Wirtschaft
Schweiz

Guy Parmelin spricht im Interview über die Krise in der Stahlindustrie

Bundesrat Guy Parmelin spricht an einer Medienkonferenz zum Mietrecht ueber die Aenderung des Obligationenrechts (Mietrecht: Untermiete) und Aenderung des Obligationenrechts (Mietrecht: Kuendigung weg ...
Bundesrat Guy Parmelin ist gefordert: In der Stahlbranche kriselt es.Bild: keystone

«Der Stellenabbau bei Swiss Steel zeigt, wo das Problem liegt»

Ausgerechnet der Abbau von 130 Stellen im Stahlwerk Emmen bestätige Bundesrat Guy Parmelin. darin, keine Industriepolitik zu betreiben. Im Interview erklärt er, was der Bundesrat sonst für die kriselnde Branche tut.
15.11.2024, 19:03
Stefan Bühler / ch media
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Ein guter Wirtschaftsminister ist aus liberaler Sicht einer, der sich möglichst wenig in die Wirtschaft einmischt. Doch angesichts der Krise in der Stahlbranche, den Befürchtungen nach Donald Trumps Wahl und Chinas Machtpolitik prasseln gerade von vielen Seiten Forderungen auf SVP-Bundesrat Guy Parmelin ein. Im Gespräch im Bundeshaus sagt der Wirtschaftsminister, wie er die Schweizer Wirtschaft durch die stürmische Zeit navigieren will.

Mögen Sie den Monat November?
Guy Parmelin: Ja, es ist ein guter Monat für mich. Ich habe am 9. November meinen 65. Geburtstag gefeiert, jetzt bin ich aktiver Rentner.

Lockt Sie der Ruhestand?
Nein, ich habe noch zwei, drei Jahre zu tun. Bis mindestens Ende dieser Legislatur.

«Der Bundesrat schaut nicht tatenlos zu.»

Für andere ist es ein schwieriger November, nicht nur wegen des Hochnebels. Das Stahlwerk Gerlafingen ist in seiner Existenz bedroht, Swiss Steel in Emmen hat am Freitag den Abbau von 130 Stellen bekannt gegeben. Andere Länder subventionieren kriselnde Branchen und Konzerne, man spricht von Industriepolitik. Der Bundesrat lehnt das grundsätzlich ab. Warum?
Der Stellenabbau bei Swiss Steel zeigt, wo das Problem liegt. Wir haben eine weltweite Überkapazität bei der Stahlproduktion, auch in Europa. Es sind ja nicht nur die 130 Stellen in der Schweiz, die Swiss Steel abbaut. Es sind zusätzlich 670 Stellen in ganz Europa, die das Unternehmen wegen der schwachen Nachfrage abbauen muss. Das in Ländern, die ihre Stahlunternehmen massiv mit einer Industriepolitik und Subventionen unterstützen. Genau deshalb macht die Schweiz keine Industriepolitik für einzelne Unternehmen oder Branchen.

Und das bleibt so?
Der Bund kann den Strukturwandel mit Subventionen nicht aufhalten, gerade wenn weltweit Überkapazitäten vorhanden sind oder technische Entwicklungen laufen. Dazu haben wir weder die finanziellen Mittel noch die Kompetenzen. Hingegen unterstützt der Bund die Wirtschaft mit wirtschaftsfreundlichen Rahmenbedingungen und mit Programmen, etwa für die Dekarbonisierung, an denen sich alle Unternehmen beteiligen können. Für den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern stellen wir in den nächsten Jahren deutlich über eine Milliarde zur Verfügung.

Aber in der EU werden die Stahlwerke direkt subventioniert. Ist es da nicht fahrlässig, dem Niedergang der eigenen Industrie tatenlos zuzuschauen?
Nochmals: Auch in der EU werden zahlreiche Werke geschlossen oder Stellen abgebaut, trotz Subventionen. Und es ist nicht so, dass der Bundesrat tatenlos zuschaut. Mein Kollege Albert Rösti und ich hatten mehrere Gespräche mit den Verantwortlichen des Stahlwerks Gerlafingen. Wir nutzen unseren gesetzmässigen Handlungsspielraum, zum Beispiel im Bereich der Kurzarbeit oder mit den erwähnten Förderprogrammen. Wir müssen aber auch die Folgen möglicher weitergehender Massnahmen bedenken: Was, wenn eine andere Branche in die Krise gerät – zahlen wir dann auch?

«Wenn Arbeitsplätze verloren gehen, ist das immer ein Drama.»

Die Wirtschaftskommissionen des Parlaments fordern vom Bundesrat, die Schweizer Stahlindustrie zu retten, allenfalls mit Notrecht. Was sagen Sie dazu?
Wie gesagt – der Bundesrat schöpft seine gesetzlichen Möglichkeiten aus. Das Parlament als Gesetzgeber sucht jetzt nach neuen Lösungen. Das ist gut so. Für den Bundesrat ist wichtig, dass dabei die vorher beschriebenen Rahmenbedingungen beachtet werden.

Hunderte Jobs sind aber jetzt bedroht. Würde es sich dabei nicht um Stahlarbeiterfamilien handeln, sondern Bauernfamilien, würden Sie alle Hebel in Bewegung setzen, nicht?
Wenn Arbeitsplätze verloren gehen, ist das immer ein Drama. Was die Bauernfamilien betrifft, möchte ich Sie daran erinnern, dass auch die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe ständig zurückgeht. Das ist ein stiller Prozess, der auch wehtut.

«Ich bin für die zweite Amtszeit von Präsident Trump vorsichtig optimistisch.»

Weh getan hat in der Schweiz vielen auch die Wahl von Donald Trump. Wie nehmen Sie die Stimmung wahr?
Die Echos, die ich erhalte, sind zwiespältig. In der Wirtschaft stelle ich einerseits ein gewisses Wohlwollen gegenüber Präsident Trump fest. Es gibt aber auch eine Verunsicherung wegen seiner Ankündigungen im Wahlkampf in Richtung höherer Zölle und mehr Protektionismus. In der Bevölkerung spüre ich eine gewisse Besorgnis. Als Bundesrat kann ich sagen, dass wir zwischen 2017 und 2021 gut mit der Trump-Administration zusammenarbeiten konnten. Ich bin für die zweite Amtszeit von Präsident Trump vorsichtig optimistisch, was die wirtschaftliche und wissenschaftliche Zusammenarbeit betrifft.

In Trumps erster Amtszeit war die Schweiz nahe an einem Freihandelsabkommen mit den USA. Hoffen Sie, dass man dieses Projekt nun weiterbringen kann?
Bezüglich Freihandelsabkommen würde ich vorsichtig bleiben. Wir haben das damals mit den USA geprüft und am Ende festgestellt, dass die beidseitigen Bedingungen nicht in genügendem Mass übereinstimmen. Bald fünf Jahre später können wir das wieder anschauen, aber die Umstände sind immer noch ähnlich. Aus Sicht der USA läuft es schon jetzt gut mit der Schweiz, warum etwas ändern…

…und ein Abkommen, das auch die Landwirtschaft betrifft, wäre in einer Volksabstimmung in der Schweiz ohnehin kaum zu gewinnen.
Es gäbe sehr grosse Widerstände. Wir verfolgen die Strategie, mit den USA in einzelnen Sektoren Abkommen abzuschliessen, wie uns das bei der Pharmaindustrie letztes Jahr gelungen ist.

Auf globaler Ebene ist die Unsicherheit derzeit gross. Ein Wirtschaftskrieg USA-China ist nicht auszuschliessen. Deutschland stagniert, die Regierung ist gerade auseinandergefallen. Die Kriege in der Ukraine und in Nahost dauern an. Stehen wir vor einer globalen Wirtschaftskrise?
Auch hier sind die Signale nicht einheitlich. Da sind China und die USA mit einer sich eher abschwächenden Dynamik. Auf der anderen Seite rechnet man in Europa mit einer Verbesserung der Lage. Aber die Ungewissheiten sind gross. Kommt es etwa wegen des Kriegs in Nahost zu Blockaden im Roten Meer, hätte das auch bei uns starke Auswirkungen auf die Lieferketten. Auch wirtschaftliche Spannungen zwischen den USA, China und der EU bekäme die Schweiz zu spüren. Meine Fachleute sehen Anzeichen für einen leichten Aufschwung, aber mit viel Ungewissheiten.

«Was [Länder im Globalen Süden] nicht vertragen, ist, wenn wir ihnen sagen, was sie zu tun haben.»

Die deutsche Automobilindustrie, die eine wichtige Kundin von Schweizer Unternehmen ist, steckt in der Krise. Wie hart trifft der Niedergang von VW die Schweiz?
Sie sagen es, Deutschland steckt in Schwierigkeiten und ist ein wichtiger Kunde der Schweiz. Unsere Unternehmen haben aber ihre Abhängigkeit von deutschen Kunden reduziert. Trotzdem kann es sein, dass einzelne Unternehmen in der Schweiz in Schwierigkeiten geraten. In welchem Ausmass, ist derzeit schwer zu beurteilen.

Näher als Industriepolitik sind Ihnen Freihandelsverträge mit Ländern in der ganzen Welt. Ist das Ihr Rezept, um die Schweizer Wirtschaft zu fördern?
Ja, obschon ich als Landwirt eigentlich zurückhaltend sein sollte, denn die harte Währung bei Verhandlungen über Freihandel sind Zugeständnisse bei der Landwirtschaft, und da haben wir kaum Spielraum. Aber mir scheint es die beste Möglichkeit für die Schweiz, neue Märkte zu erschliessen. Mit Indien haben wir erfolgreich abgeschlossen, der Vertrag kommt nun ins Parlament.

«Die Abhängigkeit von China wird nicht erhöht.»

Und eventuell vors Volk. Indien ist zwar eine Demokratie, die Wirtschaft wird aber von wenigen Oligarchen gesteuert, die Regierung zeigt autoritäre Tendenzen. Indien erinnert an Russland vor etwa fünfzehn Jahren – das wird eine schwierige Abstimmung.
Indien ist eine Demokratie, die Wahlen dieses Jahr verliefen korrekt. Wir verhandeln mit mehreren Ländern, die sich rasch entwickeln, etwa auch in Südamerika. Sie sind sich der Probleme bewusst, auch bezüglich Klimawandel oder Abholzung des Regenwalds. Was sie aber nicht vertragen, ist, wenn wir ihnen sagen, was sie zu tun haben. Hingegen sind sie froh, wenn sie mit uns dort zusammenarbeiten können, wo unsere Wirtschaft über viel Know-how verfügt.

Wir machen nur Business und reden bei Menschenrechten und Umweltzerstörung nicht rein – stiehlt sich die Schweiz nicht einfach aus der Verantwortung?
Nein, wir haben Bestimmungen zu diesen Fragen in den Verträgen. Und wir halten uns darin auch ausdrücklich an internationale Abkommen wie das Klimaübereinkommen von Paris.

Ganz sicher keine Demokratie ist China. Es führt die autoritäre Ländergruppe mit Russland, Nordkorea und Iran an, davor warnt sogar der Nachrichtendienst des Bundes. Peking beliefert Putin mit Material für den Krieg in der Ukraine. Trotzdem verhandeln Sie über eine Weiterentwicklung des Freihandelsvertrags. Müsste nicht das Gegenteil geschehen, dass die Schweiz die wirtschaftliche Abhängigkeit von China reduziert?
Die Abhängigkeit von China wird nicht erhöht. Es geht in den Verhandlungen um eine Verbesserung des Vertrags, den wir seit zehn Jahren haben, und auch um Fragen der Nachhaltigkeit.

In der Schweiz wird Wirtschafts-, Sicherheits- und Menschenrechtspolitik separat betrieben: Sie verhandeln mit China über Freihandel, der Staatssekretär des Aussendepartements führt einen Menschenrechtsdialog, und der Nachrichtendienst warnt vor den Gefahren, die vom chinesischen Regime ausgehen. Mir scheint das alles nicht kohärent.
Der Menschenrechtsdialog besteht seit 30 Jahren, wir sind das einzige Land, das dieses Format hat mit China.

Manche sagen, es sei ein reines Feigenblatt.
Nein, das stimmt nicht. Aber es ist ein Dialog, den man nicht öffentlich führen kann.

«Für die Schweiz ist es wichtig, dass sie vielseitig aufgestellt ist – wir brauchen beides.»

Wie fliessen die Bedenken des Nachrichtendienstes in die Verhandlungen ein?
Man darf nicht naiv sein, aber auch nicht ängstlich. Sehen Sie, die Schweiz ist nicht das einzige europäische Land, das mit China zusammenarbeiten will. Offiziell geht die EU zwar auf Distanz und warnt vor Peking. Ich habe hier aber eine Liste von EU-Staaten, die mit China in diesem Jahr einen Vertrag zu Wissenschaft oder Wirtschaft abgeschlossen haben – sie hat nicht Platz auf einem A4-Blatt. Darunter Länder wie Deutschland, Frankreich, Italien, deren Staatschefs alle in China waren. Nach aussen kritisieren alle China – und hinter den Kulissen schliessen sie Verträge ab.

Über die wichtigsten Verträge haben wir jetzt noch gar nicht gesprochen.
Welche?

Sagen Sie es!
Wir arbeiten am Vertragspaket mit der EU, die Verhandlungen laufen derzeit intensiv, und der Bundesrat will zu gegebener Zeit entscheiden, ob das Verhandlungsresultat befriedigend ist, damit wir eine Botschaft zuhanden des Parlaments verabschieden können. Vor allem aber kommt es auf die Qualität des Verhandlungsergebnisses an.

Wenn Sie heute auswählen könnten: Alle erwünschten Freihandelsverträge liegen vor oder die Bilateralen III sind fertig ausgehandelt – wo würden Sie zugreifen?
Man darf das eine nicht gegen das andere ausspielen. Für die Schweiz ist es wichtig, dass sie vielseitig aufgestellt ist – wir brauchen beides. (aargauerzeitung.ch/lyn)

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32 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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John H.
15.11.2024 19:49registriert April 2019
Lieber Herr Bundesrat:
"Genau deshalb macht die Schweiz keine Industriepolitik für einzelne Unternehmen oder Branchen." - Gilt das auch für die Finanzindustrie und die Agrarindustrie?

"Der Bund kann den Strukturwandel mit Subventionen nicht aufhalten." Auch in der Agrarindustrie?

"Was, wenn eine andere Branche in die Krise gerät – zahlen wir dann auch?" Ja natürlich habt ihr das bei der CS, zahlen heisst ja auch Garantien zusagen.

"Was die Bauernfamilien betrifft, möchte ich Sie daran erinnern, dass auch die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe ständig zurückgeht" Aber nicht die Subventionen.
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Vision2060
15.11.2024 20:52registriert April 2021
Das Stahlwerk produziert wiederaufbereiteter Stahl. Das ist besser als neuer Stahl aus China, der vom Staat geschützt und mit Geld verbilligt wird , damit die ausländischen Stahlwerke nicht mithalten können. Das gleich passiert ja gerade bei der Solarindustrie in der Schweiz, wo die chinesische Regierung massiv Geld in die Hand nimmt, um alle andere Solarhersteller vom Mark zu verdrängen. Einfach unsere Stahlindustrie der chinesischen Industrie zu opfern macht uns noch mehr abhängig von China. Und da hier ja recycelt wird, sollten wir wegen der Umwelt wirklich umdenken.
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Fritz Spitz
15.11.2024 19:19registriert Juli 2014
Das Problem ist, dass alles ins Ausland verlagert wird, weil günstiger. Es braucht wieder eine Switzerland First Politik, wie es Trump macht. Wir dürfen uns nicht immer weiter von China abhängig machen.
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