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Elizabeth Holmes hat nur nach den Spielregeln gespielt, nach denen das Silicon Valley funktioniert. Ja, sie hat das Spiel, bei dem es um das Verkaufen einer Vision geht, viel besser gespielt als alle anderen. Zu diesem Schluss kommt der Reporter Nick Bilton, der den spektakulären Aufstieg und Fall der jungen Ex-Milliardärin für das Magazin Vanity Fair aufgerollt hat.
Holmes ist die Gründerin der Firma Theranos, deren Namen sich aus den Worten «therapy» und «diagnose» ableitet. Das revolutionäre Produkt von Theranos ist eine Technologie zur Blutdiagnose: Mit lediglich ein paar Tropfen aus der Fingerspitze sollen hunderte Krankheiten erkannt werden. Sollten: Denn vermutlich funktioniert die Technologie gar nicht. Mehrere US-Behörden ermitteln.
Ins Rollen gebracht hatte den Skandal ein Reporter des «Wall Street Journals», der vor gut einem Jahr über Probleme bei den Tests des Start-ups berichtet hatte. Für die Blutdiagnosen verwende Theranos Geräte der Konkurrenz, schrieb John Carreyrou.
Nachdem der Bericht das vorläufige Ende von Theranos einläutete, fragt sich Reporter Bilton, wie Holmes überhaupt so weit gekommen ist? Wie sie es schaffte, eine Firma im Wert von rund neun Milliarden Dollar aufzubauen, ohne dass jemand merkt, dass deren Produkt gar nicht funktioniert?
My investigation into how Elizabeth Holmes’s house of cards came tumbling down... Including an FBI investigation. https://t.co/9pVk83nvt7
— Nick Bilton (@nickbilton) September 6, 2016
Holmes habe schon als 19-Jährige gewusst, wie der Hase im Silicon Valley läuft, schreibt Bilton in «Vanity Fair». Das begann beispielsweise so: Als Erstsemestrige an der Prestige-Uni Stanford nahm sie den Kleidungsstil von ihrem Idol Steve Jobs an – schwarzer Rollkragenpulli. Jedem, der es hören wollte, erzählte sie, wie strebsam sie sei und dass sie nie Ferien mache.
Für ein bisschen Exzentrik experimentierte sie mit dem Veganismus. Und als sie um 2003 in der Techszene erschien, staffierte sie ihre Idee mit einer Geschichte aus: Sie habe schon als Neunjährige in einem Brief an ihren Vater geschrieben, sie wolle in ihrem Leben etwas «Neues entdecken, etwas, das die Menschheit nicht für möglich gehalten hätte», erzählte sie. Die Idee für Theranos entstamme ihrer eigenen Angst vor Spritzen, wiederholte sie hundertfach vor Investoren und in den Medien. Ihre Vision war, die Welt zu verändern.
Die Wirklichkeit war aber komplizierter, wie Journalist Bilton in seinen Recherchen herausfand. Holmes war mit ihrer Idee an mehrere ihrer Professoren in Stanford herangetreten und die liessen sie mehrheitlich abblitzen. Medizinprofessorin Phyllis Gardner erinnerte sich, wie sie Holmes gesagt habe, ihre Idee werde kaum funktionieren. Aus ein paar Tropfen Blut liessen sich schlicht nicht so viele Informationen herauslesen.
Bei Investoren, denen der medizinische Hintergrund abging, hatte Holmes dagegen mehr Erfolg. Es gelang der jungen Frau – dass sie eine Frau in der von weissen Männern dominierten Welt des Silicon Valley war, half ihr laut Bilton –, die ersten von bis heute 700 Millionen Dollar an Finanzierung zu sichern. Holmes überzeugte die Investoren damals von einer eher unüblichen Bedingung: Sie sicherte sich Stillschweigen ihrerseits zu. Die Anleger würden nicht über die Technologie informiert werden.
Es gab aber auch Skeptiker, Google beispielsweise. Über das Konzern-Vehikel Google Ventures interessierte sich der Technologiekonzern für Theranos und wollte mehr herausfinden. Als Theranos nicht auf Anfragen einging, schickte Google jemanden zum Selbsttest. Der Testperson sei klar geworden, dass wohl etwas nicht stimme, als ihr statt ein paar Tropfen Blut mehrere Ampullen Blut am Arm abgenommen wurden. Auch das Verteidigungsministerium, dem Holmes ihre Technologie für den Krieg in Afghanistan anbot, wurde skeptisch, als sich die Testresultate als unpräzis erwiesen.
Um die Maskerade aufrecht zu erhalten, installierte Holmes bei Theranos eine Kultur der Geheimniskrämerei: Die Abteilungen des Unternehmens arbeiten laut «Vanity Fair» isoliert, Angestellten ist es verboten, miteinander über ihre Jobs zu reden. Als Gründerin, Konzernchefin und Verwaltungsrats-Präsidentin hält Holmes alle Zügel fest in der Hand. Kritiker oder auch nur ehemalige Angestellte, die in ihrem LinkedIn-Profil zu viel verraten über ihre Tätigkeit bei Theranos, erhalten Post von einer Anwaltskanzlei. Im Verwaltungsrat sicherte sich Holmes die Dienste namhafter Ex-Politiker wie des ehemaligen US-Aussenminister Henry Kissinger, der wie die meisten seiner Kollegen keine Ahnung von Medizin hat.
Schon bevor das «Wall Street Journal» über Unregelmässigkeiten bei Theranos berichtete, waren mehrere US-Behörden auf das angebliche Wunderunternehmen aufmerksam geworden und untersuchten dessen Gebaren. Probleme mit dem Labor wurden aufgedeckt: Ein noch nicht rechtskräftiges Urteil verbietet Holmes mittlerweile, ein Labor zu betreiben. Selbst die Bundespolizei FBI soll ermitteln.
Doch laut Reporter Bilton weist vorerst nichts darauf hin, dass Holmes ans Aufgeben denkt. Die Rollkragenpullis soll sie zwar abgelegt haben, aber sie spricht schon von einer neuen Technologie, mit der sie Blutdiagnosen erstellen will.
Für Bilton ist Holmes' Geschichte symptomatisch für die Gründerszene im Silicon Valley, in dem so vieles davon abhängt, eine packende Geschichte zu erzählen. Auch wer Joghurt mit einer neuen App an den Mann bringen will, muss glaubhaft aufzeigen, wie er damit die Welt zum Guten verändert.
Genauer hinschauen, nützt oft niemanden. Jeder Gründer strebt nach Bestärkung auf der Suche nach Geldgebern, die meinen, in das nächste Facebook oder Google zu investieren. Oder um es in Biltons Worten zu sagen: «In the end, it isn’t in anyone’s interest to call bullshit.» (Frei übersetzt: Niemand hat ein Interesse daran, Bullshit aufzudecken.) In diesem System blüht eine Visionärin wie Holmes.
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