Der WM sei Dank! Einer der grössten Klassiker an den echten und virtuellen Stammtischen der Schweiz hat wieder einmal Hochkonjunktur: Die grosse TV-Frage – Landestreue oder Fahnenflucht?
Neben dem Schweizer Fernsehen buhlen während der Weltmeisterschaft auch die deutschen ARD/ZDF und das österreichische ORF um die Gunst der deutschsprachigen Zuschauer – aber welcher Sender serviert wirklich das unterhaltsamste und kompetenteste WM-Programm zur grossen Sause in Brasilien?
Der Senderstreit wird unter den Fussballfans so hingebungsvoll wie ergebnislos geführt. Die Lage ist verzwickt: Fan 1 schwört auf die einheimische Qualitätsarbeit von Salzgeber und Co. und will schon aus Prinzip nichts von den Ausländern wissen. Fan 2 schätzt die deutsche Expertise und nimmt jeden durchschnittlichen Kinderzirkus ernster als das SRF. Fan 3 findet beides doof und vergnügt sich lieber bei den urchigen Ösis – Marcel Koller macht das schliesslich auch schon lange so.
watson findet: Es ist höchste Zeit für eine Entscheidung! Dafür haben wir uns ein WM-Spiel inklusive des kompletten Rahmenprogramms auf allen drei Sendern angesehen.
Als Testobjekt wählen wir eine der besten Affichen während der ersten WM-Woche: Beim Knüller in der Gruppe D zwischen England und Italien (1:2) vergleichen wir die drei TV-Angebote subjektiv – aber dafür bis ins letzte Detail.
Obwohl Dani Kern in der Hierarchie der SRF-Kommentatoren nur Rang 3 belegt, liefert er an diesem Abend eine sattelfeste Leistung ab und schnappt sich damit den Spitzenplatz. Mit einer angenehmen Grundbegeisterung versorgt Kern die Zuschauer dank seinem Mix aus Fakten und unterhaltsamen Geschichten ideal. Auch bei strittigen Entscheidungen liegt er meistens richtig.
Zwei Wermutstropfen trüben das Bild: Als objektiver Zuschauer bekommt man manchmal das Gefühl, Kern habe eher wenig für die Engländer übrig. So braucht er etwa bei der penaltyreifen Szene zwischen Italo-Verteidiger Gabriel Paletta und Steven Gerrard in der 73. Minute drei Wiederholungen, um einzusehen, dass Schiri Bjorn Kuipers mit der Entscheidung «Kein Penalty» wohl daneben lag.
Als Englands Physio Gary Lewin sich beim überschwänglichen Jubel über den Ausgleichtreffer den Knöchel ausrenkt, steht Kern völlig im Schilf. Aber er rettet sich mit einem guten Spruch: «Ich kann nach wie vor nicht sehen, wer da gepflegt werden muss. Ah, es ist ein Fotograf. Die Hitze in Manaus fordert erste Opfer. Stellen Sie sich das hier wie eine Aerobicstunde im Dampfbad vor.»
Dietmar Wolff bewertet die durchaus unterhaltsame Partie im ORF viel zu streng. Einige Beispiele gefällig? «Das ist ja Stehfussball. Von diesem Spiel muss man sich mehr erwarten», und spät in der ersten Halbzeit: «Noch hat es keine Höhepunkte gegeben.» Vielleicht sollte der Mann seinen Bewertungsmassstab korrigieren. Zum Beispiel indem er sich mal wieder einige Spiele der österreichischen Nationalmannschaft antut.
@AndiSchneider Dietmar Wolff am ORF. Den kenn ich nicht so. Kann man mal a Chance geben.
— Philipp Eitzinger (@PEitzinger) 13. Juni 2014
Für unseren Geschmack leistet sich Wolff zu viele Kommentarpausen. Oft hört man fast eine Minute nichts – bis er die Stille dann mit einem belanglosen «Ja, das ist schön gemacht» unterbricht. Schreibt da einer SMS während der Arbeit?
Bei der Verletzung des Physios tippt der ORF-Kommentator auf einen Kameramann. Er denkt, dieser sei «zusammengebrochen». Zudem können wir uns einfach nicht daran gewöhnen, dass ein Schuss an den Pfosten bei den Ösis «Stangenschuss» heisst.
Auf ARD zieht Steffen Simon einen tiefschwarzen Abend ein. Man weiss gar nicht, wie man die Kritik zusammenfassen soll. Ein Versuch: In der Halbzeitpause zeigt der Sender das «Wort zum Sonntag» und wir haben den Unterschied zum Spiel fast nicht bemerkt.
Liebe @sportschau, Vorschlag: Steffen Simon kommentiert alle restlichen Spiele in Manaus, bleibt dann aber für immer da. Ohne Mikro. Deal?
— Uwe Viehmann (@uvmann) 14. Juni 2014
Der WDR-Sportchef kommentiert so einschläfernd, dass sich der dringende Verdacht aufdrängt, er habe kürzlich ein Hypnoseseminar besucht – und benutze die Zuschauer jetzt als Versuchskaninchen.
Pennt Steffen Simon am Mikro? #engita #wm2014
— Marco (@marco_26384) 14. Juni 2014
Auch Simon legt viel zu lange Pausen ein. Wenn er dann doch einmal spricht, dann kommt dabei teilweise grober Unfug heraus. Bei ihm heissen die Trainer «Pandrelli» und «Hodgen» – da kann man ja noch drüber lachen. Aber bei: «Sterling könnte bei dieser WM eine Entdeckung werden» ist Schluss. In letzter Zeit mal Premier League geguckt? Der Mann ist Stammspieler bei Liverpool und mitverantwortlich für den Höhenflug.
Dann: «Italien hat seit dem Halbfinal 2006 kein WM-Spiel mehr gewonnen.» Ach ja, wer gewann dann 2006 den FINAL? Bei der Verletzung des englischen Physios verkündet Steffen Simon im Brustton der Überzeugung, jetzt gebe es eine «Trinkpause» und wird damit zum trending Hashtag auf Twitter.
Wir machen es kurz: Herbert Prohaska ist einfach eine coole Socke. Der Ex-Teamchef von Österreich (1993-99) hat richtig Ahnung von Fussball und ist im Gegensatz zu Christian Gross auch noch unterhaltsam wenn er darüber spricht.
Man könnte sich zwar schlapp lachen, weil der 59-Jährige permanent den Dativ und den Akkusativ verwechselt, aber bei ihm sind sogar solche Sätze irgendwie kultig: «Man kann sich auf ihm verlassen» oder «Nach einen guten Beginn haben sie abgebaut.» Moderator Bernhard Stöhr fällt eigentlich nur auf, weil er ständig «Stööörling» und «Eng-gländer» sagt, aber Prohaska rockt die Show auch ganz alleine.
Die Schweizer gehen an diesem Abend mit Moderator Rainer Maria Salzgeber und den Experten Christian Gross und Beni Huggel ins Rennen. Das Trio redet viel, aber nicht viel Weltbewegendes. Gross weiss: «In Manaus oben können nur topfitte Spieler bestehen, da ist es besser wenn man in Führung ist.» Aha! Beni Huggel meint: «Wenn man wie Pirlo 35 Jahre alt ist, dann muss man extrem seriös leben. Sonst geht es nicht mehr.» Ach so!
Bei der Spielanalyse zeigt sich, dass Christian Gross trotz allem Fussballsachverstand und (vergangenem) Erfolg ein Mann von gestern ist und Beni Huggel dafür einer von morgen. Die Beiträge des Basler sind streckenweise wirklich interessant, aber jedes Mal wenn sein Partner aus Höngg zu einem seiner faden und verklemmten Beiträge ansetzt, möchte man sich am liebsten ein neues Bier aus dem Kühlschrank holen. Das könnte ziemlich schnell ziemlich ungesund werden und ist deshalb auch keine Lösung. Dem Zuschauer bleibt nur eine kleine Fantasiereise als Ablenkung. Apropos: Ist schon jemandem aufgefallen, dass Gross der Schildkröte «Morla» aus der «Unendlichen Geschichte» immer ähnlicher sieht?
Rainer Maria Salzgeber gibt sich an diesem Abend sehr devot, vor allem gegenüber Gross. Er sorgt hauptsächlich für Aufregung, weil er vor der Sendung ein Küchentuch statt eines Hemds aus dem Schrank gefischt hat. Alles in allem ist die Studio-Leistung der Schweizer nur mässig unterhaltsam. Schade ist Schiri-Boss Bertolini, der sonst immer ein Pluspunkt ist, scheinbar schon im Bett. Nur weil die ARD noch schlechter abschneidet, reicht es trotzdem für einen Punkt.
Die Deutschen stehen live auf einem Balkon über der Copacabana. Was sie aus der tollen Kulisse machen, ist irgendwie beschämend. Reinhold Beckmann ist halt einfach Reinhold Beckmann: Ein bisschen bieder, ein bisschen hämisch gegen die Engländer – und er haut jede Menge verworrener Wortspiele raus. Zum Beispiel: «Pirlo, die grosse Lady der Italiener. Mister Freeze wird er genannt.» Das macht uns irgendwie nur noch ratlos.
Noch ratloser macht uns Giovane Elber. Was hat uns dieser Mann in den Neunzigern bei GC, Stuttgart und den Bayern verzaubert ... Leider ist das magische Dreieck mit Balakov und Bobic nur noch eine blasse Erinnerung und wir stecken mit der Version 2014 von Elber fest. Die ist mittlerweile hauptberuflich als Rinderzüchter in der alten Heimat Brasilien engagiert. Vermutlich spricht er da nicht mehr sehr oft Deutsch und das hört man unglücklicherweise sehr.
Noch 20 Minuten Giovane Elber - und ich kann nie wieder Deutsch unterrichten!
— Darth Lehrer (@Darth_Lehrer) 16. Juni 2014
Man hat wirklich Probleme Elbers Beiträge zu verstehen und wenn man die Augen schliesst, dann könnte man sein Gebrabbel jederzeit mit demjenigen von Jorge Gonzalez verwechseln. Der ist zwar studierter Atomwissenschaftler aber macht sich aufgrund seiner limitierten deutschen Sprachkenntnisse regelmässig bei «Germany's Next Topmodel» zum Horst. Immerhin haut Elber den Spruch des Abends bei einer nicht geahndeten Penaltyszene der Engländer raus: «Brasilien hätte den bekommen.»
Wie gesagt: Das Studio an der Copacobana ist extrem stimmungsvoll. Auch die eingeblendeten Screens und andere technische Spielereien überzeugen auf ganzer Linie. Die Krone in dieser Kategorie holt sich die ARD aber mit den aufwendig produzierten Einspielern im Rahmenprogramm. Während ORF und SRF sich bei dieser Partie hauptsächlich auf Fifa-Konserven verlassen, sind die Beiträge der Deutschen spannend und liebevoll in Eigenarbeit erstellt.
Das SRF hakt im Rahmenprogramm alle Pflichtpunkte ordentlich ab. Ein Bericht über den verletzten Buffon, Italiens alternden Mastermind Pirlo und das Klima in Manaus. Alles gut, alles solide – begeistert aber nicht. Das altbekannte WM-Studio in Zürich-Oerlikon ist im Vergleich mit den Österreichern ein Augenschmaus.
Das ORF hat sich für ihre Vorberichterstattung einen Interview-Termin mit Robbie Williams geleistet. Ein schlauer Schachzug, denn der Engländer ist Rockstar, gemässigter Hooligan und euphorischer Fussballfan in Personalunion und deshalb sehr unterhaltsam. Ausserdem spricht Marcel Koller im Werbeblock Hochdeutsch – auch das ist einen Lacher wert.
Leider gibt es ansonsten nicht viel Positives zu berichten. Offenbar wusste bei unseren Nachbarn keiner wirklich Bescheid, dass Italiens Goalie Buffon verletzt ausfallen würde. Die Krönung ist aber die Einrichtung des WM-Studios: Es muss sich dabei einfach um den schlechten Abschiedsstreich eines entlassenen Praktikanten handeln. Anders sind diese verstörende visuelle Zumutung in psychedelischen Farben und die 80er-Jahre Fussballsessel schlicht nicht zu erklären.
Wie es sich für eine WM gehört, fällt die Entscheidung im watson-Vergleich der drei TV-Stationen erst im Finale. Das heimische Angebot vom Leutschenbach holt den Titel in dramatischer Manier mit einer Länge Vorsprung vor den Kollegen aus Österreich. Die vielgelobten Deutschen müssen sich mit dem letzten Platz genügen. Das Fazit: Fremdgehen lohnt sich (für Schweizer) auch während der WM nicht.
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