Kahlschlag in der Privatwirtschaft: «In der Schweiz wächst fast nur noch der Staat»
Verstummt sind die einst lauten Klagen über den Fachkräftemangel, verschwunden die Zettel an Türen von Restaurants, die wegen fehlenden Personals den Betrieb reduzieren müssen. Im Gegenteil: Nun, so scheint es jedenfalls, haben plötzlich alle zu viel Personal.
Zahlreiche Unternehmen setzen den Rotstift an. Beim Snackautomatenbetreiber Selecta sollen 80 Jobs abgebaut werden, beim Reisebüro Dertour Hotelplan sind es 250, bei Pharmariesen Novartis 550, bei der SRG gar 900 und beim frisch fusionierten Versicherungskonzern Helvetia Baloise sollen hierzulande bis zu 1800 Stellen wegfallen. In den vergangenen Wochen jagte eine Hiobsbotschaft die nächste.
Der Boom am Schweizer Arbeitsmarkt ist vorbei. Sichtbar vorbei. Die Wende zum Schlechteren hat jedoch schon vor knapp drei Jahren eingesetzt, wie der Arbeitsmarktökonom Michael Siegenthaler vom KOF-Institut der ETH Zürich festhält. Die verschiedenen Indikatoren, etwa zur Beschäftigung oder zur Anzahl offener Stellen, hätten sich seither immer mehr verschlechtert. Der Rückgang hat zuerst Teile der Industrie erfasst, später trübte sich die Lage auch im Dienstleistungssektor ein, wie etwa in der IT, der Kommunikation oder im Handel.
Unter dem Strich nimmt die Beschäftigung jedoch weiterhin zu – trotz des Abbaus in der Privatwirtschaft. Denn dieser werde überkompensiert durch den Aufbau beim Staat sowie bei den parastaatlichen Institutionen wie Spitälern oder Schulen, sagt UBS-Chefökonom Daniel Kalt. Sein Fazit: «In der Schweiz wächst fast nur noch der Staat.»
Meldungen von Stellenabbauten häufen sich, die Arbeitslosenquote steigt: Fällt der Schweizer Arbeitsmarkt nun in eine Job-Rezession? Nein, sagt Kalt. Die Entwicklung sei zwar bedenklich, das Wirtschaftswachstum unterdurchschnittlich. Doch eine Rezession werde es nicht geben. Auch KOF-Ökonom Siegenthaler spricht bloss von einer Abkühlung nach einer überhitzten Phase. Mitte des nächsten Jahres werde sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt stabilisieren. Die Arbeitslosigkeit steigt gemäss Prognosen bis Mitte 2026 an, danach dürfte der Plafond erreicht sein, sagt Siegenthaler.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) und das KOF-Institut gehen beide für 2026 von einer Arbeitslosenquote von 3,1 Prozent aus. Diese Zahl erfasst alle Personen, die bei den Arbeitsvermittlungszentren gemeldet sind. Gemäss den international vergleichbaren Zahlen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die per Umfrage alle erwerbslosen Personen auf Arbeitssuche ermittelt, klettert der Wert gemäss der KOF-Prognose auf 5 Prozent. «Das sind im historischen Vergleich überdurchschnittlich hohe Quoten», sagt Siegenthaler.
Europa ist das grössere Problem als Trump
Die Erklärungen für den Konjunktureinbruch sind vielfältig, wie UBS-Chefökonom Kalt ergänzt. «Hauptgrund ist aber die Schwäche in Europa, allen voran die nun seit acht Jahren andauernde Stagnation in Deutschland.» Darunter leide auch die hiesige Exportindustrie. «Europas Schwäche ist für die Schweizer Unternehmen viel schlimmer als Donald Trumps Zollhammer», sagt Kalt. Der Zollstreit und die verschiedenen Handelskonflikte hätten den Einbruch beschleunigt.
Die Seco-Experten zeigten sich zuletzt etwas optimistischer und verkündeten Mitte Dezember eine «leichte Aufhellung der Aussichten». Namentlich die von Trump versprochene rückwirkende Zollsenkung auf 15 Prozent. Damit wurde sich die Planungssicherheit gestärkt, insbesondere für die direkt betroffenen Branchen und Unternehmen.
Dennoch: Die Unsicherheiten bleiben gross. Die Wirtschaft schwächelt, weltweit und insbesondere in Deutschland, dem traditionell wichtigsten Handelspartner der Schweiz. Die geopolitischen Spannungen nehmen zu, die USA und China ringen um die Vormachtstellung, die alte regelbasierte Weltordnung schwindet dahin, und Trump fuchtelt wild mit dem Zollhammer. Das alles erschwert das Geschäftemachen – und drückt auf die Stimmung.
Konsumentenstimmung sinkt
Die Trendwende widerspiegelt sich auch in der Umfrage, die der Bund regelmässig unter Konsumenten durchführt. Diese zeigt, dass zuletzt auch die Einschätzung zur Arbeitsplatzsicherheit sich verschlechtert hat.
Mit dem Jobboom, welcher auf Corona folgte, war diese Sicherheit zwischenzeitlich noch als gut beurteilt worden. Doch seit ungefähr einem Jahr geht es abwärts. Dies ist einer der Hauptgründe für die insgesamt schlechte Konsumentenstimmung.
Auswahl von Stellenabbauplänen der letzten zwei Monate
- 16. Oktober: Nestlé streicht bis 2027 rund 16'000 der weltweit insgesamt 277'000 Stellen. Davon womöglich bis zu 500 in der Schweiz.
- 4. November: Der Werbevermarkter Goldbach, der zum Medienkonzern TX Group gehört, streicht bis zu 65 Stellen.
- 24. November: Die SRG streicht bis 2029 bis zu 900 Stellen.
- 25. November: Der Pharmakonzern Novartis plant bis Ende 2027 den Abbau von rund 550 Stellen in Stein AG.
- 25. November: Das Heilmittelinstitut Swissmedic baut in den nächsten zwei Jahren 45 Stellen ab.
- 26. November: Der Snackautomatenhersteller Selecta streicht bis zu 80 Stellen in der Schweiz.
- 26. November: Die Migros Zürich schliesst vier Outlet-Läden, 24 Angestellte verlieren ihren Job.
- 2. Dezember: Bis Ende 2027 baut der Reiseanbieter Dertour Suisse nach der Übernahme von Hotelplan 250 Stellen ab.
- 9. Dezember: Der neu fusionierte Versicherungskonzern Helvetia Baloise streicht weltweit bis zu 2600 Stellen, davon bis zu 1800 in der Schweiz.
- 10. Dezember: Gemäss «Bloomberg» plant der Pharmakonzern Pfizer in der Schweiz einen massiven Stellenabbau. Ein paar Tage später «korrigierte» Pfizer die Meldung gegenüber der NZZ: «Nur» 30 der 300 Mitarbeitenden in der Schweiz erhalten die Kündigung.
- 15. Dezember: Die Ruag-Firma Beyond Gravity kündigt einen nicht näher bezifferten Stellenabbau an.
- 16. Dezember: Der Stromkonzern Alpiq will in den nächsten 12 bis 24 Monaten in der Schweiz rund 40 bis 45 Stellen streichen.
(aargauerzeitung.ch)
