«Der Ball ist rund und ein Spiel dauert 90 Minuten.» Logisch. Keiner zweifelt heute mehr an der lapidaren Fussball-Weisheit des ehemaligen deutschen Bundestrainers Sepp Herberger. Als der moderne Fussball noch in seinen Kinderschuhen steckt, ist das aber noch ganz anders. 1848 verfassen englische Studenten die ersten Regeln. Allerdings sind diese neun Jahre vor der Gründung des ersten Fussballvereins noch alles andere als einheitlich.
Wenn zwei Mannschaften in der neuen Sportart gegeneinander antreten wollen, einigen sie sich vorab brieflich über die Zahl der Spieler (etwa 20 gegen 20) und die Spieldauer (zum Beispiel zwei Stunden). Auch der Ball muss noch nicht zwingend rund sein: Man kickt mit aufgeblasenen Schafsblasen, gestopften Stoffballen, manchmal sogar mit Schweinsköpfen.
Erst nach der Gründung der englischen Football Association (FA) werden verbindliche Regeln eingeführt: 1866 kommen Eckball, Freistoss und eine erste Form der heutigen Abseitsregel dazu; 1870 die Beschränkung auf 11 Spieler pro Team; ab 1871 ist Handspiel nur noch dem Torhüter gestattet. 1872 der nächste Meilenstein: Eine einheitliche Ballgrösse wird festgelegt. Der Umfang muss ab sofort 68 bis 70 Zentimeter sein.
Mit diesen Regeln und deren Umsetzung gebührt den Engländern der Ruhm, den heutigen Fussball erfunden zu haben. Noch im selben Jahr findet das erste offizielle Fussball-Länderspiel überhaupt statt. Am 30. November stehen sich auf dem «West of Scotland Cricket Ground» bei Glasgow eine schottische und eine englische Auswahl gegenüber.
Es ist ein nebliger, aber trockener Novembertag. Durch den Regen in der vergangenen Nacht ist das Spielfeld jedoch etwas aufgeweicht. Trotzdem kommen 4000 Zuschauer, darunter zahlreiche Damen, zum Kampf der Erzrivalen. Fünfmal waren sich Schottland und England in den zwei Jahren zuvor schon gegenübergestanden (allerdings noch ohne «Association Rules»). Dreimal gewann England, zwei Duelle endeten Unentschieden.
Doch jetzt wittern die Schotten ihre Chance. Captain und Torhüter Robert Gardner bietet die Spieler auf, doch viele Alternativen hat er nicht. Während in England schon über 100 Vereine mit einheitlichen Regeln kicken, sind es in Schottland erst rund 10. Deshalb entscheidet sich Gardner, alle elf Spieler aus seinem Klub Queen's Park FC zu nominieren. Die englische Elf wird dagegen aus neun verschiedenen Vereinen zusammengewürfelt.
Mit 20 Minuten Verspätung – wegen Nebels und dem grossen Zuschaueraufmarsch – beginnt die Partie um 14.20 Uhr. England ganz in Weiss, die Schotten in dunkelblauen Trikots und weissen Hosen. Die Engländer, angeführt von Captain Cuthbert Ottaway, haben zwar die besseren Einzelspieler in ihren Reihen, doch weil die Schotten ein eingespieltes Team sind, erwischen sie den besseren Start.
Die sechs nominellen Stürmer bringen die englische Abwehr immer wieder in grosse Nöte. Der erste Treffer scheint nur eine Frage der Zeit, doch Keeper Robert Barker hält sein Tor, das aus zwei Latten und einem quer gespannten Band besteht, sauber.
Nach der Pause kommen die dribbelstarken Engländer besser ins Spiel, doch auch sie vergeben beste Chancen. Auch die Schotten bleiben gefährlich. Als ein Gewaltsschuss von Robert Leckie das Torband zum Flattern bringt, jubeln die mehrheitlich schottischen Zuschauer schon. Doch der Ball fliegt etwa einen Inch über das Tor.
Auch in der Folge gibt es Chancen hüben wie drüben. Doch nach 90 Minuten endet die Partie mit einem enttäuschenden 0:0. Damals noch üblich: Die Zuschauer verabschieden das englische Team herzlich. Danach treffen sich die Spieler beider Mannschaften im Carrick’s Royal Hotel zum Abendessen.
In den folgenden Jahren werden die Regeln konkretisiert und erweitert. Die beiden Erzrivalen treffen regelmässig aufeinander. Am 8. März 1873 fahren die Engländer im ersten Heimspiel den ersten Sieg ein. 4:2 besiegen sie die Schotten, dann folgt allerdings die grosse Krise. Fünfmal in Serie bleibt England sieglos. Erst am 5. April 1879 können sie den Fluch brechen.
Zwei Wochen später wird mit dem FC St.Gallen der erste Schweizer Fussballklub gegründet. Bis zum ersten Länderspiel der Schweizer Nati sollen aber noch 26 Jahre vergehen. Am 12. Februar 1905 ist es soweit: 0:1 verlieren die Schweizer in Paris gegen die Franzosen.