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Stahlwerk Gerlafingen: Auch ausländische Stahlkocher haben Probleme

Chinesischer Stahl vor dem Abtransport ins Ausland.
Chinesischer Stahl vor dem Abtransport ins Ausland.Bild: getty

Nicht nur in Gerlafingen und Emmenbrücke kämpfen die Stahlkocher mit Problemen

Der Einbruch der Baukonjunktur in China befeuert globale Überkapazitäten. Der Zerfall der Stahlpreise bringt viele Hersteller in Existenznot - und setzt Handelsdiplomaten in Bewegung.
23.10.2024, 13:33
Daniel Zulauf / ch media
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Dem Stahlwerk Huachipato war nicht mehr zu helfen. Ein letzter Versuch der chilenischen Regierung, die billigen chinesischen Stahlimporte mit Schutzzöllen abzuwehren, blieb wirkungslos. Im September wurden die Hochöfen abgestellt – nach 74 Jahren.

Eine Kleinstadt in der südamerikanischen Provinz verliert ihren wichtigsten Arbeitgeber und 2700 Leute ihren Job. Es ist ein trauriges Ereignis für einen Ort, der einst gut vom Stahl leben konnte. Identische Tragödien spielen sich derzeit auf der ganzen Welt ab, auch in der Schweiz. Hierzulande kämpfen Stahl Gerlafingen und Swiss Steel in Emmenbrücke ebenfalls mit massiven Problemen. Es sind dieselben, unter denen die Industrie weltweit leidet.

Produktion ohne Zukunft

Was für eine Zukunft hat schon eine Produktion, wenn der Importstahl aus China 40 Prozent billiger ist? In Lateinamerika kauften alle den billigen China-Stahl, bis Huachipato schliessen musste. 2023 importierte die Region 10 Millionen Tonnen Stahl von der asiatischen Wirtschaftsgrossmacht – 44 Prozent mehr als im Jahr davor.

Huachipato hat seit 2019 Verluste in Höhe von 700 Millionen US-Dollar angehäuft. Aber reich werden die chinesischen Stahlproduzenten deshalb noch lange nicht. Die aktuelle Flut chinesischer Stahlexporte ist nicht zuletzt eine Folge der dortigen Krise des Immobiliensektors. Der auf Rohstoffmärkte ausgerichtete Informationsdienst «Fastmarkets» schreibt, die Verkäufe der 100 grössten chinesischen Immobilienentwickler seien zwischen August 2023 und August 2024 um 22 Prozent eingebrochen – nachdem sie schon vorher im ähnlichen Stil kollabiert waren.

Kater nach dem Immobilienboom

Die Baubranche ist mit einem Umsatzanteil von bis zu einem Drittel eine der wichtigsten Kundinnen für die Stahlhersteller. Nach dem grossen chinesischen Immobilienboom, der 2021 mit der Insolvenz des damals bedeutendsten Immobilienentwicklers Evergrande jäh zu Ende ging, suchen Chinas Stahlkocher ihr Heil mehr denn je auf den Exportmärkten. Aber dort sind viele Türen schon zugegangen. Und in vielen Ländern entstehen laufend höhere oder neue Importschranken.

«Wir haben die Wahl, die Exportpreise zu senken oder unsere Exporte zu drosseln» zitiert Fastmarkets einen nicht namentlich genannten chinesischen Stahlhersteller. Es ist eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Auch Chinas Stahlkocher häufen im Bestreben, Arbeitsplätze und die eigene Existenz zu sichern, gigantische Verluste an. Im Unterschied zum Stahlwerk Huachipato werden diese weiter vom Staat finanziert. Gemäss «South China Morning Post» schreiben 95 Prozent der chinesischen Stahlhersteller rote Zahlen. Die führende, englischsprachige Zeitung aus Hongkong bezieht sich auf Erhebungen der lokalen Beratungsfirma «Mysteel».

China exportiert derzeit so viel Stahl wie seit 2016 nicht mehr. Als Folge davon häufen sich die Abwehrmassnahmen in den ausländischen Absatzmärkten. Allein im laufenden Jahr haben 12 Länder oder Handelsblöcke insgesamt 28 Antidumping-Verfahren in Bezug auf die billigen chinesischen Stahlexporte angestrengt, schreibt die «South China Morning Post» – unter ihnen die EU, die USA, Brasilien Vietnam und viele andere. Nützlich sind solche Importschranken allerdings nur bedingt.

Obschon die chinesischen Stahlimporte in der EU dank dieser Massnahmen in den vergangenen Jahren nur marginal gestiegen sind, hat sich zum Beispiel in Deutschland der Preis für Baustahl seit Frühjahr 2022 mehr als halbiert. Dafür verantwortlich sei ein «Domino-Effekt», den die billigen China-Exporte via weniger geschützte Märkte erzeugen, zitiert die «Financial Times» Axel Eggert, Generaldirektor des Stahlverbandes «Eurofer». Der Verband fordert stärke Schutzmassnahmen.

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Für die Halbierung des Baustahls verantwortlich sei ein «Domino-Effekt», den die billigen China-Exporte via weniger geschützte Märkte erzeugen, meint Axel Eggert, Generaldirektor des Stahlverbandes «Eurofer».Bild: keystone

Mächtige Branche

Die Stahlindustrie war während vieler Jahre mächtig genug, um sich handelspolitische Privilegien zu erstreiten, von denen kleinere Firmen und Branchen nur träumen konnten. In den USA erhielt die Branche ab 1969 besonderen staatlichen Schutz, als der Vietnamkrieg den Kurs des Dollars ins Schwingen brachte.

1982 war der Durchschnittslohn eines amerikanischen Stahlarbeiters doppelt so hoch wie der durchschnittliche Lohn von anderen Industriearbeitern. Damals ging es für die USA darum, billige japanische Stahlimporte abzuwehren. Wie die aktuelle wirtschaftliche Lage im US-Rostgürtel aber zeigt, liess sich der Niedergang der US-Stahlindustrie damit nicht verhindern.

Dafür gibt es eine recht einfache Erklärung: Ein Unternehmen, das sich erfolgreich gegen billigere Konkurrenten wehren will, muss produktiver werden, also den Ausstoss pro Mitarbeitenden steigern. Dafür sind Investitionen in neue Technologien nötig. Solche Investitionen sind aber nur erfolgreich, wenn sie die Produktionskosten unter die Preise der Billigimporte senken können.

«Eine solche Wunderpille hatten die US-Stahlhersteller nicht», erklärten die US-Ökonomen Richard Caves, Jeffrey Frankel und Ronald Jones damals ihren Studenten. «Die effizienteste Entscheidung der Industrie war es deshalb, die bestehenden Werke so lange weiterzuführen, bis sie nicht mehr in der Lage waren, die laufenden Kosten zu decken und sie dann zu schliessen.» (aargauerzeitung.ch)

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