Vom 1. Dezember bis zum 1. Februar sind Tests jeweils verboten. Die Höllenmaschinen stehen in den Garagen. Nur die Töff-Propaganda- Maschine rattert: Professionelle Texter verbreiten im Auftrag der Teams regelmässig gute Neuigkeiten. Wir lesen dann in launigen Medien-Mitteilungen, wie gut das Team organisiert ist, wie glücklich die Mechaniker und die Fahrer und die Sponsoren sind und warum alles viel besser laufen wird als im Vorjahr. Dieses «Hoffnungs-Geschäft» ist Jahr für Jahr das Vorspiel zum grossen Drama.
Ab dem 1. Februar darf wieder getestet werden und erste Direktvergleiche sind möglich. Doch erst diese Woche bringt das Ende aller Illusionen: Im andalusischen Jerez treten die Moto2-Stars zehn Tage vor dem Saisonstart in Doha (23. März) zum ersten Mal in der Saison mit ihren offiziellen Bikes an. Jetzt erst sind verlässliche Prognosen möglich. Die Tests haben gestern begonnen und werden morgen Donnerstag abgeschlossen. Drei Tage Vollgas.
Tom Lüthi (27) und der Japaner Takaaki Nakagami (22) fahren hier in Jerez in einer eigenen Kategorie und haben die zwei ersten Testtage dominiert; der Japaner hält die Bestzeit, war 15 Hundertstel schneller als der Schweizer. Allerdings verzichten Mikka Kallio (32) und Esteve Rabatt (25) wegen Reifentests auf Jerez. Der Kampf der Maschinen ist damit auch lanciert: Takaaki Nakagami pilotiert das Deutsche Fabrikat Kalex, Tom Lüthi sitzt auf der von Eskil Suter gebauten Suter.
Verrückt dabei: Tom Lüthi hat seine bisherige Bestzeit nach einem fürchterlichen Sturz gefahren. In der ersten Kurve erwischte es ihn bei einem Tempo von rund 150 km/h mit einem «Highsider». Bei diesem Sturz rutscht das Hinterrad erst weg, bekommt unerwartet wieder Bodenhaftung und wirft den Fahrer wie ein Katapult in die Höhe. Diese Stürze sind gefürchtet: Beim Aufprall auf den Asphalt kommt es oft zu Knochenbrüchen oder Gehirnerschütterungen. Der Emmentaler blieb einige Zeit im Kiesbett liegen, «weil ich nur noch Sterne gesehen habe».
Cheftechniker Alfred Willeke sagt, der Sturz sei für Lüthi überraschend gekommen und er schätzte nach Auswertung der Daten des Bordcomputers die Unfallgeschwindigkeit auf rund 150 km/h. Gut, sind es offizielle Tests: Die fahrbare Klinik von Dr. Claudio Costa steht im Fahrerlager. Dorthin hat sich Tom Lüthi nach Abschluss der Tests gegen 17 Uhr zur erneuten Untersuchung begeben. «Er ist okay», sagt Teamchef Daniel M. Epp gegenüber watson. «Aber er hat Kopfweh und muss sich ausruhen.» Es sind Anzeichen einer leichten Gehirnerschütterung.
Tom Lüthi ist also erneut einer der Titelfavoriten. Er ist so schnell, dass er diese Saison Rennen gewinnen wird. Aber um so schnell zu sein, muss er hart am Limit fahren – mit entsprechendem Risiko.
Dominique Aegerter (22) ist nicht gestürzt. Aber er verliert auf Tom Lüthi rund eine halbe Sekunde und steht auf Position 8. Er lässt sich nicht beunruhigen: «Wenn ich im Rennen regelmässig meine Rundenzeiten fahre, dann bin ich vorne dabei.» Diese Regelmässigkeit hat es ihm ermöglicht, die Nummer 1 im Schweizer Töffgeschäft zu werden: Er hat die WM 2013 als 5. Erstmals vor Tom Lüthi (6.) beendet.
Noch ist Dominique Aegerter nicht ganz fit. Er sagt, in der Schulter fehle nach wie vor etwas Kraft und er ermüde etwas schneller. Sein neuer Teamkollege Robin Mulhauser (23) zahlt hier in Jerez erst einmal Lehrgeld. Der Moto2-Neuling schlich am Mittwoch leichenblass durchs Fahrerlager: Er hatte am Vormittag bei Tempo jenseits von 200 km/h eine Maschine verschrottet. Wie durch ein Wunder blieb er unverletzt. Es ist bereits der fünfte (!) Teststurz des Neulings. Die Frage, ob er in der Moto2-WM überfordert ist, dürfte schon bald gestellt werden.
Randy Krummenacher (24) hat auf Position 21 fast 1,5 Sekunden Rückstand auf die Bestzeit. Er sagt, er spüre noch immer die Spätfolgen der Gehirnerschütterung, die er sich im letzten Sommer beim GP von England zugezogen hatte. «Ich werde schneller müde und muss gut auf die Signale meines Körpers achten», sagt Krummenacher. Aber es gehe schon und er fühle sich gut.
Der Zürcher fährt jetzt im Team des Italieners Gianpierro Sacchi. Dort haben ihn seine Sponsoren eingekauft und ein bisschen finanzieller Rock'n'Roll gehört bei italienischen Teams dazu. Bike-Hersteller Eskil Suter dementiert jedoch in Italien kursierende Gerüchte, der gute Sacchi habe Zahlungsschwierigkeiten. Es war sogar die Rede davon, dass Suter die Maschinen beschlagnahmen wolle. «Das ist Unsinn», entgegnet der Turbenthaler Unternehmer. «Es ist einfach so, dass es für Sacchi nicht einfach ist, Sponsoren für sein Team zu finden.»