«Eine frühe Einschulung kann positiv sein»

Bildungswissenschafterin Margrit Stamm.
Bildungswissenschafterin Margrit Stamm.Bild: zvg 
Einschulungs-Debatte

«Eine frühe Einschulung kann positiv sein»

Margrit Stamm ist Erziehungswissenschaftlerin. Sie glaubt, dass die Forschungsergebnisse zur systematischen Benachteiligung der Jüngsten einer Klasse auch für die Schweiz zutreffen könnten.
05.03.2014, 13:40

Frau Stamm, wie schätzen Sie die Forschungsergebnisse im Bezug auf die Situation in der Schweiz ein? 
Margrit Stamm: Für die Schweiz existieren keine solchen Langzeitstudien, die einen eindeutigen Schluss zulassen würden. Kleinere Studien zeigen aber, dass es Unterschiede gibt zwischen den Kindern, die früh eingeschult werden und solchen, die später eingeschult werden. In der Tendenz werden die Ergebnisse der genannten Forschungsarbeiten unterstützt. Es wird aber auch das Gegenteil gezeigt, also dass es sich für ein relativ gesehen sehr junges Kind positiv auswirkt, in der Schule zu sein.

Wann ist das der Fall? 
Bei hochbegabten Kindern kann eine frühere Einschulung sinnvoll sein. Hochbegabte Kinder verhalten sich in der Klasse auf Grund ihres tieferen Alters zwar möglicherweise noch nicht so, wie es von einem Schulkind erwartet wird. Sie haben vielleicht Mühe mit dem Stillsitzen, der Motivation oder gewissen festgelegten Abläufen in der Schule. Dafür sind sie in anderen Bereichen sehr stark. Wenn in der Schule die Individualität des Kindes akzeptiert und entsprechend gehandelt wird, also ein solches Kind speziell gefördert wird, kann eine frühe Einschulung positiv sein.  

Hochbegabte Kinder sind aber eine kleine Minderheit. Wird denn bei den anderen Kindern ihr relatives Alter innerhalb der Klasse bei der Leistungsbeurteilung berücksichtigt? 
Nein, das ist nicht speziell vorgesehen. Leistungstests finden für alle Kinder zum selben Zeitpunkt statt. Sie werden in den Primarschulen dann durchgeführt, wenn ein Thema oder ein Ziel des Lernstoffs erreicht wurde. 

Zur Person
Margrit Stamm ist emeritierte Ordinaria für Erziehungswissenschaften der Universität Fribourg und leitet das Swiss Institute for Educational Issues in Bern. Sie äussert sich in den Medien und auch auf Twitter (@MargritStamm) häufig zu Themen aus dem Bildungs- und Erzeihungsbereich.  

Die Untersuchungen zeigen, dass der Alterseffekt über die ganze Schulzeit bestehen bleibt, es sei denn, die Kinder kommen aus einem privilegierten Elternhaus. Wie schätzen Sie diesen Befund ein? 
Eine frühe negative Stigmatisierung kann einen starken Einfluss auf die weitere Entwicklung eines Kindes haben. Kinder, die früh schlecht bewertet werden, können das Interesse an der Schule und am Schulstoff schnell verlieren. Auch führen Vorurteile gegenüber gewissen Kindern dazu, dass deren fachliche Leistung schlechter beurteilt wird. Die Leistungsbeurteilung bzw. Benotung enthält immer mehrere Komponenten. Das zeigen alle diesbezüglichen Untersuchungen. So wird zum Bespiel Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern in der Schule häufig anders begegnet als Kindern von gebildeten Eltern. Eventuell verhält es sich bei den relativ Jüngsten der Klasse ähnlich.  

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