Wie soll die Volksinitiative «gegen Masseneinwanderung» umgesetzt werden? Noch herrscht vor allem Ratlosigkeit. Vertreter der siegreichen SVP haben erste Vorschläge lanciert, etwa der Bündner Nationalrat und Migrationsexperte Heinz Brand: Nur hoch qualifizierte Arbeitnehmer sollen ihre Familie in die Schweiz mitnehmen dürfen. Für Leute mit niedriger Qualifikation gäbe es eine Kurzaufenthaltsbewilligung, ohne Recht auf Familiennachzug.
In «10 vor 10» vom Mittwoch sprach Brand von einem «Wanderarbeiter-Status». Der Ausdruck erinnert an China, gemeint ist jedoch faktisch eine Rückkehr zum Saisonnier-Statut, das von 1931 bis 2002 in Kraft war. Andere SVP-Exponenten sind weniger zurückhaltend. Parteipräsident Toni Brunner bezeichnete das Statut in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» im letzten November als «sehr gutes System» für saisonale Branchen wie Bau und Landwirtschaft.
Ein solcher Begriff klingt wie Hohn in den Ohren jener, die selbst als Saisonniers in der Schweiz arbeiten mussten. «Solange es Arbeiter brauchte, behielt man uns. Wenn es uns nicht mehr brauchte, gab man uns einen Tritt in den Hintern», erinnerte sich der 69-jährige Luciano Turla, der einst als Maurer gearbeitet hatte, gegenüber «swissinfo».
Die mit dem Saisonnier-Statut verbundenen Vorschriften erinnern an eine Art Lohnsklaverei. Die überwiegend aus dem Süden Europas stammenden Arbeiterinnen und Arbeiter mussten bei der Einreise einen Gesundheitscheck über sich ergehen lassen. Sie genossen nur einen geringen sozialen Schutz und durften weder den Arbeitgeber noch den Kanton wechseln. Die Familien durften sie nicht mitnehmen. Vielfach mussten sie in zugigen Baracken ohne Komfort hausen. Nach spätestens neun Monaten mussten sie nach Hause zurück.
Nach vier Saisons durfte man eine Aufenthaltsbewilligung beantragen. Doch die Vorgaben waren streng: Nur wer vier Jahre hintereinander die vollen neun Monate in der Schweiz gearbeitet hatte, kam für den Daueraufenthalt in Frage. Wenn nur ein Tag fehlte, ging alles von vorne los. «Mein Vater hatte solche Angst, einen Arbeitstag zu verlieren, dass er auch dann auf den Bau ging, wenn er krank war», sagte die gebürtige Portugiesin Cristina Inacio Denit, die heute in Genf als Primarlehrerin arbeitet, zu «swissinfo».
Einzelne Arbeitgeber nutzten dies knallhart aus: «Wenn der Luigi, der Antonio oder der José gute Arbeiter waren, haben sie alles getan, damit die Betreffenden keine Arbeitsbewilligung bekamen», sagte der Ex-Saisonnier Bruno Cannellotto der Gewerkschaftszeitung «work». Sie hätten sonst Arbeitgeber und Wohnort frei wählen dürfen. Deshalb verschickten die Chefs die Verträge so kurzfristig, dass die Arbeiter ein paar Tage zu spät in die Schweiz einreisten. Oder sie entliessen sie kurz vor Ende der Saison.
Wer es schaffte, konnte die Familie mitnehmen. Doch es gab weitere Schikanen: Nur wenn eine genügend grosse Wohnung vorhanden war, durften alle Mitglieder einreisen. Oft wurden Kinder deshalb illegal in die Schweiz gebracht. «Um Kontrollen zu entgehen, mussten wir am Morgen aus dem Haus gehen und den Tag bei Freunden verbringen. Wir mussten darauf achten, keinerlei Aufmerksamkeit zu erregen, und spielen, ohne Lärm zu machen. Mein Vater schrie uns an, wenn wir irgendwelche Geräusche machten», erinnerte sich Cristina Inacio Denit.
Das Saisonnier-Statut sorgte für zerrüttete Ehen. Kinder, die erst als Halbwüchsige in die Schweiz kommen konnten, hatten entsprechend Mühe mit der Integration. Es förderte zudem die Einwanderung von schlecht qualifizierten Menschen. Mit der Einführung der Personenfreizügigkeit 2002 wurde es abgeschafft. Selbst die «Weltwoche» bezeichnete das Saisonnier-Statut rückblickend als «eines der dümmsten wirtschaftspolitischen Instrumente der Schweiz».
Nun soll dieses Instrument nach dem Willen der SVP wieder eingeführt werden. Doch selbst Arbeitgeberkreise äussern sich skeptisch bis ablehnend. Ihnen graut es nicht zuletzt vor dem bürokratischen Aufwand. Alberto Achermann, Professor für Migrationsrecht an der Universität Bern, bezeichnete im «Tages-Anzeiger» eine Einschränkung des Familiennachzugs als möglich, aber nur, wenn sie für alle gelte, also auch für die Hochqualifizierten: «Sonst wäre sie diskriminerend.»
Bundespräsident Didier Burkhalter scheint dieses Problem erkannt zu haben. An der Bundesrats-Medienkonferenz vom Mittwoch machte er sich keine Illusionen, was die Umsetzung der Initiative angeht: «Ich persönlich finde, dass es so wenig Diskriminierung wie möglich geben sollte. Aber es wird schwierig, dies zu verhindern.»