Während der Corona-Pandemie rutschte gefühlt die halbe Welt ins Lager der Verschwörungserzähler ab. Laien und Ignoranten wussten plötzlich besser Bescheid über Virologie, Pandemie, Impfmethoden, medizinische Therapien als Zehntausende Experten weltweit.
Wie das so ist, wenn sich Menschen in eine abstruse Parallelwelt verrennen: Sie können sich hinterher nicht eingestehen, dass sie sich über weite Strecken verrannt hatten. Ein Phänomen, das auch bei Sekten zu beobachten ist.
Die Pandemie ist heute weitgehend überwunden, doch die Verschwörungstheorien sind geblieben und vergiften das geistige Klima weiterhin. Teilweise als direkte Folge der Pandemie.
Ein paar aktuelle eklatante Fälle bestätigen die Beobachtung. Beginnen wir in der Schweiz.
Nach dem Vorbild der militanten Szene der deutschen Reichsbürger hat sich bei uns eine Bewegung der Staatsverweigerer gebildet. Sie spricht dem Staat jede politische Legitimation ab. Die Exponenten sehen eine Verschwörung der Eliten am Werk, die die Macht in der Schweiz angeblich handstreichartig übernommen haben.
Deshalb akzeptieren sie weder Verfassung, Gesetze noch Justiz. In ihrer ideologischen Verblendung zahlen sie keine staatlichen Gebühren, Steuern und Beiträge an die Krankenkasse. Gemeindeämter müssen teilweise Sicherheitsmassnahmen ergreifen, weil die Staatsverweigerer ausfällig werden oder mit Gewalt drohen.
Die grössten Feindbilder der Reichsbürger und Staatsverweigerer - man schätzt ihre Zahl auf rund 3000 - sind die Betreibungsbeamten, die die Schulden eintreiben müssen. Dies erfuhr Ende Februar ein 27-jähriger Beamter der Gemeinde Pfäffikon ZH, wie in diesen Tagen bekannt wurde.
Ein 64-jähriger Mechaniker wollte ihn entführen und zwang ihn in sein Auto. Das Kidnapping nahm aber ein glimpfliches Ende, weil der Betreibungsbeamte fliehen konnte.
Die Situation spitzte sich in letzter Zeit zu. Dies rief den Nachrichtendienst des Bundes auf den Plan, der sich ein Bild von der Szene machen und die gewalttätigen Staatsverweigerer identifizieren will, wie die NZZ schrieb.
Realitätsverlust und Radikalisierung vieler Staatsverweigerer nimmt oft ein Mass an, das nicht einmal bei beinharten Sektenanhängern zu beobachten ist. Ihre politische Ideologie zeigt oft pseudoreligiöse Züge.
Eine kuriose Form des Verschwörungsglaubens lässt sich derzeit in den USA beobachten. Hauptfigur ist Pam Bondi, die einstige Chefanklägerin von Florida. Ihre Jagd nach Menschenhändlern imponierte Donald Trump, der sie zu seiner Justizministerin machte und ihr den Auftrag gab, den Fall Jeffrey Epstein neu aufzurollen.
Zur Erinnerung: Der bekannte Financier wurde beschuldigt, jahrelang Minderjährige missbraucht zu haben. Er wurde verhaftet und nahm sich 2019 das Leben. An den Partys nahmen auch viele Prominente teil. Verschwörungstheoretiker behaupteten, dass auch Promis an den Sexspielen mit Kindern teilgenommen hätten. Es gebe eine Namensliste.
Die Verschwörungstheorien gipfelten im Vorwurf, dass die liberalen Eliten das Blut von Kindern als Verjüngungskur verwendet hätten. Epstein sei umgebracht worden, um die Promis zu schützen und ihre Verbrechen zu vertuschen. Trump werde den Sumpf mit Hilfe der Justizministerin trockenlegen, erwarteten Trump-Anhänger und Verschwörungsgläubige. Auch Elon Musk verbreitete dieses Narrativ.
Doch diese Woche platzte die Verschwörungsblase. Pam Bondi gab am Montag bekannt, dass es keine Kundenliste gebe und Epstein tatsächlich Suizid begangen habe, wie ein Video beweise.
Nun kochen die Szene der Verschwörungstheoretiker und die Maga-Gemeinde. Sie veranstalten auf ihre einstige Hoffnungsträgerin eine Hexenjagd und verlangen ihre Absetzung. An vorderster Front die Polit-Influencerin und Trump-Gefährtin Laura Loomer, die es bereits geschafft hatte, dass der Präsident den Chef des nationalen Sicherheitsdienstes Mike Waltz feuerte.
Trump steht zwar noch hinter Pam Bondi, doch sollte der Druck auf sie weiter zunehmen, könnte ihr Stuhl doch noch wackeln.
Diese Geschichte entlarvt das Weltbild und den geistigen Zustand der amerikanischen Verschwörungstheoretiker. Pam Bondi war eine von ihnen und glaubte ebenfalls an eine Verschwörung. Nach der Untersuchung musste sie aber ihre Vorurteile revidieren. Für die Verschwörungstheoretiker ist sie über Nacht von der Freundin zur Feindin geworden.
Vier Verschwörungsgläubige haben die Präsidentengattin Brigitte Macron jahrelang auf den sozialen Medien übel verleumdet und behautet, sie sei ein Mann. Nun stehen die vier vor Gericht. Ein ähnliches Schicksal hatte auch Michelle Obama erlitten.
Wie geistig krank muss man sein, um eine solche unsinnige Hexenjagd zu veranstalten? Hier nimmt der Hass auf alles, was nach Gender riecht, radikale ideologische Züge an.
Das Phänomen der Verschwörungstheorien wird sich weiter ausbreiten, denn mit der künstlichen Intelligenz lassen sich in Zukunft die verrücktesten Ideen und Fantasien mit Bildern und Videos «beweisen». Dass alles erlogen, gefälscht und manipuliert worden ist, werden viele Menschen nicht durchschauen.