Trump kann es nicht wirklich gut mit den Briten. Bei seinem ersten Besuch bei der Queen hat der grossspurige US-Präsident das königliche Protokoll aufs Gröbste verletzt. Bei seinem zweiten Besuch hat er die damalige Premierministerin Theresa May mit einem mehr als undiplomatischen Interview im Boulevard-Blatt «Sun» vor den Kopf gestossen.
Im Vereinigten Königreich hat Trump daher wenig Freunde, auch bei den Konservativen nicht. Er entspricht nicht wirklich dem Bild eines britischen Gentlemans, und seine herzliche Beziehung zum Oberproleten Nigel Farage, dem lärmigen und Bier trinkenden Brexit-Propheten, macht es auch nicht besser.
Morgen reist Trump nach London zum Nato-Gipfel. Obwohl Boris Johnson als eine Art britische Antwort auf den US-Präsidenten gilt, macht ihn dieser Besuch alles andere als glücklich. Am Vorabend einer Wahl, die allgemein als «historisch» eingestuft wird, könnte der US-Präsident dem britischen Premier im letzten Moment die Wahl vermasseln.
Aktuelle Umfragen zeigen zwar, dass Johnson die Wahlen gewinnen sollte. Doch davon ist auch seine Vorgängerin Theresa May ausgegangen, die im Frühsommer 2017 einen grossen Vorsprung in den Meinungsumfragen mehr schlecht als recht ins Ziel retten konnte. Als Premierministerin scheiterte sie darauf völlig.
Auch im Vorfeld der Wahlen vom 12. Dezember ist die Stimmung im Vereinigten Königreich sehr volatil. Die Briten müssen zwischen Pest und Cholera entscheiden – zwischen einem Opportunisten (Johnson) und einem Steinzeit-Sozialisten (Jeremy Corbyn). In diesem Umfeld können Kleinigkeiten entscheiden.
Eine solche Kleinigkeit kann eine unbedachte Äusserung oder ein missglückter Tweet des US-Präsidenten sein. Dieser lässt bekanntlich keinen Fettnapf aus. So hat Trump sich beispielsweise für eine Privatisierung des britischen Gesundheitswesens ausgesprochen oder für amerikanische Nahrungsmittelimporte auf die Insel.
Beides fürchten die Briten wie der Teufel das Weihwasser. Der National Health Service ist die heilige Kuh der Briten. Wer das staatliche Gesundheitswesen in Frage stellt, begeht politischen Selbstmord. Die Aussicht auf chlorierte Hühnchen und «Frankenstein-Food» lässt das Blut selbst in den Adern des hartgesottensten Brexit-Fans erstarren.
Labour-Chef Corbyn hat die Steilvorlage Trumps dankend angenommen. Genüsslich schürt er die Privatisierungs-Ängste seiner Landsleute. «Labour behauptet, dass eine der beliebtesten Institutionen des Landes von der am meisten gehassten Figur bedroht wird», sagt Steven Fielding, Politologie-Professor an der University of Nottingham.
Boris Johnson fleht derweil Trump an, sich auf die Nato zu konzentrieren und sich nicht zu innenpolitischen Problemen der Briten zu äussern. Er wird sich auch hüten, den US-Präsidenten persönlich zu treffen.
Der britische Premier hat auch ohne Trump genug Sorgen. Er zieht mit dem Slogan «Get Brexit Done» (zieht den Brexit durch) in die Wahlschlacht. Doch dieses Versprechen ist leichter ausgesprochen als gehalten.
Johnson wiegt sich nach wie vor in der Illusion, er könne bis Ende 2020 mit der EU ein Abkommen erzielen, das den Briten Autonomie gewährt und gleichzeitig den freien Zugang zum europäischen Binnenmarkt unangetastet lässt. Daraus wird nichts werden.
Selbst wenn Johnson die Wahlen gewinnt und der Brexit eingeleitet wird, werden die Verhandlungen mit Brüssel länger dauern und weniger abwerfen, als der Premier versprochen hat. Michael Heseltime, ein erfahrener konservativer Politiker, warnt denn auch in der «Financial Times» vor einer «grossen Illusion».
Ivan Rogers, der ehemalige britische Botschafter bei der EU, ergänzt: «Die Krise wird uns wahrscheinlich an Weihnachten erreichen – an Weihnachten 2020.»
«Wenn alle Stricke reissen, können wir immer noch auf das Freihandelsabkommen der Welthandels-Organisation (WTO) zurückgreifen», beruhigen Johnson & Co. Auch diese Hoffnung ist trügerisch. Erstens hätte eine reine WTO-Lösung über Nacht zahlreiche neue Zölle und Quoten zur Folge. Und zweitens geht es der WTO sehr schlecht. So schlecht, dass ein baldiger Tod nicht ausgeschlossen werden kann.
Wohl eher von der WTO (https://www.wto.org), wenn überhaupt!