Michael Lind ist ein prominenter Politologe mit tendenziell konservativen Ansichten. Sein jüngstes Buch trägt jedoch einen Titel, der einem Jung-Marxisten bestens anstehen würde: «The New Class War» (Der neue Klassenkrieg). Die Thesen, die Lind darin vertritt, sind ebenfalls unorthodox. Er schreibt:
Kurz: Gemäss Lind haben sich im Neoliberalismus raffgierige Manager und elitäre Kulturschaffende zu einer fatalen Partnerschaft auf Kosten eines ausgebeuteten Mittelstandes gefunden.
Diese These wird von der populistischen Rechten eifrig und gerne aufgenommen. Kein Abend, an dem Fox-News-Moderatoren wie Sean Hannity, Tucker Carlson und Laura Ingraham nicht gegen den angeblichen Meinungsterror einer elitären Linken wettern.
Selbst in klassisch liberalen Medien findet diese These ihren Widerhall. So beklagt sich Kathleen Parker, Kolumnistin bei der «Washington Post», darüber, dass sich amerikanische Unternehmen und Universitäten der linken Meinungspolizei unterwerfen. Sie schreibt:
Im Zentrum dieser Diskussion stehen die beiden Begriffe «woke» und «Cancel Culture». Zunächst müssen wir daher klären, was sie bedeuten.
«Woke» kann man etwa übersetzen mit: Sensibilisiert sein für soziale Gerechtigkeit im Allgemeinen und Rassismus im Besonderen. Von einer «Cancel Culture» spricht man, wenn jemandem die emotionale und finanzielle Unterstützung öffentlich – primär in den sozialen Medien – entzogen wird.
Die Cancel-Culture-Diskussion tobt schon eine Weile. Diese Woche hat sie einen neuen Höhepunkt erreicht. Verantwortlich dafür ist der Rücktritt der Kolumnistin Bari Weiss bei der «New York Times». Auch hier gibt es eine kurze Vorgeschichte.
Die teils gewalttätigen Unruhen nach dem Tod von George Floyd haben den republikanischen Senator Tom Cotton dazu bewogen, in einem Kommentar in der «New York Times» den Einsatz von Soldaten zu fordern. Das hatte einen Mini-Aufstand auf der Redaktion zu Folge. Die empörten Journalisten hatten Erfolg: Der Verlag entschuldigte sich zumindest teilweise für die Veröffentlichung des Kommentars, der zuständige Ressortleiter James Bennet wurde gefeuert.
Auftritt der Kolumnistin Weiss. Sie arbeitet seit 2017 bei der «New York Times» und bezeichnet sich selbst als Vertreterin von Mitte-Links. Im Internet hatte sie sich zuvor schon über die Entlassung von Bennet beklagt. Nun zog sie selbst die Konsequenzen und kündigte.
Mehr noch. In einem langen und öffentlich gemachten Brief an den Verleger A.G. Sulzberger rechtfertigte sie ihre Kündigung und prangerte dabei die vermeintliche Cancel-Culture-Mentalität der «New York Times» an.
Ebenfalls beklagte sie sich, ein Opfer von hauptsächlich jüngeren Woke-Vertretern zu sein. Der «New York Times» wirft sie vor, den Bezug zu den gewöhnlichen Menschen verloren zu haben.
Hier Auszüge aus dem Kündigungsschreiben:
Und:
Rücktritt und Kündigungsbrief haben hohe Wellen geworfen, auch in linksliberalen Kreisen. Andrew Sullivan, ein bekannter Journalist beim «New York Magazine», trat aus Solidarität zurück. Bill Maher, ein landesweit bekannter Comedian, machte sich ebenfalls für Weiss stark.
In der «Washington Post» beklagt der Kolumnist Henry Olsen gar, der McCarthyismus sei zurück. (In den 50er Jahren war Senator Joseph McCarthy ein legendärer Kommunistenjäger, der einen unglaublichen Meinungsterror veranstaltet hatte.) Konkret hält Olsen fest:
Im «Harper’s Magazine» haben derweil 153 teils sehr bekannte Persönlichkeiten wie J.K. Rowling und Noam Chomsky einen Brief unterschrieben. Darin wird vor einer Bedrohung des intellektuellen Lebens in den USA gewarnt. «Der freie Austausch von Informationen und Meinungen, die Lebensader eine liberalen Gesellschaft, wird täglich eingeschränkt» heisst es unter anderem.
Die Meinungsterror-These ist jedoch umstritten, wie auch die Person von Bari Weiss. Sie sei nicht wirklich ein Opfer einer Cancel-Culture-Kampagne, heisst es aus Kreisen der Redaktion der «New York Times». Sie habe vielmehr die Gelegenheit am Schopf gepackt und für Werbung in eigener Sache missbraucht.
Der bekannte Publizist Pankaj Mishra bestreitet derweil die These eines Meinungs-Einheitsbreis. Das Gegenteil sei der Fall, so Mishra. Es herrsche eine Meinungsvielfalt wie noch nie, eine eigentliche «Kakophonie von neuen Stimmen».
Die Social Media Hühnerhaufen: „nain 100 Likes wir werde alle stärpen“
...brauchen einfach ein paar erwachsene Aufpasser.
90% der Menschheit interessiert die Echokammer Twitter / FB / YT schlicht nicht
Ende.
Bei der ausgeprägten Diskussion über die Benennung von Süssigkeiten (Artikel vs Kommentarspalte) sieht man, dass diese Diskussion auch in den Verlagshäusern und Medientempeln der Schweiz geführt werden sollte.