Vor einigen Tagen besuchte Theresa May Plymouth, eine Hafenstadt im Westen Englands mit 260 000 Einwohnern. Dabei kam es zur Begegnung zwischen der Premierministerin des Vereinigten Königreichs und dem Chefreporter der Lokalzeitung «Plymouth Herald».
Plymouth Herald: Sie besuchen zum zweiten Mal binnen sechs Wochen einen besonders umkämpften Wahlkreis. Bedeutet das, dass Sie nervös sind?
Theresa May: Mir ist sehr klar, dass dies für unser Land eine wichtige Wahl ist.
In Plymouth sind die Folgen von Einsparungen am Militär spürbar. Werden Sie die Stadt vor weiteren Kürzungen bewahren können?
Mir ist sehr klar, dass Plymouth stolz ist auf seine lange Verbindung mit den Streitkräften.
Wie kann Plymouth von Ihrem Brexit-Plan profitieren?
Ich glaube, dass vor Plymouth und dem ganzen Land eine bessere Zukunft liegt.
Können Sie versprechen, unsere Verkehrsanbindung zu verbessern?
Mir ist sehr klar, dass eine gute Anbindung für Plymouth und den ganzen Südwesten sehr wichtig ist.
Jede Frage der politisch neutralen Zeitung hätte selbst politischen Anfängern eine Steilvorlage für freundliche, verbindliche Antworten geliefert. Hingegen von der konservativen, 60 Jahre alten Parteivorsitzenden gab's nichts als Vorgestanztes, Satzhülsen, roboterhaft, uncharmant, beinahe surreal. Reporter der Londoner Medien, die der Premierministerin im Wahlkampf folgen, machen sich längst lustig über «May-Bot». Und jeden Tag bestätigt die Premierministerin die Invektive.
«Ich geniesse jede Minute dieses Wahlkampfes.» Mit diesem Satz beschliesst Jeremy Corbyn gern seine Auftritte, und er wirkt glaubwürdig dabei. Der Labour-Oppositionsführer hat Politik immer als eine Abfolge von Protestmärschen und flammenden Reden vor gleichgesinnten Demonstranten verstanden, nun hat er schon das dritte Jahr in Folge Gelegenheit dazu.
Vor zwei Jahren bewarb sich der damals 66-Jährige als vermeintlich aussichtsloser Kandidat der harten Parteilinken um den Vorsitz der ehrwürdigen Arbeiterpartei. Seine Kampagne fand begeisterte Zustimmung, Labour verdreifachte die Mitgliederzahl, am Ende war der Hinterbänkler und Serien-Rebell gegen seine eigene Parteiführung zum Chef gewählt.
Die Unterhausfraktion reagierte entsetzt, vor Jahresfrist sprachen die Parlamentarier dem Chef mit 80 Prozent Mehrheit das Misstrauen aus. Alt-Rebell Corbyn überstand die Rebellion und wurde vom Parteivolk im Amt bestätigt. Jetzt bittet er die Briten um die Schlüssel zum Amtssitz des Premierministers in Downing Street Nummer zehn. Genauer gesagt: Weitgehend predigt der Herr mit dem eisgrauen Vollbart vor bereits Bekehrten in solide Labour wählenden Regionen des Landes.
Immer ein wenig atemlos schildert der Politik-Aktivist die vielfältigen Ungerechtigkeiten dieser Welt, verspricht die Verstaatlichung von Eisenbahn und Post, die Drosselung von Preisen für Strom und Gas, die Abschaffung der Studiengebühren, die Anhebung des Mindestlohns. Für all diese Wohltaten sollen Spitzenverdiener und Unternehmen höhere Steuern bezahlen.
Die um drei Jahre vorgezogene Neuwahl des Unterhauses hat Theresa May «im nationalen Interesse» erzwungen. Für die Brexit-Verhandlungen mit der EU brauche das Land «starke und stabile Führung» und daher ihre konservative Partei ein neues Mandat, behauptete sie.
Seither zieht die Spitzenkandidatin der Konservativen durchs Land. Wenn sie über die Bühne zum Mikrofon stakst, in merkwürdig abgehackten Schritten, das Manuskript an sich klammernd, verrät jedes Detail ihrer Körpersprache, dass sie viel lieber am Schreibtisch sässe, um Akten zu lesen. Ihre Stimme klingt, als sei sie kurz vor dem Kippen. Kritischen Fragen der mitreisenden Journalisten begegnet sie gequält lächelnd, verzieht das Gesicht zu einer Grimasse, als wolle sie signalisieren: Mit den störenden Zwischenrufen der Faulenzer und Kasper von den hinteren Bänken habe ich mich schon als strebsame Schülerin nur ungern abgegeben.
Ihre Weigerung, zum direkten TV-Duell gegen Corbyn anzutreten, begründete May mit der Mitteilung, der Rivale treibe sich viel zu viel im Fernsehen herum: «Er sollte den Brexit-Verhandlungen grössere Aufmerksamkeit widmen – ich tue das jedenfalls.» Damit erntete sie Hohngelächter – bei den Journalisten und auch beim Volk, dessen Begeisterung für die Wahl sich allem Anschein nach in engen Grenzen hält. Und der Brexit? Es war schliesslich May, die die Wahlen ausrief und damit sieben kostbare Wochen der ohnehin knappen Verhandlungszeit mit Brüssel verschwendete.
Als der Wahlkampf begann, versprachen die Umfragen einen Erdrutschsieg, die Tories lagen im Durchschnitt von acht Meinungsforschern um fast 19 Prozent vor Labour. Binnen sechs Wochen ist der Vorsprung auf 9 Prozent zusammengeschmolzen. So etwas habe es seit den 1950er-Jahren nicht gegeben, sagt der Doyen der britischen Politologie David Butler, 92. Das Wirtschaftsmagazin «Economist» konstatiert: «Eine Wahlkampagne, die ihre Autorität zementieren sollte, wirkt plötzlich, als sei man ihr auf die Schliche gekommen.»
Einen für den Zusammenhalt der Generationen alarmierenden Sachverhalt hat der Meinungsforscher ICM festgestellt. Während bei den Jungwählern bis 24 Jahre Labour mit 73 Prozent haushoch vor den Tories (15) liegt, ist das Verhältnis bei Rentnern über 65 beinahe spiegelbildlich (64:20) für die Konservativen. Corbyns Altersgenossen haben dessen Sympathien für irisch-republikanische Terroristen nicht vergessen, sie nehmen ihm die schlecht sitzenden Anzüge und das Republikanertum übel. Die Jungen berauschen sich daran, dass nach Jahren des neoliberalen Konsens eine Partei ein klar linkes Programm präsentiert. Er sei darüber verwundert, dass dieses Programm ohne glaubwürdige Finanzierungsideen bei den Leuten ankomme, sagt Ulrich Storck von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung: «Linkspopulismus verkauft sich.»