Vielleicht sind Mütter noch die letzten Menschen, die so eine Oscar-Veranstaltung richtig toll finden. Matthew McConaughey war mit seiner Mutter da. Leonardo DiCaprio auch. Und Jared Leto. Und Jonah Hill. Und Steve McQueen. Und darf man das sagen, dass der Mann von Cate Blanchett, nun ja, etwas weniger attraktiv ist als seine Frau? Dass die beiden im optischen Paarvergleich leider hinter Angelina Jolie und Brad Pitt anstehen müssen?
Cate Blanchett hat ihren Oscar als Frau unter dem Einfluss von Alkohol und Lebenslügen für «Blue Jasmine» gewonnen, und das ist erstens gerecht und zweitens eine Erleichterung, hat sie sich doch in den letzten Wochen nicht von Woody Allen distanziert. In diesem Sperrfeuer der Missbrauchsvorwürfe also, die Allens auf ewig gekränkte Ex-Frau Mia Farrow und seine Tochter ausgerechnet dann lancierten, als er seit vielen Jahren wieder einmal einen kommerziell erfolgreichen Film im Kino hatte. Blanchett erwähnte dies in ihrer Dankesrede mit keinem Wort, was souverän war.
Ebenfalls gerecht sind die sieben Oscars für «Gravitiy». Erstens, weil der Mexikaner Alfonso Cuarón der erste Lateinamerikaner ist, der als bester Regisseur ausgezeichnet wurde. Zweitens, weil «Gravity» in einem schon fast betulich konventionellen Jahrgang (und trotz der eklatanten Fehlbesetzung durch Sandra Bullock in Hauptrolle) tatsächlich der interessanteste Film ist. Der Einzige, bei dem man ins Kino geht und Dinge sieht, hört und räumlich wahrnimmt, die man so noch nie erfahren hat. Das einzige Kinoerlebnis des letzten Jahres, das sich als existenziell bezeichnen lässt. Der erste richtig gute 3D-Film. Ein kühner Essay über die traumatische und absolute Verlorenheit des Menschen im Weltall (und, etwas weniger kühn, natürlich auch über die des Amerikaners in einer ihm auf allen Seiten feindlich gesinnten Welt). So dicht, so nah, so erschütternd hat man dies noch nie erfahren.
Es gibt in der Oscar-Academy scheinbar auch ziemlich viele Leute, die erschüttert sind von «Dallas Buyers Club». Von den Leistungen von Jared Leto und Matthew McConaughy, die beide ihre Oscars gewannen. Ach je. Aber es ist in der rund 5800-köpfigen Academy, die zu über 90 Prozent aus Weissen, 77 Prozent aus Männern mit einem Durchschnittsalter von 62 Jahren besteht, ja schon lange so, dass möglichst krasses Method Acting die besten Gewinnchancen hat. Das heisst: Volle Hingabe an Dinge wie Hunger, Hässlichkeit und Homosexualität.
Und so wurde Jared Leto als das Superklischee der tragischen Transe bester Nebendarsteller und Matthew McConaughy als aidskranker, aber total homophober texanischer Medikamenten-Dealer bester Hauptdarsteller. Der Film: Ein frivoler Schlag ins Gesicht all derer, die an Aids gestorben sind oder heute darunter leiden, eine Zumutung ohne jede Sensibilität. Sorry, aber diese Geschichte muss man anders erzählen, zum Beispiel so wie John Irving in seinem grossen Roman „In einer Person“. Immerhin wirkten die beiden noch immer recht abgemagerten Darsteller überglücklich, als Moderatorin Ellen DeGeneres Pizza für alle kommen liess.
Ellen machte ihre Sache wie erwartet angenehm, aber auch etwas brav, war witzig ohne ausfällig zu werden, brach mit einem Gruppenbild den Twitterrekord (mehr weiter unten), verzichtete zum Glück gänzlich auf peinliche Selbstdarstellung in Musical-Nummern und war selbstverständlich die einzige Frau des Abends, die ungestraft Hosen tragen durfte. Es war ja ein kleiner Skandal ausgebrochen, neulich, bei den Baftas in London, als Brad und Angelina beide in Anzügen auftraten und damit das eiserne Gesetz brachen, dass Frauen sich an Award-Shows doch derart aufzurüschen hätten, wie einst bei Hof.
Man kann nun Steve McQueen nicht vorwerfen, dass er die Geschichte des freien Schwarzen Solomon Northup, der als Sklave verschachert wird und sich erst nach zwölf Jahren wieder befreien kann, unsensibel oder respektlos verfilmt habe. Aber Quentin Tarantino hat eine sehr ähnliche Geschichte 2012 in «Django Unchained» viel besser erzählt. Radikaler, fantasievoller. Der Videokünstler Steve McQueen, dessen dritter Kinofilm «12 Years a Slave» nun zum besten Film gekürt wurde, ist erschreckend konventionell geworden, er ist vor ein paar Jahren mit Michael Fassbender als irischer Häftling im Hungerstreik in «Hunger» mit einer anderen Filmsprache angetreten, einer, die tatsächlich weh tut und aufwühlt.
Und angesichts seiner epischen Landschaftsaufnahmen erstaunt es gar nicht so sehr, dass die «SonntagsZeitung» Ende Januar anlässlich der Filmpremiere auf die Idee kam, eine zauberhafte Leserreise in den Süden der USA, gewissermassen an die schönsten Stätten der Sklaverei anzubieten. Aber gut, Steve McQueens Film war perfekt auf einen Oscar hin zugeschneidert – ein schwarzer Künstler nimmt sich einer wahren schwarzen Schicksalsgeschichte mit Happy End an und gewinnt viele Stars für die Besetzung und Brad Pitt als Produzent. Ein böser Mensch, wer das nicht auszeichnen würde. Oder wie Ellen gleich zu Beginn des Abends sagte: «Possibility number one: ‹12 Years a Slave› wins best picture. Possibility number two: You are all racists.»
Brad Pitt hat damit ebenfalls seinen ersten Oscar gewonnen, genau wie John Ridley für das beste adaptierte Drehbuch und Lupita Nyong’o als beste Nebendarstellerin – ein Preis, der eigentlich der cineastischen Naturgewalt Jennifer Lawrence in «American Hustle» zugestanden hätte oder der wundervollen Sally Hawkins in «Blue Jasmine». Aber man kann Lupita Nyong’o den Preis nicht wirklich übel nehmen, sie hat ihn in einem wundervollen Kleid, das sie selbst gemeinsam mit Prada designt hat, und mit einer unvergleichlichen Grazie und einer Beredsamkeit entgegengenommen. Und sehr schön gesagt, wie klar ihr sei, dass ihr grosses Oscarglück auf dem riesigen Unglück von anderen beruhe und dass all die toten Sklaven jetzt stolz auf Steve McQueen schauen würden.
Dass «Wolf of Wall Street» von Martin Scorsese, ein Film, an dem nichts falsch ist ausser seiner Länge, trotz fünf Nominationen keinen einzigen Oscar gewann, dass auch David O. Russells zehnfach nominiertes Ensemblevergnügen «American Hustle» (auch Christian Bale wär so ein toller Hauptdarsteller gewesen, ach!) vollkommen leer ausging, das ist nicht zu verstehen. Das tut weh. Aber die Jury wird sich auf die Schulter klopfen und sich sagen, dass sie das Kunststück geschafft hat, in einem Jahrgang den ersten schwarzen und den ersten lateinamerikanischen Regisseur in ihrer Geschichte ausgezeichnet zu haben und einen Schwulenfilm dazu und dass sie ihre Sache richtig, richtig gut gemacht hat. Hat sie natürlich nicht. Aber das hat sie ja sowieso noch nie.
Schauen Sie sich an, wie Musiker Pharrel Williams bei seinem Auftritt die Puppen tanzen lässt.
... Benedict Cumberbatch. Gerade noch war er «bloss» der Held einer (fantastischen) TV-Serie namens «Sherlock», dann etablierte er sich als «Star Trek»-Bösewicht in Hollywood und kaum ist er zu den Oscars eingeladen, platziert er sich direkt als Photobomb hinter U2.
... geht an Gastgeberin Ellen DeGeneres, die dieses Selfie-Bild mit diversen Stars twitterte. Es wurde bis dato über eine Millionen Mal favorisiert und 2,3 Millionen Mal retweetet. Hut ab!
Das andere Selfie-Bild, das DeGeneres veröffentlicht hat, kann da natürlich nicht mithalten ...
Jared Leto sieht wie Jesus aus, ist überall im Netz nachzulesen. Allein: Das weiss auch der Schauspieler selbst und hat sogar einen Tumblr-Blog namens «Jesus Leto», in dem er sich selbst auf die Schippe nimmt. So machen Stars Spass!
Manchmal wiederholt sich Geschichte: Jennifer Lawrence ist wie schon im letzten Jahr auf dem roten Teppich vom geraden Weg abgekommen. Nicht dass es wichtig wäre, aber wir haben trotzdem ein GIF für Sie gemacht.
Schauspieler Joseph Gordon-Levitt hat sich königlich mit Kollegin Emma Watson amüsiert. Zumindest wenn man diesem ansehnlichen Selfie Glauben schenkt, das der Star aus «Dark Knight Rises» via Facebook verbreitet hat.
... geht (wohl wie immer) an Google: Das Unternehmen hat bereits während der laufenden Oscarshow öffentlich gemacht, welche Begriffe Amerika im Internet nachrecherchiert.
(Für Informationen Bild anklicken)
Best Film: 12 Years a Slave
Best Actress: Cate Blanchett
Best Actor: Matthew McConaughey
Best Supporting Actress: Lupita Nyong'o
Best Supporting Actor: Jared Leto
Best Make-Up: Dallas Buyers Club
Best Costume Design: The Great Gatsby
Best Animated Short Film: Mr. Hublot
Best Animated Feature Film: Frozen
Best Live Action Short Film: Helium
Best Documentary – Short Subject: The Lady in Number 6; Music Saved My Life Best Documentary – Feature: 20 Feet from Stardom Best Foreign Language Film: The Great Beauty (Italy)
Best Sound Editing: Gravity
Best Sound Mixing: Gravity
Best Cinematography: Gravity
Best Film Editing: Gravity
Best Visual Effects: Gravity
Best Production Design: The Great Gatsby
Best Original Score: Gravity
Best Original Song: Let It Go, from Frozen
Best Adapted Screenplay: John Ridley, 12 Years a Slave
Best Original Screenplay: Spike Jonze, Her
Best Director: Alfonso Cuaron, Gravity