Nicola Spirig setzt sich im Schlussspurt hauchdünn durch. Bild: EPA
4. August 2012: Nach knapp zwei Stunden gewinnt Nicola Spirig mit einem Wimpernschlag Vorsprung Olympiagold. Der verdiente Lohn für harte Arbeit. Doch die Triathletin realisiert den grössten Erfolg ihrer Karriere erst gar nicht.
Auf der Website von Nicola Spirig ist einige Monate vor ihrem grössten Triumph im Sportlerleben das Ziel klar und deutlich zu lesen: «Olympische Spiele 2012 in London».
Die seit Kindesbeinen äusserst ehrgeizige Spirig, die als Tochter eines Turnlehrer-Ehepaars in der Stadt Bülach in einer sportbegeisterten Familie aufwächst, beweist spätestens mit dem Olympia-Triumph, dass sie ihre Ziele so hartnäckig verfolgt wie wohl nur wenige Menschen.
Die Nummer 43 sollte ihr Glück bringen. Bild: KEYSTONE
Eben dieser Ehrgeiz hat sie bis dahin auch schon weit gebracht: Vizeweltmeisterin 2010, Europameisterin 2009, 2010 und 2012 und ein 6. Rang bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking stehen bereits auf ihrer sportlichen Visitenkarte.
Nicola Spirig erhält viele Pokale: Hier wird sie bei den Sports Awards zur Newcomerin des Jahres 2001 ausgezeichnet. Bild: KEYSTONE
Ausserdem hat die im zürcherischen Winkel wohnhafte Frohnatur trotz grossem Trainingsaufwand nebenbei ein Jura-Studium absolviert – und mit magna cum laude abgeschlossen. Bemerkenswert ist, dass die bescheidene Spirig von Natur aus eine Zweiflerin ist, wie sie in einem Porträt der NZZ bekennt. «Wenn es zwei Grundeinstellungen gegenüber dem Leben gibt, eine positive, eine negative – dann ist meine negativ.» In ihrem Sportleralltag denkt Spirig beispielsweise häufig, dass andere Athletinnen eigentlich besser als sie sind.
Nicola Spirig hat auch Schwächen. Schweizer Familie
Deshalb macht Spirig in der Vorbereitung umso mehr. So ist sie schon 2009 nach London gereist, um sich mit der Strecke vertraut zu machen. «Ich habe mich zu 100 Prozent vorbereitet. Meine Tage bestanden aus trainieren, essen, schlafen», wie sie in einem Interview mit der «Schweizer Familie» erklärt. Dabei konnte sie auf ein «unglaubliches Team zurückgreifen».
Ihr Trainer Brett Sutton, der früher Profiboxer und Tiertrainer war und als harter Hund in der Triathlonszene gilt, gestaltet die Vorbereitung perfekt. Ausserdem zieht die ganze Familie, darunter auch ihr heutiger Ehemann Reto Hug, der als aktiver Profi-Triathlet selber Erfahrungen mitbringt, vorbildlich mit.
Ein sportliches Paar. Reto Hug und Nicola Spirig. Bild: KEYSTONE
Das Rennen selbst verläuft wie am Schnürchen. Im Schwimmen bleibt sie in Tuchfühlung mit den Mitfavoriten. Beim Velofahren verspürt sie zwar leichte Krampferscheinungen, hält aber die Pace unbeirrt weiter hoch. Im Laufen, ihrer Lieblingsdisziplin, bleibt die 1,66 Meter grosse Spirig stets in der Spitzengruppe präsent.
Bild: AP Pool AFP
Kurz vor Schluss sieht es dennoch so aus, als ob die damals 30-jährige Zürcherin mit dem zweiten Platz vorlieb nehmen müsste, als Lisa Norden 50 Meter vor dem Ziel die Führung übernimmt. Doch Spirig hat auch diese Situation einkalkuliert: «Wir haben vieles, vor allem den Sprint, tausendmal im Training geübt», meint Spirig im Siegerinterview auf SRF.
Die Gewissheit, die Schwedin Norden in den letzten drei Sprints bezwungen zu haben, verleiht ihr zusätzlich Selbstvertrauen. Spirig gibt später zu Protokoll, welches Ziel sie in der Schlussphase verfolgt hat: «Ich will Gold».
Nicola Spirig zeit.de
In einer Zentimeterentscheidung behält Spirig schliesslich gegen Norden die Oberhand, auch wenn sie ihren Oberkörper auf der Ziellinie nicht nach vorne streckt und die Schwedin so nur hauchdünn besiegt.
Das Fotofinish entscheidet zugunsten der Schweizerin. Bild: OMEGA
Spirig weiss in den ersten Minuten nach dem spannenden Rennen nicht einmal, ob sie nun Siegerin ist oder nicht. Sie glaubt es zwar, ist sich aber nicht sicher. Erst als ihr ein Offizieller das erfreuliche Resultat bestätigt, steht der Olympia-Triumph fest. Im Siegerinterview auf SRF gesteht Spirig: «Das Warten war extrem hart. Ich hätte mich so oder so auf eine Medaille gefreut, aber Gold ist natürlich die Krönung.»
Der dramatische Schlusspurt zur Goldmedaille. Video: YouTube/Olympics
Und weiter: «Ich habe es noch nicht realisiert, es ist unglaublich, ich bin sprachlos», so Nicola Spirig.
Zwei Jahre danach beschreitet die inzwischen Mutter gewordene Spirig neue Wege: Bei der Heim-EM in Zürich im Marathon (Lauf über 42,195 Kilometer) an den Start. Danach ist das nächste Ziel bereits ausgemacht. Die 32-Jährige will 2016 ihren Titel an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro verteidigen.
Nicola Spirig über Muttersein, die Heim-EM und Rio 2016. Video: srf