Künstliche Intelligenz hilft jetzt auch, Kinder zu bekommen
Selin Gasparini und ihr Partner wünschen sich gemeinsame Kinder. Aber nicht jetzt. Der 31-Jährigen ist ihre Karriere wichtig. Und genauso wichtig ist ihr, dereinst viel Zeit mit ihren Kinder verbringen zu können. «In meinem Alter gilt es, im Job Gas zu geben. Wenn ich einmal Mutter bin, kann und will ich das nicht mehr im selben Ausmass stemmen wie jetzt», sagt sie. Für sie war deshalb klar, dass sie sich Optionen schaffen will. Also legte sie ihren Kinderwunsch auf Eis – im wörtlichen Sinn.
Gasparini gehört zu einer wachsenden Zahl von Frauen, die versuchen, der biologischen Uhr etwas Zeit abzuringen. Beim sogenannten Social Freezing lassen sie sich Eizellen entnehmen, frieren diese ein und bewahren sie für eine spätere Schwangerschaft mittels künstlicher Befruchtung auf.
Für Gasparini begann die Social-Freezing-Reise in der privaten Kinderwunschklinik Cada in Zürich, wo sie im Sommer mit der Hormonbehandlung begann. Sie schätzt sich glücklich, dass sie auf die Unterstützung ihres Partners zählen konnte. «Er hat mich voll unterstützt und mir jeden Abend die Hormonspritzen verabreicht», erinnert sie sich. Die Spritzen unterstützen den Körper, mehrere Eizellen gleichzeitig zur Reifung zu bringen. Nach einem Behandlungszyklus konnten ihr während einer Operation 19 Eizellen entnommen werden, 16 davon waren geeignet, um eingefroren zu werden.
Was eine gute Eizelle ausmacht
Das Besondere: Die Bewertung ihrer Eizellen erfolgte nicht wie üblich nur durch Embryologinnen und Embryologen. Auch eine künstliche Intelligenz war beteiligt. So erhielt Gasparini eine Broschüre, in der jede einzelne Eizelle mit einem sogenannten Score versehen war. «Für mich sahen alle gleich aus», sagt sie. «Aber die KI spuckte für jede Eizelle raus, wie wahrscheinlich es ist, dass aus ihr später ein Embryo entsteht.»
Selbst bei jungen Frauen führt nämlich längst nicht jede Eizelle zu einem Baby. Eine grosse Übersichtsstudie zum Social Freezing, die Daten von insgesamt 8750 Frauen auswertete, zeigt das eindrücklich: Die Frauen froren ihre Eizellen im Durchschnitt mit 37,2 Jahren ein. Von jenen, die später tatsächlich auf ihre Eizellen zurückgriffen, hielt ein Drittel am Ende ein eigenes Baby in den Armen. Dabei zeigte sich ein deutlicher Alterseffekt: Frauen, die ihre Eizellen nach dem 40. Lebensjahr einfrieren liessen, hatten nur noch eine Chance von rund 19 Prozent auf eine Geburt. Bei Frauen unter 35 lag sie bei 52 Prozent.
Die Qualität der Eizellen ist ein wichtiger Faktor für den Erfolg einer künstlichen Befruchtung. Was aber macht eine «gute» Eizelle aus? Rein biologisch muss sie reif und genetisch intakt sein, also eine korrekte Chromosomenzahl aufweisen. Zudem braucht sie eine funktionierende Energieversorgung durch die Kraftwerke der Zelle, der sogenannten Mitochondrien, sowie eine intakte epigenetische Programmierung, die steuert, welche Gene im frühen Embryo aktiv sind.
Der Knackpunkt: «Diese genetischen Faktoren lassen sich nicht messen, ohne die Eizelle zu zerstören», sagt Dirk Wallmeier, Chief Medical Officer an der Cada-Kinderwunschklinik. Und genau hier kommt die künstliche Intelligenz ins Spiel.
In der Medizin ist man KI bereits aus der Radiologie gewohnt, wo sie etwa Röntgen- oder MRI-Bilder genauso gut oder sogar besser als Fachpersonen analysiert. In der Reproduktionsmedizin funktioniert die KI-Gehilfin ähnlich: «Mit über hunderttausenden Bildern von Eizellen lernt das System, welche feinen morphologischen Merkmale – Details, die das menschliche Auge kaum unterscheiden kann – mit späteren Ergebnissen zusammenhängen», erklärt Wallmeier. Konkret: Wurde die Eizelle befruchtet? Entwickelte sich ein Embryo? Kam es zu einer Schwangerschaft und später zu einer Lebendgeburt?
Wichtig zu betonen ist dem Gynäkologen, dass keine Eizelle verworfen wird, nur weil die KI sie als «schlecht» einstuft. «Der Mediziner hat immer noch das letzte Wort», sagt er. So verstehe er die KI nicht als Entscheidungsinstanz, sondern als zusätzliches Instrument.
Als Beispiel nennt er den Fall einer 32-jährigen Frau, bei der 12 Eizellen gewonnen wurden. Die KI bewertete sie als «schlechter als erwartet». «In solchen Fällen rate ich eher zu einer zweiten Stimulationsrunde», sagt Wallmeier. Umgekehrt könne bei überdurchschnittlich guten Werten auch eine einzige Runde genügen – selbst dann, wenn dabei nur 9 Eizellen entnommen werden konnten, dafür aber in ausgezeichneter Qualität.
Die Zahl der Zyklen möglichst gering zu halten, ist zentral. Denn die hormonelle Stimulation und die anschliessende Eizellentnahme sind nicht nur teuer, sondern sind für viele Frauen auch körperlich und psychisch belastend.
Reparieren geht nicht
Forschende aus Italien bezeichnen KI in einer kürzlich veröffentlichten Übersichtsarbeit tatsächlich als vielversprechendes Werkzeug zur objektiveren Beurteilung der Eizellqualität. Gleichzeitig betonen sie, dass es deutlich mehr Daten und weitere Trainingsläufe brauche, um den KI-Score eindeutig mit der Lebensgeburtsrate zu verknüpfen.
Auch Wallmeier weiss, dass KI bislang kein Garant für eine erfolgreiche Schwangerschaft ist. «Es ist nichts Magisches», sagt er. Dennoch sei er vorsichtig optimistisch – gerade weil die Resultate für eine noch junge Technologie bemerkenswert seien. «Wir leiden mit unseren Patientinnen, wenn sie mehrere Zyklen und Fehlgeburten durchmachen müssen.» Jeder Fortschritt, der das reduzieren könne, sei willkommen.
Doch eine Grenze bleibt. «Wir können selektionieren, aber nichts reparieren», sagt Wallmeier. Wenn eine Frau nur genetisch schlechte Eizellen habe, liesse sich das nicht ändern. Da müsse man realistisch bleiben.
Das ist auch Selin Gasparini bewusst. Ihren Entscheid, Eizellen einfrieren zu lassen, bezeichnet sie als «das Beste, was ich machen konnte». Gleichzeitig ist ihr bewusst, dass selbst modernste Diagnostik keine hundertprotzentige Sicherheit bietet. «Egal, wie viele Tests man macht – am Ende kann man nur hoffen, dass alles gut wird.» (aargauerzeitung.ch)
