Eigentlich ist es ja eine Schelte. Am Montagabend verschickte das Bundesamt für Justiz einen Bericht zuhanden der Umwelt- und Energiekommission des Nationalrats. Darin steht, dass der Ständerat einen Bock geschossen habe. Dieser hatte wenige Tage zuvor eine Solar-Offensive durchgepaukt. Vor dem Hintergrund einer winterlichen Strommangellage hatte das Duo Ruedi Noser (FDP, ZH) und Beat Rieder (Mitte) ein Gesetz vorangetrieben, das für grosse Photovoltaik-Anlagen in den Bergen ein dringliches Verfahren vorsieht. Mit weitreichenden Abstrichen beim Umwelt- und Landschaftsschutz.
Im Austausch gegen zwei Terawattstunden Strom müsste auf Planung und Umweltverträglichkeitsprüfung verzichtet werden. Vor allem Rieder (Wahlspruch: «VS-Power in Bern») machte sich damit zum Vorreiter von grossen Solarfeldern, wie sie etwa in Grengiols im Walliser Saflischtal geplant sind.
Auf den Tempo-Rausch folgt die Ernüchterung: Die Vorlage ist nicht verfassungskonform, hält nun das Bundesamt für Justiz fest. Das Gesetz gerät damit zum Ping-Pong-Spiel zwischen National- und Ständerat und es ist fraglich, ob die verbleibende Zeit in der laufenden Session noch für einen Schlussentscheid reicht.
Gut möglich aber, dass Noser und Rieder einen neuen Impuls für eine viel grössere Umwälzung in der Schweizer Energiepolitik gegeben haben, als sie ursprünglich selber geplant hatten. Anlass zu dieser Einschätzung gibt der letzte Abschnitt des siebenseitigen Dokuments. Dort steht der folgenreiche Satz, vor dem Hintergrund des ständerätlichen Entwurfs «sollte mittelfristig zudem diskutiert werden, ob die Gesetzgebung über Anlagen von gesamtschweizerischer Bedeutung zur Erzeugung von Elektrizität aus erneuerbaren Energien nicht zur Zuständigkeit des Bundes erklärt werden sollte».
Es wäre ein fundamentaler Kurswechsel. Nicht mehr Gemeinde und Kantone würden grosse Wind-, Wasser- und Solarkraftwerke planen und genehmigen, sondern der Bund. Die noch zu definierenden Anlagen «von gesamtschweizerischer Bedeutung» stünden plötzlich auf einer Ebene mit Infrastrukturen wie Autobahnen, dem Eisenbahnnetz oder Zwischenlager für Atommüll. Letzteres könnte indes als Vorlage dienen: Weil sich die Schweizer Kantone und Gemeinden nicht einig werden konnten, wo ausgediente Brennstäbe lagern sollen, übersteuerte der Bund schliesslich den Föderalismus. Das Kernenergie-Gesetz war geboren, mit Kantonen und Gemeinden in der Rolle von Vernehmlassenden, nicht Entscheidungsträgern.
Dass das Bundesamt für Justiz einen solchen Vorschlag für die Erneuerbaren in den Raum stellt, ist bemerkenswert. Erst vor wenigen Monaten hat Energie- und Umweltministerin Simonetta Sommaruga (SP) präsentiert, wie sie die Bauverfahren für grosse Kraftwerke vereinheitlichen und damit straffen will. Kantone und Gemeinden reagierten teils erbost - doch in Sommarugas Plänen hätten sie weit weniger Kompetenzen eingebüsst, als es sich jetzt das Bundesamt für Justiz ausmalt.
Entsprechend überrascht fällt die Reaktion im Haus der Kantone aus. Jan Flückiger, Generalsekretär der Energiedirektorenkonferenz, sagt: «Diese sehr politische Aussage des Bundesamts für Justiz birgt grosse Sprengkraft. Das wird sicher noch für Diskussionen sorgen.»
Wer sich in der Wandelhalle umhört, erfährt jedoch: Die Diskussion ist bereits in vollem Gang. Wie mehrere Mitglieder der nationalrätlichen Umwelt- und Energiekommission unabhängig voneinander bestätigen, war ein neues Plangenehmigungsverfahren für grosse Energie-Anlagen bereits Thema in der Kommission. Noch stellt sich dazu allerdings eine Reihe von Fragen. Etwa, wie viel Zeit die Schweizer Energieversorgung gewinnt, wenn der Bund plötzlich die Zügel in der Hand hält. Oder wie das Mitsprache- und Profitrecht der Gemeinden und Kantone aussieht. Und, wie das aktuelle Beispiel aus Bern zeigt, nicht ganz unerheblich: Wie die neue Kompetenzregelung sich schliesslich mit der Verfassung vereinen lässt. (aargauerzeitung.ch)