und musste ins Spital gebracht werden. Vingegaard widmete seinen zweiten Etappenerfolg an der diesjährigen Spanien-Rundfahrt «meinem besten Freund». Später gab das Team des 27-Jährigen bekannt, dass Van Hooydonck bei Bewusstsein sei und sich nicht in einem kritischen Zustand befinde.
Aber zurück zur Diskussion um Vingegaards Angriff auf Teamkollege Kuss: Es zeuge von Undankbarkeit, dass Vingegaard seinem Edelhelfer diesen Erfolg an einer Grand Tour nicht vergönne, nachdem er auch dank der Hilfe von Kuss zweimal an der Tour de France triumphiert hat, finden viele Radsport-Fans. Eigentlich würde Vingegaard gemeinsam mit Roglic auch in Spanien das Top-Duo seines Teams bilden – doch dann brachte Kuss die Hierarchie durcheinander.
Weil der 29-Jährige normalerweise nichts mit dem Gesamtsieg zu tun hätte, liessen ihn die Favoriten um Vingegaard und Vorjahressieger Remco Evenepoel in der 6. Etappe gewähren. Dort fuhr Kuss einen Vorsprung von knapp drei Minuten auf Evenepoel und seine Teamkollegen heraus, den er in der Folge verteidigte – bis Vingegaard in die Vollen ging und so den selbst im Radsport enorm wichtigen Teamgedanken infrage stellt.
Sehr zum Unverständnis von Experte Voigt: «Ich würde es menschlich nicht für erklärbar halten, wenn sie Kuss innerhalb der eigenen Mannschaft noch stürzen würden.» Der Mann aus der zweiten Reihe hätte sich diesen Triumph verdient. Doch das Team erlaubte Vingegaard – entgegen dem eigentlichen Plan, wie Kuss später verriet – auf Nachfrage einen Angriff am Schlussanstieg. Nun beträgt der Vorsprung von Kuss auf Vingegaard nur noch 29 Sekunden. Später bestätigte der erste Verfolger, dass alle drei vom Team die Freiheit bekommen hätten, um den Sieg zu fahren.
Bereits am heutigen Mittwoch, Kuss' Geburtstag, bietet sich Vingegaard die nächste Möglichkeit, den Rückstand zu verkürzen oder gar die Führung zu übernehmen. Die 16. Etappe führt nämlich auf den Angliru, mit 12,3 Kilometern und einer maximalen Steigung von 24 Prozent einer der härtesten Pässe Europas.
Vor dieser Etappe stellt Jumbo-Vismas Sportdirektor Grischa Niermann klar: «Vingegaard und Roglic müssen für Kuss nicht bremsen.» Das sieht auch Kuss so: «Ich möchte den Sieg nicht geschenkt bekommen. Das ist nicht Sport.» Dennoch dürfe der Teamerfolg nicht in Gefahr geraten, denn Niermann träumt von einem Dreifach-Sieg. Die Reihenfolge ist nur für den Sportdirektor Niermann sekundär – der eigentliche Edelhelfer Kuss und der überlegene Vingegaard werden alles tun, um am Ende selbst ganz zuoberst zu stehen. Kuss sagt: «Sie wissen, was ich für sie getan habe, aber sie sind auch Siegertypen.»
Wird in dem Fall auch von "keiner muss bremsen" gesprochen oder ist es Gotteslästerung? Man weiss es nicht aber ich hab so die Vermutung, dass nicht mit gleichen Ellen gemessen werden würde.
Das reicht mir eigentlich.