Zum Weltfussballer wird im Jahr 1995 der liberianische Stürmer George Weah gewählt. Doch der Titel könnte gut auch einem anderen Spieler gehören. Denn Weah schiesst zwar Tore am Fliessband, aber Jean-Marc Bosman hat den Fussball in neue Sphären gehievt.
Nicht auf dem Platz, da ist die einst hoffnungsvolle Karriere schon vorbei. Bosman gewinnt am 15. Dezember 1995 im Gerichtssaal den vielleicht wichtigsten Prozess der Sportgeschichte. Es ist ein Sieg, der ihm selber nichts bringt. «Alle profitieren von mir», klagt der Belgier Jahre später im «Spiegel», «nur ich, ich habe nichts davon. Als hätte ich jemandem die richtigen Lottozahlen verraten, aber dann werde ich nicht am Gewinn beteiligt.»
Der Vergleich passt. Denn Bosman knackt in der Tat den Jackpot – nicht für sich, aber für alle nach ihm folgenden Fussballprofis. Dank dem Bosman-Urteil am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg fallen in der EU alle Grenzen: Ausländerbeschränkungen gelten plötzlich nicht mehr. Und für Spieler, deren Verträge auslaufen, muss seither keine Ablösesumme mehr bezahlt werden. Bis heute ist es das wahrscheinlich bedeutendste Gerichtsurteil in Bezug auf den Sport.
Mit einem Schlag wechselt die Macht im Fussball: Sie geht von den Klubpräsidenten auf Spieler und ihre Berater über. Löhne explodieren, weil die Vereine ihre Spieler langfristig an sich binden wollen, und die sonst bald wieder weg wären. Wessen Vertrag ausläuft und wer einen neuen unterschreibt – egal ob am gleichen Ort oder bei einem neuen Klub – streicht meist ein üppiges Handgeld ein, einen Bonus für die Unterschrift. Das Geld, das früher bei einem Transfer von Klub zu Klub ging, geht seit dem Inkrafttreten des Bosman-Urteils vom Klub zum Spieler.
All das hat Jean-Marc Bosman kaum im Kopf, als er 1990 vor Gericht zieht. «Ich will nur Fussball spielen, ich will mein Recht», sagt Bosman. Der ehemalige belgische Junioren-Nationalspieler – «ich war eine klassische Nummer 10» – hat sich mit dem RFC Lüttich verkracht. Bosman will eine Kürzung seines Lohns nicht in Kauf nehmen und nach Dünkirchen, in die zweithöchste französische Liga wechseln. Doch Lüttich lässt den 26-Jährigen nicht ziehen und verlangt deshalb die überrissene Ablösesumme von 800'000 Dollar, damals etwas mehr als eine Million Franken.
Mit dem Gang vors Gericht tritt Bosman eine Lawine los. Der europäische Fussballverband UEFA erkennt die drohende Gefahr und bietet durch Mittelsmänner viel Geld, damit Bosman schweigt und seine Klage zurückzieht. Die Rede ist von knapp zwei Millionen Franken.
Manchmal denkt Bosman darüber nach, ob er das Geld nicht einfach hätte nehmen sollen. Denn danach lebt er, der all die Stars von heute zu Multimillionären gemacht hat, von der Sozialhilfe. Bosman ist zwei Mal geschieden, hat einen Entzug hinter sich. «Ich bin durch die Hölle gegangen, ich habe an Selbstmord gedacht», gibt er 2011 zu. Tabletten helfen ihm gegen Depressionen.
Einen Klub findet Bosman nach dem Urteil nicht mehr. «Ich galt als Verbrecher. Als derjenige, der den Fussball zerstört hat.» Kein Präsident will sich offenbar den Zorn der anderen Vereine zuziehen und den Geächteten verpflichten. Bosman ist für die Spieler ein Messias, für die Klubs ein Aussätziger.
Bosman hat es aber auch sich selber zuzuschreiben, dass er kein Geld mehr hat – er hat es frei nach George Best einfach verprasst. Denn nach dem Urteil hat er mehr als eine Million Franken bekommen. Vom belgischen Verband gibt es Schadenersatz, die Spielergewerkschaft Fifpro unterstützt ihn, Bosman erhält Geld für einen Dokumentarfilm über ihn und in Barcelona wird ein Benefizspiel zu seinen Gunsten durchgeführt.
Damit er nicht noch weiter klage, habe ihm 1997 der FIFA-Generalsekretär Michel Zen-Ruffinen 310'000 Franken überwiesen, erzählt Bosman der «Bild». Er nimmt das Geld an:
Auch Profis spenden Geld. Die Spieler der holländischen Nationalmannschaft spenden nach einem Sieg gegen Belgien ihre Prämien und Mark van Bommel überweist Bosman eine vierstellige Summe, als er zu Bayern München wechselt. Wenn er mal zu den Bayern komme, dann dank ihm, hat van Bommel laut Bosman lange vor dem Transfer gesagt.
Die Million benötigt der frühere Fussballer einerseits, um seine Anwälte zu bezahlen. Andererseits leistet sich Bosman aber auch den Luxus, als Arbeitsloser zwei Häuser zu kaufen, einen Porsche 911 und einen BMW Z4.
Jean-Marc Bosman, der klagt, er habe jemandem die richtigen Lottozahlen verraten und werde nicht am Gewinn beteiligt, holt sich nun die Belohnung, die ihm in seinen Augen zusteht. Vor einiger Zeit äusserte sich Bosman bei «welt.de» über das Urteil, die Auswirkungen des Brexit und die hohen Ablösesummen. Er sagte im Video unter anderem:
«Man kann heutzutage einen Hund, ein Schwein, eine Kuh oder gar ein Lama kaufen – das ist okay. Aber in der heutigen Zeit sollte man meiner Meinung nach nicht mehr Menschen verkaufen können», sagte der Belgier.
Im Oktober ist Bosman 60 Jahre alt geworden. 577,57 Euro überwies ihm der Staat Monat für Monat – bis ihm die Sozialhilfe im Sommer 2015 gestrichen wurde. Dies deshalb, weil ihn auch die Gewerkschaft Fifpro mit 2000 Euro im Monat unterstützt.
Er ist nicht der erste, nicht der einzige, und wird auch nicht der letzte Lotto-Millionär sein, dessen finanzielles Glück rasch aufgebraucht ist. Aber es gibt keinen zweiten, der den Weltfussball dermassen auf den Kopf gestellt hat wie Jean-Marc Bosman. Das macht ihn dann doch stolz: «Das war der Kampf meines Lebens und ich habe ihn gewonnen.»