Eine Kurzzusammenfassung der aktuellen Situation der Weltwirtschaft sieht wie folgt aus: Chinas Exporte brechen ein und die Aktienkurse stürzen ab. Gleichzeitig wird eine Zinswende in den USA erwartet. Für den Rest der Welt ist dies ein giftiger Cocktail: Die Rohstoffpreise sinken und bringen Schwellenländer wie Brasilien, aber auch die Ölstaaten, in Schwierigkeiten. Derweil verlieren ihre Währungen gegenüber dem Dollar an Wert. Weil sowohl die Unternehmen wie die Regierungen dieser Länder sich in Dollar verschuldet haben, geht ihnen langsam der Schnauf aus.
So weit, so schlecht. Aber der Reihe nach. Im Zentrum der Turbulenzen steht China. Zu Recht: China ist wichtig. Rund 15 Prozent des globalen Bruttoinlandprodukts werden heute im Reich der Mitte erwirtschaftet. Etwa die Hälfte des Wachstums der Weltwirtschaft in den letzten Jahren wurde durch den rasanten chinesischen Aufschwung ermöglicht. Wenn China schwächelt, bekommt dies der Rest der Welt zu spüren.
China ist jedoch undurchsichtig. Ob und wie die Wirtschaftsstatistiken manipuliert werden, können selbst Experten kaum einschätzen; und wie weit die chinesische Zentralbank, die PBoC, ihre Geldpolitik unabhängig bestimmen kann, ist ebenfalls unklar. Grosse Zweifel herrschen auch darüber, wie weit die Regierung die Lage im Griff hat. Die Massnahmen zur Stabilisierung der Börse greifen offensichtlich nicht. Die überraschende Abwertung des Renminbi wird ebenfalls sehr unterschiedlich eingeschätzt.
Zwei Dinge sind jedoch klar: An den chinesischen Börsen findet ein Crash statt. Am Montag sind die Kurse erneut um 8,5 Prozent eingebrochen, selbst offizielle Stellen sprechen nun von einem «Schwarzen Montag». Insgesamt sind alle Gewinne des laufenden Jahres ausgelöscht worden. Dabei lagen sie noch im Juni rund 60 Prozent über dem Stand vor Beginn des Jahres.
Als gesichert gilt auch, dass die chinesische Exportwirtschaft ins Stocken geraten ist. Schon im Juli sind die Ausfuhren um rund 8 Prozent zurückgegangen, in den ersten Augustwochen hat sich dieser Rückgang noch verstärkt.
Insgesamt scheint es, als ob die negativen Trends der chinesischen Wirtschaft eine kritische Masse erreicht hätten. Im «Wall Street Journal» beschreibt Eswar Prasad, Professor an der Cornell University und ehemals zuständig für China beim IWF, die Lage wie folgt: «Die Einschätzung der Lage der chinesischen Wirtschaft hat sich gewandelt von: seriöse Bedenken zu Beinahe-Panik.»
Die bisherige Erfolgsformel der chinesischen Wirtschaft – staatliche Investitionen und Exporte – verliert ihre Wirkung. Nicht nur die Exporte stagnieren, auch die Bauwirtschaft ist gegenüber dem Vorjahr um 16,8 Prozent zurückgegangen. Das «Wall Street Journal» meldet, dass selbst die Fabriken der Autokonzerne wie GM und VW nicht mehr ausgelastet seien. Auch das IT-Unternehmen Lenovo spricht vom «wahrscheinlich härtesten Umfeld in den letzten Jahren.»
All dies gibt reichlich Grund zur Besorgnis. Ein Absturz der chinesischen Wirtschaft würde die ohnehin schon gebeutelten Rohstoffländer noch weiter ins Trudeln bringen. Vor allem der Ölpreis würde noch weiter in den Keller rutschen und damit nicht nur Länder wie Russland und Venezuela in Nöte bringen, sondern vermehrt auch Länder wie Saudi-Arabien und Kanada. Und zur Erinnerung: Das Wachstum der Weltwirtschaft war in den letzten Jahren primär von den Rohstoffpreisen getrieben.
Der zweite wichtige Player ist die US-Notenbank, die Fed. Sie hat mit ihrer Tiefzins-Politik dafür gesorgt, dass sich die amerikanische Wirtschaft erholt hat. Die Banken sind wieder saniert, die Unternehmen sitzen auf viel Cash und die Haushalte haben ihre Schuldenexzesse wieder auf ein verträgliches Mass reduziert.
Eigentlich müsste die Fed daher jetzt ihr Versprechen einlösen und langsam wieder zu normalen Zuständen zurückkehren, will heissen, die Leitzinsen erhöhen. Innenpolitisch drängt sich dieser Schritt auf, denn auch die Arbeitslosenquote ist wieder auf knapp über fünf Prozent gesunken. Für US-Verhältnisse liegt sie damit im normalen Bereich.
Bis vor ein paar Tagen wurde denn auch allgemein erwartet, dass die Fed schon Mitte September die Leitzinsen zum ersten Mal anheben wird. Jetzt aber raten selbst explizite Gegner der Politik des billigen Geldes der Fed ab, die Zinsen zu erhöhen. Ja, es wird sogar ausdrücklich davor gewarnt, den Fehler von 1937 zu wiederholen. Damals stürzte die Fed mit einer zu voreiligen Zinserhöhung die amerikanische Wirtschaft endgültig in die Depression.
Heute sind es vor allem die Sorgen um die Weltwirtschaft, die eine Zinserhöhung gefährlich erscheinen lassen. Bereits die Spekulationen über den Zinsschritt haben dazu geführt, dass mehr als eine Billion Dollar aus den Schwellenländern abgezogen wurden. Ob türkische Lira, indonesische Rupie oder südafrikanischer Rand – alle haben gegenüber dem Dollar an Wert verloren.
Es ist daher wahrscheinlich geworden, dass die Fed den Zinsschritt einmal mehr verschieben wird, wahrscheinlich bis ins nächste Jahr. Das wird zu einem grossen Aufatmen führen. Die Rohstoffpreise würden sich stabilisieren – und die Wahrscheinlichkeit, dass der chinesische Crash auf die übrigen Börsen übergreift, markant verkleinern.