Undercover im Asylzentrum: Reporter berichtet von Zynismus, Islamismus und Gewalt
Bild: EPA/DPA
Am Samstagnachmittag, 9. Januar, schleust sich Shams ul-Haq ins Schweizer Asylwesen ein. Als verdeckter Reporter trifft er aus Deutschland am Bahnhof Kreuzlingen TG ein und fragt Grenzbeamte auf Englisch nach dem Weg zum Asylzentrum. «Ach du Scheisse. Noch so einer», lautete dessen Antwort, schreibt ul-Haq in einer Reportage, die von der SonntagsZeitung veröffentlicht wurde.
Zynismus muss ul-Haq während seines viertägigen Undercover-Einsatzes in der Schweiz wiederholt erfahren:
- Ein Grenzbeamter sagt zu ihm, nachdem er Pakistan als Heimatland angegeben hat: «Pakistan hat kein Asylrecht in der Schweiz. Du wirst sehen, dass du innerhalb von vier Wochen abgeschoben wirst, und wir bezahlen deinen Aufenthalt hier mit unseren Steuern.»
- Ul-Haq berichtet, er habe sich bei der Ankunft komplett entkleiden müssen. Als er fragte, ob er auch die Unterhosen ausziehen müsse, habe der Beamte gelacht und gesagt: «Ja, auch die.»
- Das Armband mit der 11-stelligen Nummer zur Identifikation erhielt er mit der Bemerkung: «Das ist ein Souvenir von mir für dich.»
Bild: KEYSTONE
Von der Grenze geht's für «Jamal», so das Pseudonym ul-Haqs, ins EVZ Kreuzlingen. Einen Sicherheitsbeamten weiht er kurz darauf in seine geheime Mission ein, da ihm dieser zuvor anvertraut hat, dass er seinen Job gekündigt habe, «weil er es für unmenschlich halte, was hier gemacht werde». Und bald sollte «Jamal» am eigenen Leibe erfahren, was dieser damit gemeint haben könnte:
- Als ul-Haq einen Schweizer Sicherheitsbeamten provozierte, indem er sagte, Deutschland sei viel besser als die Schweiz, habe dieser ihm «das kleine Kontrollfenster am Empfang auf den Nacken niedersausen» lassen.
- Am Montag beobachtet ul-Haq eine Auseinandersetzung zwischen einem Sicherheitsbeamten und einem Flüchtling. «Ich sehe, wie der Beamte ihm zwei Ohrfeigen verpasst und ihn schubst.» Offenbar habe der Asylsuchende nicht auf das Rufen des Mannes reagiert.
- Ein Sicherheitsbeamter habe einen betrunkenen Flüchtling zwei-, dreimal ins Gesicht geschlagen, danach sei er aus dem Flüchtlingsheim geworfen worden.
- Ul-Haq zitiert zudem Berichte, wonach ein Flüchtling von Beamten krankenhausreif geschlagen worden sei. Der habe Anzeige erstattet, aber es sei nichts passiert.
- Ein anderes Problem sei das Schlafen im Bunker: Ul-Haq, der bereits mehrere Flüchtlingsheime in Europa besucht hat, zeigte sich schockiert darüber, dass Asylsuchende «in einem Kriegsbunker» übernachten müssten.
- Kritik übt er auch am Handyverbot im Zentrum: «Die Asylsuchenden empfinden es als grosses Problem, dass sie nicht zu Hause anrufen können, um den Verwandten mitzuteilen, dass sie noch am Leben sind», schreibt ul-Haq.
- Sicherheitskräfte hätten die Asylsuchenden beim Transport von einem Standort zum anderen in einen Bus gedrückt, obwohl nicht alle hineingepasst hätten.
- «Pünktlich wie beim Militär» müssten die Asylsuchenden ins Bett. «Wenn einer sich verspätet, wird er angeschrien», schreibt ul-Haq.
- Als ul-Haq am fünften Tag das Camp verlassen will, sagt er einem Sicherheitsbeamten, er wolle nach Deutschland. «Und tatsächlich: Gegen Mittag darf ich das Camp verlassen.» Insgesamt hätten mit ihm an diesem Tage sechs Personen das Flüchtlingslager verlassen. Einer habe ihm angeboten, bei Drogengeschäften mitzumachen.
- Flüchtlinge würden Asylverfahren abbrechen – um dann Drogen zu schmuggeln.
Ul-Haq erwähnt in seinem Bericht auch Lichtblicke und positive Erfahrungen während seines Aufenthalts in Kreuzlingen.
- «Mittags werde ich positiv überrascht», notiert er am zweiten Tag. «So ein gutes Mittagessen hatte ich bis dahin noch in keinem Asylheim.»
- Im Hof vor dem Heim stehen ein Tischtennis- und Tischfussball-Tisch.
- Zur Abnahme der Fingerabdrücke notiert ul-Haq: «Zwei sehr freundliche Frauen machen das.»
- Neben der Küche gibt es ein Radio mit Musik aus der Heimat.
- Weiter lobt ul-Haq das schwarze Brett mit Zeichnungen der Flüchtlinge, die mit dieser Tätigkeit Stress abbauen können.
- Positiv registriert er die Cafeteria Mama Afrika in Kreuzlingen, wo es Gratis-Getränke für Asylsuchende und billiges Internet gibt. «Eine solch tolle Einrichtung habe ich in Deutschland nie gesehen.»
Bild: STRINGER/REUTERS
Fanatismus und Islamismus seien allerdings in den Unterkünften ein Problem. In seiner kurzen Zeit in Kreuzlingen sei ihm ein Mann aufgefallen, «von dem ich aufgrund des Verhaltens sagen kann, dass er entweder früher einmal für eine terroristische Organisation gearbeitet hat oder gar hier als aktives Mitglied untergetaucht ist», schreibt ul-Haq. Folgende Verbesserungen empfiehlt der Terrorismus-Experte:
- Syrische und irakische Flüchtlinge sofort nach der Ankunft trennen, um Konfliktpotenzial abzubauen
- Geheimdienste des betreffenden Landes innerhalb von ein bis zwei Tagen kontaktieren, um herauszufinden, ob jemand als Krieger oder Terrorist aufgefallen ist
- Gebetsraum einrichten – ein solcher fehlt zurzeit
- Mehr Sozialarbeiter – zurzeit sind 20 Prozent Betreuer, der Rest Sicherheitspersonal
- «Ich muss betonen, es gibt auch sehr nette Schweizer Sicherheitsbeamte, aber diese haben leider keinen Einfluss auf die schlechten, brutalen Vorgehensweisen ihrer Kollegen», zieht ul-Haq Bilanz.
Bild: screenshot website s-haq.com
«SonntagsZeitung»-Chefredaktor Arthur Rutishauser schreibt in seinem Kommentar zur Reportage, die Redaktion habe die Fragen, die der Bericht aufwerfe, «in Bern» gestellt: «Als Antwort kamen Ausflüchte und eine unterschwellige Drohung betreffend den recherchierenden Journalisten.» (kad)