Der vierte Raketentest von Elon Musk Weltraumrakete Starship ist geglückt – die Rakete hob erfolgreich ab und stürzte rund eine Stunde später kontrolliert und wie geplant in den indischen Ozean. «Splashdown bestätigt!», liess das Unternehmen SpaceX auf X verlauten. «Herzlichen Glückwunsch an das gesamte SpaceX-Team zu einem aufregenden vierten Flugtest von Starship!»
Splashdown confirmed! Congratulations to the entire SpaceX team on an exciting fourth flight test of Starship!
— SpaceX (@SpaceX) June 6, 2024
Der Start vom SpaceX-Weltraumbahnhof Starbase bei Brownsville im US-Staat Texas war ursprünglich auf 14 Uhr (MESZ) angesetzt, wurde dann aber auf 14.50 Uhr verschoben. Als besonders grosser Erfolg wurde dabei vor allem der Wiedereintritt in die Erdatmosphäre gefeiert – obwohl wegen der heftigen Erhitzung Funken zu sehen waren und diverse Teile abbrachen. Diese Verluste hatten allerdings keine grossen Auswirkungen auf den letzten Teil des Fluges. So bremste die Rakete über dem Meer ab, richtete sich auf, und kippte dann wie geplant ins Wasser.
Liftoff of Starship! pic.twitter.com/2Z1PdNPYPG
— SpaceX (@SpaceX) June 6, 2024
Die Raumfahrtfirma SpaceX des so umtriebigen wie umstrittenen Unternehmers Elon Musk plant in diesem Jahr bis zu zehn Starts mit dieser Grossrakete; ob wirklich alle Testflüge stattfinden, wird sich weisen. Und auch, ob überhaupt alle notwendig sind, um die Praxistauglichkeit des Projekts zu zeigen.
Das 2002 gegründete Unternehmen SpaceX arbeitet schon seit 2019 an Prototypen des Starship; erste Testflüge fanden 2023 statt. Wie bei den Raketen der Falcon-Reihe, die teilweise wiederverwendbar sind, steht die Wiederverwendbarkeit im Vordergrund – wobei erstmals alle Teile des Systems wiederverwendbar sein sollen. Das von Musk lange «BFR» genannte Raketenprojekt – «BFR» steht angeblich wahlweise für «Big Falcon Rocket» oder «Big Fucking Rocket» – besteht aus zwei Komponenten: dem Booster «Super Heavy» und der ebenfalls «Starship» genannten oberen Stufe, die zugleich als Raumschiff dienen soll.
Das Starship soll dereinst bis zu 150 Tonnen Nutzlast ins All bringen können und die derzeitigen Flugkörper von SpaceX – die Falcon-Raketen, die Falcon Heavy und das Raumschiff Dragon 2 – ablösen. Das bedeutet, dass auch deren Aufgaben übernommen werden sollen: kommerzielle Raketenstarts, Starts für staatliche Raumfahrtbehörden wie die NASA, Versorgungsmissionen für die Internationale Raumstation ISS, den Ausbau des Starlink-Satellitensystems sowie Flüge für Weltraumtouristen. Die Monsterrakete soll also bemannte wie unbemannte Missionen ermöglichen – langfristig anvisierte Ziele sind dabei auch der Mond und der Mars.
Der 71 Meter lange Booster Super Heavy ist mit 33 Raptor-Triebwerken ausgerüstet, von denen 13 schwenkbar sind. Als Treibstoff dient flüssiges Methan und flüssiger Sauerstoff. Geplant ist, dass Super Heavy nach der Abtrennung der oberen Stufe zur Erde zurückfliegt und in einer Fangvorrichtung direkt am Startturm landet. Die Zweitstufe Starship, von der es unterschiedliche Konfigurationen gibt, hat einen integrierten Nutzlastbereich. Sie ist 50 Meter lang und weist ein Leergewicht von 120 Tonnen auf. Angetrieben wird sie von 6 Raptor-Triebwerken. Die gesamte Rakete ist 121 Meter lang und hat einen Durchmesser von 9 Metern – das macht sie zur grössten Rakete der Welt.
Beim mittlerweile vierten Testflug soll eine ähnliche Flugbahn wie beim vorhergehenden Test verfolgt werden; die Wasserung ist im Indischen Ozean geplant. Hauptziel ist der kontrollierte Wiedereintritt von Starship in die Erdatmosphäre. Wie SpaceX feststellt: «Beim vierten Flugtest liegt der Schwerpunkt nicht mehr auf dem Erreichen der Umlaufbahn, sondern auf dem Nachweis der Fähigkeit zur Rückkehr und Wiederverwendung von ‹Starship› und ‹Super Heavy›.»
Starship is ready to fly pic.twitter.com/3PIb5FhHaR
— Elon Musk (@elonmusk) June 3, 2024
Während des Wiedereintritts soll Starship viel tiefer in die Atmosphäre eindringen und eine maximale Wiedereintrittserwärmung erreichen; Super Heavy soll sanft im Indischen Ozean wassern. Um diese Ziele zu erreichen, wurden nach dem dritten Test mehrere Software- und Hardware-Upgrades durchgeführt. Unter anderem soll auch der Hot-Stage von Super Heavy nach dem Boostback (Umkehr der Flugrichtung) abgeworfen werden, um die Booster-Masse für die letzte Flugphase zu reduzieren.
Der aktuelle Test folgt auf einen relativ erfolgreichen dritten Flugtest, der am 14. März dieses Jahres – am 22. Jahrestag der Gründung von SpaceX – durchgeführt wurde. Damals konnte die Firma Starship erstmals in den Orbit bringen, doch es gelang nicht, die Triebwerke des Boosters nach der erfolgreichen Drehung in die Senkrechte wieder zu zünden. Super Heavy stürzte darauf ungebremst in den Indischen Ozean, während Starship beim Wiedereintritt in die Atmosphäre zerbrach. Gleichwohl konnte SpaceX einige seiner Missionsziele erreichen, etwa die Wiederholung der erfolgreichen Stufentrennung während des ersten Aufstiegs.
Beim zweiten Teststart am 18. November 2023 erreichte die Oberstufe eine Höhe von 149 Kilometern und damit den Weltraum. Das «Hot Staging», das heisst, die Triebwerke der zweiten Stufe zünden bereits vor der Stufentrennung, funktionierte. Hot Staging vermeidet einen antriebslosen Flug zwischen den Brennphasen der beiden Stufen, was zu einem Geschwindigkeitsverlust und damit zu einer verminderten Transportleistung der Rakete führen würde. Allerdings explodierte der Booster kurz nach der Trennung und auch das Starship endete nach etwa acht Minuten Flugzeit in einem Feuerball.
Im Vergleich dazu war der erste Teststart am 20. April 2023 wenig erfolgreich: Wegen eines Treibstofflecks war im Triebwerksteil des Boosters ein Brand ausgebrochen und die Rakete war noch vor der Trennung ausser Kontrolle geraten. Sie wurde nach gut drei Minuten gesprengt.
SpaceX führt seit 2012 Materialtransportflüge zur Internationalen Raumstation ISS durch. Dazu diente bis 2020 das Raumschiff Dragon, seither die modernisierte Version Cargo Dragon 2. Im Gegensatz zu den russischen Progress-Raketen und dem Raumtransporter Cygnus von Orbital Sciences kann SpaceX damit Material auch wieder zur Erde zurückbringen. Starship, dessen verschiedene Konfigurationen neben Material- auch Personentransporte ermöglichen, könnte diese Aufgabe übernehmen. Und dank der angestrebten vollständigen Wiederverwendbarkeit sollten diese Raketenstarts kostengünstiger sein als jene der Falcon 9.
Auch die Satelliten der dritten Generation für das Starlink-Netzwerk sollen künftig – die Rede ist von Ende 2024 – von einer speziellen Starship-Konfiguration in den Orbit gebracht werden. Dieser Starlink-Frachter soll als erste der Varianten zum Einsatz kommen; diese Konfiguration besitzt statt der Bugklappe nur ein schmales seitliches Frachttor. Dies ermöglicht eine stabilere und daher leichtere Konstruktion. Für andere, grössere Satelliten oder Module von Raumstationen soll dagegen eine Variante mit einer grossen Bugklappe dienen. Weitere Varianten könnten als Tanker eingesetzt werden.
Der Zeitplan für den ersten Start mit Weltraumtouristen konnte offensichtlich nicht eingehalten werden – vorgesehen war er für das Jahr 2023. Den ersten bemannten Starship-Flug hat der amerikanische Milliardär Jared Isaacman für sein Polaris-Raumflugprogramm gebucht, den zweiten der japanische Milliardär Yusaku Maezawa. Maezawa wollte – begleitet von acht Künstlern – auf der Mission «Dear Moon» den Mond umrunden. Mittlerweile hat der Japaner den Flug jedoch abgesagt. Nach wie vor mit einem Starship-Flug ins All möchte indes Dennis Tito, der 2001 der erste Weltraumtourist überhaupt war. Der 83-Jährige will zusammen mit elf weiteren Touristen den Mond umrunden.
Starship soll Menschen nicht nur ins All bringen, sondern sie auch in nie dagewesener Geschwindigkeit rund um die Erde befördern. In der Theorie soll jeder Punkt auf der Erde durch einen Suborbitalflug erreichbar sein – und dies in weniger als einer Stunde. SpaceX-Präsidentin Gwynne Shotwell prognostizierte 2018, solche Transporte könnten innerhalb von zehn Jahren realisiert werden.
Die US-Raumfahrtbehörde NASA hat SpaceX damit beauftragt, eine Mondlandefähre auf Grundlage des Starship zu entwickeln. Diese spezielle Variante ist mit Landebeinen ausgestattet, hat jedoch weder Hitzeschild noch Steuerflächen. Die Rückkehr dieser Raumschiffe ist nicht geplant; sie sollen in einer Art Pendelverkehr von der geplanten Raumstation Gateway im Mondorbit zum Mond und zurück fliegen.
Zunächst ist ein Testflug mit unbemannter Mondlandung für 2025 geplant, darauf soll – frühestens wohl 2027 – im Rahmen der Mission Artemis 3 eine Mondlandung mit zwei NASA-Astronauten erfolgen. Diese ersten Menschen auf dem Mond seit Ende des Apollo-Programms 1972 sollen fast eine Woche in der Südpolregion des Erdtrabanten verbringen, wo gefrorenes Wasser vermutet wird. Auch bei der für 2028 geplanten Mission Artemis 4 soll eine Starship-Mondlandefähre zum Einsatz kommen und vier Astronauten auf den Mond transportieren.
Der Mars ist das eigentliche Ziel von Elon Musk, der von einer Besiedlung des Roten Planeten träumt. Er hält es für überlebenswichtig für die Menschheit, eine Multi-Planet-Spezies zu werden. Die Kolonisierung soll durch eine riesige Starship-Flotte eingeleitet werden. Mittelfristig soll das Starship-Konzept mit den wiederverwendbaren Raketenteilen Weltraumflüge so günstig machen, dass ein Flug zum Mars pro Person weniger als 500'000 Dollar kosten würde. Die selbsterhaltende Kolonie, die die Siedler auf dem Mars aufbauen sollen, würde eine Million Tonnen Material erfordern, was 1000 Starship-Flügen entspricht.
Musks Zeitplan ist wie immer äusserst ambitioniert: Noch in diesem Jahrzehnt sollen Menschen ihren Fuss auf den Nachbarplaneten setzen. 2022 nannte der SpaceX-CEO dafür das Jahr 2029:
What's your guess 🤔@elonmusk pic.twitter.com/IbcVgjAYJw
— Spacexx (@ineed__spacee) March 14, 2022
Mittlerweile dürfte ein erster bemannter SpaceX-Marsflug eher für die frühen 2030er-Jahre angestrebt werden. Zuvor soll ein unbemannter Marsflug Ende 2028 eine erste vorbereitenden Materiallieferung auf den Mars bringen. Allerdings haben sich in der Vergangenheit schon viele Ankündigungen von Musk und SpaceX im Nachhinein als deutlich zu optimistisch erwiesen.