Weihnachten ohne Weihnachtsbaum – viele Leute können sich das kaum vorstellen. Die Zahlen sprechen für sich: Jedes Jahr werden in der Schweiz rund 1,7 Millionen Christbäume verkauft; die meisten stammen aus Dänemark, Deutschland und den Niederlanden. Woher aber kommt eigentlich die Tradition, einen mit Lichtern geschmückten Weihnachtsbaum aufzustellen? Ist sie wirklich so uralt, wie viele annehmen? Ein Blick zurück auf die Ursprünge des Christbaums.
Oft heisst es, der Ursprung des mit Lichtern geschmückten Weihnachtsbaums liege im Norden Europas, wo die Winter lang und dunkel sind. Beleg für diese These soll das Julfest sein, das in der Tat in mehreren nordischen Ländern mit Weihnachten verschmolzen ist, ursprünglich aber eine germanisch-heidnische Tradition darstellte. Anfänglich handelte es sich wohl um ein Fest zur Wintersonnenwende, also jenem Zeitpunkt, von dem an die Tage wieder länger werden. Dass aber in vorchristlicher Zeit mit Lichtern geschmückte Nadelbäume aufgestellt wurden, lässt sich nicht belegen.
Allerdings gab es in den nördlichen Regionen Europas den Brauch, im Winter Tannenzweige ins oder vors Haus zu hängen; ihr Duft diente möglicherweise zur Abwehr böser Geister. Vielleicht führt von dort eine Traditionslinie zum Weihnachtsbaum, doch die Belege dafür fehlen. Tatsächlich verschmolz das heidnische Julfest aber mit Weihnachten: Laut dem Chronisten Snorri Sturluson soll es der norwegische König Håkon I., der Gute, auf den 25. Dezember und damit auf das Datum des Weihnachtsfests verschoben haben. Die Kirche versuchte übrigens vergeblich, den Namen des Fests zu ändern.
Neben den germanischen Bräuchen, die gern als Ursprung für den lichtergeschmückten Weihnachtsbaum herangezogen werden, gibt es aber noch andere Traditionen aus der Antike, die womöglich als ferne Ahnen des heutigen Christbaums in Frage kommen. So kannten die Römer den Brauch, den Jahreswechsel – bis 153 v. Chr. begann das römische Jahr freilich erst am 1. März – mit immergrünen Lorbeerzweigen zu schmücken. Grüne Zweige symbolisierten bei den Römern – und auch bei den Germanen – Fruchtbarkeit und Göttlichkeit. Immergrüne Pflanzen dienten überdies im alten Ägypten oder in China als Symbol für ewiges Leben.
Erst im Mittelalter wird die Quellenlage allmählich besser: Im Hochmittelalter, um 1170, taucht erstmals der Begriff «Weihnachten» (mittelhochdeutsch «ze wîhen nachten») auf. Ebenfalls im Mittelalter ist der Brauch belegt, Zweige von Obstbäumen («Wintermaien») ins Haus zu nehmen, die dann um Weihnachten blühen sollten. Dies gelang nicht zuverlässig, sodass man mit der Zeit dazu überging, immergrüne Pflanzen zu verwenden, beispielsweise Stechpalme, Lorbeer oder Zweige von Nadelbäumen, die man an den Wänden aufhängte.
In der frühen Neuzeit erfreute sich zudem ein christliches Mysterienspiel zur Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies einer gewissen Beliebtheit. In dem Spiel, das jeweils am 24. Dezember aufgeführt wurde, also dem Tag von Adam und Eva im Heiligenkalender, kam natürlich ein «Paradiesbaum» vor, von dem Eva die verbotene Frucht pflückt.
Als Paradiesbäume, die man mit Äpfeln als Symbol der verbotenen Frucht behängte, dienten Buchsbaum, Fichte oder Tanne, die auch am 24. Dezember grün waren. Da der 24. Dezember aber mit der Zeit immer mehr als Vorabend von Weihnachten gesehen wurde und die Bedeutung des Heiligentags von Adam und Eva schwand, könnte der Paradiesbaum sich allmählich zum Weihnachtsbaum gewandelt haben – und aus den roten Äpfeln wurden Christbaumkugeln.
Greifbare Hinweise auf Weihnachtsbäume gibt es erst im Spätmittelalter. Sie führen in den alemannischen Raum, wo bereits 1419 die Bruderschaft der Bäckerknechte in Freiburg im Breisgau einen Baum mit Lebkuchen, Obst und Nüssen behängt haben soll. Nachgewiesen ist, dass 1492 die Kirchgemeinden in Strassburg Tannen kauften. Ob sie mit Baumschmuck behängt wurden, ist indes nicht belegt.
Etwas später, um 1510, ist am anderen Ende des damaligen deutschen Kulturraums ein geschmückter Tannenbaum belegt: In der baltischen Hansestadt Riga schmückte eine Gilde von Kaufleuten gegen Ende der Weihnachtszeit einen Baum auf dem Marktplatz mit künstlichen Rosen, tanzte um ihn herum und setzte ihn zum Schluss in Brand. Die Rosen sollen dabei die Jungfrau Maria symbolisiert haben. Wiederum einige Jahre später, 1539, ist ein grosser Weihnachtsbaum im Strassburger Münster belegt, also erneut im südwestdeutschen Raum. Auch hier ist Baumschmuck jedoch nicht nachgewiesen.
Um 1570 eroberte der Weihnachtsbaum dann auch Norddeutschland: In Bremen stellten Handwerker zur Weihnachtszeit in ihren Zunfthäusern Bäume auf, die sie mit Äpfeln, Nüssen und Datteln behängten. Diese Leckereien durften die Kinder zu Weihnachten vom Baum nehmen und essen – dies lässt bereits die Verbindung von Weihnachtsbaum und Weihnachtsgeschenken erahnen.
Obwohl die ersten Berichte über Weihnachtsbäume in die Zeit vor der Reformation zurückreichen, fällt auf, dass es vornehmlich die nachmaligen protestantischen Gebiete waren, in denen der Brauch offenbar zuerst auftrat – Südwestdeutschland, das Baltikum und dann Norddeutschland. Lange Zeit war der Weihnachtsbaum dann eine eher protestantische Angelegenheit, allerdings vornehmlich der lutheranischen Konfession. Die Calvinisten begegneten dem Brauch, den sie als heidnisches Brimborium betrachteten, mit grosser Skepsis.
Auch die katholische Kirche war dem Weihnachtsbaum zunächst nicht sonderlich freundlich gesinnt. Sie gab den Krippen, die zu Weihnachten aufgebaut und mit Zweigen geschmückt wurden, den Vorzug. Im 19. Jahrhundert drang der Brauch aber immer mehr auch in katholische Gebiete vor; um die Jahrhundertwende war er bei den deutschen Katholiken fest verankert. In den katholischen Kirchen tauchten Weihnachtsbäume gleichwohl erst Mitte des 20. Jahrhunderts auf; den ersten Weihnachtsbaum auf dem Petersplatz in Rom liess Papst Johannes-Paul II. sogar erst 1982 aufstellen.
Kerzen auf dem Weihnachtsbaum sind erstmals für das beginnende 17. Jahrhundert belegt: 1611 schmückte Herzogin Dorothea Sibylle von Schlesien einen Weihnachtsbaum mit Lichtern. Bis Kerzen und Baum zur heute selbstverständlichen Einheit zusammenfanden, dauerte es aber noch eine Weile. Vorderhand behalf man sich mit Papierrosen, Oblaten oder Zischgold, goldglänzenden Flitter aus dünnen Metallplättchen. Erst ab den Dreissigerjahren des 18. Jahrhunderts setzten sich Kerzen allmählich durch.
Christbaumkugeln kamen noch später; sie wurden 1847 in Thüringen erstmals hergestellt. Danach wurden sie aber innerhalb weniger Jahre zum unverzichtbaren Zubehör. Nach wie vor waren Weihnachtsbäume aber für Normalsterbliche nahezu unerschwinglich; nur Wohlhabende konnten sich Tannenbäume leisten, die damals in Mitteleuropa eher selten waren. Dies änderte sich erst allmählich, als man im 19. Jahrhundert vermehrt Tannen- und Fichtenwälder anlegte, um die hohe Nachfrage zu decken.
Aus seiner Heimat – hauptsächlich Deutschland und die lutheranischen Regionen in Nordeuropa und im Baltikum – gelangte der Weihnachtsbaum in andere europäische Länder. Den Anfang machte Grossbritannien, später verbreitete sich der Brauch auch in den Niederlanden, in Frankreich und Italien und selbst in Russland, wo er allerdings auf die gesellschaftlich höchsten Kreise beschränkt blieb. Für die Verbreitung sorgte der deutsche Adel, der lange Zeit die europäische Aristokratie mit neuem Blut versorgte und daher mit ihr eng verflochten war.
Deutsche Emigranten brachten den Weihnachtsbaum um etwa 1800 auch in die jungen Vereinigten Staaten. Dort wurde der Brauch innerhalb eines halben Jahrhunderts kommerzialisiert und die Bäume wurden immer grösser und stets prächtiger geschmückt. Gegen die Jahrhundertwende hin tauchten in den USA dann auch die ersten Bäume mit elektrischen Kerzen auf.
Vermutlich 1853 stand erstmals ein Weihnachtsbaum vor dem Weissen Haus. Es gab aber auch Widerstand gegen den Brauch, der sich zusehends etablierte: Besorgte Stimmen warnten vor dem «Kindermord an den Bäumen», den der Bedarf an Weihnachtsbäumen mit sich bringe. Andere schlugen vor, künstliche Bäume zu verwenden, um den Baumbestand zu schonen.
Diese Aufrufe brachten nichts; künstliche Weihnachtsbäume kamen erst ab den 1920er-Jahren vermehrt in Gebrauch. Zudem erklärte Gifford Pinchot, Naturschützer und Chef des United States Forest Service, das Schlagen von Bäumen für Weihnachten sei unbedenklich. Präsident Franklin D. Roosevelt, der eine Baumschule besass, pflanzte sogar selber Weihnachtsbäume an, von denen er dem britischen Premier Winston Churchill 1943 einen zukommen liess.
Während der Nazi-Herrschaft in Deutschland versuchten eifrige völkische Kreise, die – angeblich ursprüngliche – heidnische Symbolik des Weihnachtsbaums wiederzubeleben und dessen christliches Element zurückzudrängen. Zu diesem Zweck sollte der Christ- oder Weihnachtsbaum in «Jul-Tanne» umbenannt werden. Der dazu passende «Jul-Schmuck» trug entsprechende Nazi-Motive. Anstelle des Weihnachtsbaums propagierte man auch den «Julbogen», der auf dem nordfriesischen «Jöölboom» basierte, einer in Nordfriesland verbreiteten Variante des Weihnachtsbaums.
Diese Umdeutungsversuche waren wenig erfolgreich; meist fruchteten sie nur in parteinahen Kreisen. Ihre ohnehin begrenzte Popularität schwand gegen das Kriegsende hin deutlich, und nach dem Zusammenbruch der Nazi-Herrschaft beeilten sich die meisten, den verfänglichen Baumschmuck loszuwerden.
Neben ökologischen Gründen – wie erwähnt gab es Bedenken wegen der Übernutzung des Baumbestands – spielten auch wirtschaftliche Gründe eine Rolle bei der Erfindung künstlicher Weihnachtsbäume: Die intensive Nutzung der Tannen und Fichten besonders in Deutschland führte dazu, dass deren Bestand zurückging. Überdies waren Tannen teuer und oft nur schwierig zu beschaffen. Deutsche Tüftler stellten daher in den 1880er-Jahren erste künstliche Weihnachtsbäume her, die aus Draht und gefärbten Federn bestanden.
Eines dieser frühen Modelle hatte 25 Zweige, die mit roten Beeren geschmückt waren. Danach verwendete man auch Besenborsten, später dann Kunststoff und sogar Aluminium für künstliche Weihnachtsbäume – letzteren war jedoch kein kommerzieller Erfolg beschieden. Mehrere Ladenketten nahmen künstliche Weihnachtsbäume in ihr Sortiment auf; diese erfreuten sich besonders ab den 1920er-Jahren grosser Beliebtheit, vermutlich auch aufgrund der Wirtschaftskrise – es war günstiger, einen künstlichen Weihnachtsbaum wiederzuverwenden als jedes Jahr einen echten zu kaufen.
In der Nachkriegszeit kam bis 1989 ein bedeutender Teil der künstlichen Weihnachtsbäume aus einer Fabrik in Mölln in Schleswig-Holstein. Die sogenannten Möllner Tannen bestanden aus Chenille, einer Art Garn aus Plastik, und waren besonders langlebig. Der Fabrikant und Erfinder Karl Walter Heerklotz bot seine Tannen in den unterschiedlichsten Farben und Formen an, je nach dem Geschmack der Kundschaft in den belieferten Ländern. Möllner Tannen werden heute noch hergestellt, aber die Produktion wurde längst aus Deutschland verlagert.