In Watford liefern sich zwei englische Zweitligisten ein Herzschlagfinale, welches den eigenen Puls beinahe zum Stillstand bringt. Ganz egal, ob man eines der beiden Teams unterstützt oder als neutraler Fussballfan zuschaut.
Es läuft die 96. Minute des Halbfinal-Rückspiels der Playoffs um den Aufstieg in die Premier League, der höchsten Spielklasse Englands. Das Hinspiel zwischen Leicester City und Watford endete 1:0. Im Rückspiel steht es in eben dieser 96. Minute 2:1 für Watford, Leicester wäre damit weiter. Da zeigt Michael Oliver, der Unparteiische, auf den Punkt – Penalty für Leicester. Die Entscheidung scheint umso mehr gefallen zu sein. Was kann schon noch passieren?
Doch die Entscheidung fällt erst 20 Sekunden nach dem Penalty. Als die Uhr 96:32 Minuten anzeigt, hält Watfords Goalie Manuel Almunia tatsächlich den in die Mitte getretenen Elfmeter des gefoulten Anthony Knockaert. Auch dessen Nachschuss pariert der Goalie glänzend und nach ersten Freudentänzen auf der Tribüne verwandelt sich das Stadion genau 20 Sekunden später in ein Tollhaus.
Nach dem verzweifelten Befreiungsschlag schnappt sich Watford das Spielgerät, tankt sich mit drei Stafetten in den Strafraum, wo Troy Deeney mit einem Volley-Hammer verwertet. Watford steht Kopf – und im Final.
Die Fans kennen kein Halten mehr und stürmen in Scharen das Feld. Obwohl der Schiedsrichter die Partie noch gar nicht abgepfiffen hat, bildet sich auf dem Platz ein jubelnder gelber Haufen, gespickt mit vereinzelten blauen Stimmungskillern.
Auf der Siegerseite befindet sich mit Almen Abdi auch ein Schweizer, der sich drei Tage danach im «Tages-Anzeiger» erinnert: «Das ganze Stadion stand Kopf, die Fans stürmten auf den Rasen, obwohl der Schiedsrichter nach dem Tor noch nicht abgepfiffen hatte. Ich wusste zuerst auch nicht recht, ob das Spiel vorbei war oder nicht. Eigentlich wusste es niemand so recht, es war ein totales Durcheinander.»
Watford – oder die zweithöchste Liga Englands – war in diesen Tagen wahrlich nichts für Menschen mit Herzproblemen. In der gleichen Woche ereignete sich nämlich ähnliches in einem anderen Spiel. Hull City führte gegen Cardiff bis in die 92. Minute 2:1. Ein Sieg hätte zum direkten Aufstieg gereicht, bei einem Remis oder einer Niederlage, wäre man darauf angewiesen, dass Watford im Parallelspiel nicht gegen Leeds gewinnt.
Es lief also diese 92. Minute und der Schiedsrichter pfiff. Die Heimfans dachten, es sei der Schlusspfiff und stürmten das Feld. Doch schnell wurde klar: Es war ein Penaltypfiff für Hull. Also kehrten alle Fans wieder auf die Plätze zurück. Doch Nick Proschwitz – zuvor bei Vaduz und Thun – vergab diese definitive Entscheidung. Im Gegenzug 35 Sekunden später gab es einen Handelfmeter für Cardiff. Nicky Maynard traf zum 2:2-Endstand. Fans und Spieler von Hull waren schockiert und mussten am TV die letzten Minuten von Watford verfolgen.
Dort war man wegen eines längeren Unterbruchs rund 15 Minuten in Verzug. Es stand 1:1, nachdem Almen Abdi für Watford vor der Pause ausgeglichen hatte. Doch Watford – das seit der 63. Minute in Unterzahl spielte – traf nicht mehr. Im Gegenteil. Ein grober Bock des erst 19-jährigen Goalies Jack Bonham führte in der 90. Minute noch zum 1:2. Hull stieg auf und Watford musste den Umweg über die Playoffs nehmen und hatte das Endspiel um den Aufstieg noch vor sich.
In diesem Finale um die Promotion in die Premier League traf Watford nach dem Sieg über Leicester vor 82'000 Zuschauern auf Crystal Palace. Das Spiel ging in die Verlängerung, wo Kevin Phillips in der 105. Minute für den Siegestreffer von Palace verantwortlich war.
So blieb die Erinnerung an den gewonnenen Halbfinal der einzige Trost für Almen Abdi und sein Team, welches in der zweithöchsten Spielklasse verweilen musste. 2015 gelang dann der Aufstieg in die Premier League – seither spielt Watford mal oben, mal unten.