Schweiz
Interview

SRG-Chefin Susanne Wille im Interview zur Halbierungsinitiative

Interview

«Es geht darum, die SRG zu demontieren»: So warnt Wille vor der Halbierungsinitiative

Die SRG-Generaldirektorin sagt, die Schweiz drohe sehr viel zu verlieren. Und sie erklärt ihre Rolle in den UKW-Turbulenzen.
20.12.2025, 17:2220.12.2025, 17:22
Francesco Benini / ch media
Susanne Wille, directrice generale de la SSR, parle lors de la 6eme edition du Forum des medias romands, FMR, ce mercredi 19 novembre 2025 a Lausanne. (KEYSTONE/Cyril Zingaro)
SRG-Generaldirektorin Susanne Wille.Bild: keystone

Was wünschen Sie sich zu Weihnachten?
Susanne Wille: Zeit mit der Familie, Zeit mit den Kindern, mehr Zeit für meinen Vater. Und Mailänderli und Fondue Chinoise, da bin ich traditionell unterwegs.

Ein Nein am 8.März zur Halbierungsinitiative wünschen Sie sich nicht?
Sie haben mich nach Weihnachten gefragt. Das wäre dann aber natürlich mein Wunsch fürs neue Jahr.

Vor Tagen ist die SRG zurückgekrebst beim Radioempfang auf UKW. Er wird wieder angeboten. Warum hat die SRG nicht von sich aus reagiert, als die Hörerzahlen ihrer Radiosender nach der UKW-Abschaltung einbrachen?
Wir wussten, dass es zu einer Umverteilung im Radiomarkt kommt. Ich sagte von Anfang an: Wir beobachten das ganz genau und behalten uns alle Optionen offen. Wenn es sein muss, reagieren wir. UKW ist ein emotionales Thema, ein Teil der Hörerinnen und Hörer war verärgert. Das tut mir leid. Zwei Tage, nachdem sich die politische Ausgangslage komplett verändert hatte, entschieden wir uns für eine Rückkehr zu UKW.

Roger Schawinski und das Bundesparlament trieben die SRG vor sich her.
Die SRG schloss mit den privaten Sendern und dem Bund vor zehn Jahren eine Vereinbarung ab, die besagte: Wir steigen zusammen aus. Wir gingen dabei in Absprache solidarisch voraus, damit die Privaten mehr Zeit haben für die Umstellung. Kurzzeitig nahm die SRG einen Hörerverlust in Kauf. Als aber klar wurde, dass es zu einer mehrjährigen Verlängerung auf UKW kommt, stand fest: Wir wollen nicht, dass viele Hörerinnen und Hörer keinen Zugang zu den SRG-Sendern haben.

Werden jetzt wieder Antennen installiert?
Der Bund wird dazu zuerst die Informationen erarbeiten: Welche UKW-Frequenzen werden vergeben, für wie viel Jahre, mit welchen Auflagen?

Wann sind die SRG-Sender wieder auf UKW zu hören?
Da laufen nun Abklärungen. Es wäre gut, wenn der Prozess nicht zu lange dauern würde. Im Laufe des nächsten Jahres sollte die SRG hoffentlich wieder auf UKW zu empfangen sein.

Sie haben kürzlich angekündigt, dass die SRG «voraussichtlich» 900 Stellen abbaut. Wovon hängt es ab, ob das tatsächlich geschieht?
Darf ich zuerst den Kontext schildern? Der Bundesrat findet: Die Halbierungsinitiative ist zu radikal, aber die Gebührenzahler sollen entlastet werden. Darum sinkt der Beitrag ab 2027 schrittweise auf 300 Franken. Das bedeutet: Die SRG muss 270 Millionen sparen und darum Stellen abbauen. Das setzen wir um.

Warum steht in den Medienmitteilungen «voraussichtlich» 900 Stellen?
Es läuft ein Konsultationsverfahren mit den Gewerkschaften. Und wir arbeiten mit Annahmen, die sich auf Berechnungen und Erfahrungswerte stützen. Aber Fakt ist: Wir bauen diese Stellen ab. Wie viele es am Ende genau sein werden, das hängt von den Resultaten des Verfahrens ab.

Zu den Annahmen: Die SRG geht zum Beispiel davon aus, dass die Inflation die Produktionskosten erhöht. Derzeit sinken in der Schweiz aber die Preise. Vielleicht fällt der Abbau milder aus.
Annahmen muss man immer wieder überprüfen. Ja, derzeit ist die Teuerung tiefer als angenommen. Vielleicht gehen auch unsere kommerziellen Erträge weniger stark zurück. Aber es können weitere Elemente dazukommen: Der Bundesrat will Swissinfo, TV5 Monde und 3sat nicht mehr mitfinanzieren. Im Parlament gibt es Vorstösse, die einen höheren Gebührenanteil für private Anbieter verlangen. Das und anderes kann uns zusätzlich belasten. Dass wir insgesamt rund 270 Millionen Franken einsparen müssen, ist realistisch.

Ihre grosse Herausforderung ist die Halbierungsinitiative. Warum ist sie aus Ihrer Sicht keine gute Idee?
Die Halbierungsinitiative schwächt all das, was die Schweiz im Kern ausmacht: Vielfalt, Zusammenhalt, Unabhängigkeit. Und auch die journalistische Qualität. Wer die SRG halbiert, schwächt die Vielfalt. Wir könnten eine regional verankerte Berichterstattung in allen Landessprachen nicht mehr sicherstellen. Es gäbe weniger Sport, weniger Kultur, weniger gemeinsame Erlebnisse und damit auch weniger Zusammenhalt. Zur Unabhängigkeit: Wir müssen in der Lage sein, unsere eigenen Geschichten zu erzählen, unsere eigenen Debatten zu führen. Ausländische Sender sollen sie uns nicht vorgeben. Und: Wenn man der SRG 800 Millionen entzieht, schwächt das den Journalismus.

Die Nein-Kampagne präsentiert den Slogan «Gute Nacht, Lauberhorn.» Ist es realistisch, dass eine der populärsten Schweizer Sportveranstaltungen aus dem Programm gestrichen wird?
Wir reden von einer Halbierung der Mittel der SRG. Die Übertragung von Sportereignissen lässt sich nur bis zu 20 Prozent mit Sponsoring und Werbung finanzieren. Die SRG möchte, dass der Skisport – aber gleichzeitig auch eine Vielfalt anderer Sportarten – für alle zugänglich bleibt. Mit einer Halbierung der Mittel gibt es keine Tabus. Das Lauberhorn ist eine grossartige Veranstaltung, aber sie kostet Geld.

Sie haben darauf hingewiesen, dass die Tessiner «Tagesschau» früher aus Zürich ausgestrahlt worden sei. Das ist eine Schreckensvision, die auch nach einem Ja im März nicht wieder Realität würde.
Die regionale Verankerung ist das Herz der SRG. Wir sind das einzige Medienhaus der Schweiz, das den Auftrag hat, alle Menschen im Land gleich zu behandeln – gleichgültig, ob sie am Genfersee oder in einem Bergtal wohnen. Mit einer Halbierung können wir die regionale Berichterstattung in der heutigen Form nicht mehr gewährleisten. Guter Journalismus muss nahe an den Menschen sein. Ein Punkt fällt mir auf.

Welcher?
Die Initiative behauptet: 200 Franken genügen. Sie sagt aber nicht, warum. Auf welcher Grundlage beruht diese Rechnung? Davon auszugehen, dass wir mit halbierten Mittel weiterhin das Gleiche anbieten können, ist unredlich. Man muss die Konsequenzen benennen. Aber eine Rückkehr zum «Telegiornale» aus Zürich, das will wirklich niemand.

Die Befürworter der Initiative kritisieren, dass die SRG-Sender eine politische Linkstendenz hätten in ihrer Berichterstattung. Was sagen Sie dazu?
Ich verwahre mich gegen diesen Vorwurf. Unsere Journalistinnen und Journalisten arbeiten über die Vielzahl an täglichen Inhalten aus allen Regionen gut und sorgfältig. Wir haben eine sachgerechte, faire Berichterstattung. Das attestieren uns auch unabhängige Untersuchungen. Wenn Fehler passieren, dann werden sie korrigiert und analysiert. Denn wir wollen und müssen uns stets verbessern. Die Befürworter bemängeln fehlende Qualität. Wie soll eine Halbierung der Mittel zu höherer Qualität beitragen? Das erschliesst sich mir nicht.

Zur Person
Susanne Wille, 51, ist seit November 2024 Generaldirektorin der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft. Sie stieg 2001 als Journalistin beim Schweizer Fernsehen ein, moderierte das Nachrichtenmagazin «10 vor 10», die «Rundschau» und Spezialsendungen zu nationalen Wahlen. Wille machte ausserdem Fernsehreportagen aus verschiedenen Ländern. Im Juni 2020 wurde sie Kulturchefin von SRF und gehörte fortan der Geschäftsleitung an. Im Mai 2024 wählte der SRG-Verwaltungsrat Wille zur neuen Generaldirektorin. (be.)
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Bild: keystone

Bei der Themenwahl fällt auf: Ökologische Belange sind hoch im Kurs auf SRF-Sendern, das Staatswachstum kommt nicht vor. Die thematische Schlagseite der Journalisten lässt sich nicht von der Hand weisen.
Wir sehen und hören vielleicht nicht die gleichen Sender. Die SRG-Medien sind unabhängig, haben keine politische Agenda und sind gegenüber allen kritisch eingestellt – auch gegenüber dem Staat und der Verwaltung. Die Redaktionen bemühen sich um einen guten Themenmix. Und sie fragen sich jeden Tag: Was können wir für unser Publikum besser machen?

Das Ja-Lager will mit der Halbierung nicht die Qualität der SRG-Programme erhöhen. Sie will die Linkstendenz der SRG schwächen, deren Einfluss begrenzen.
Dann sollen das die Befürworter auch deutlich sagen: Es geht nicht nur um 100 Franken weniger Beitrag, sondern darum, die SRG zu demontieren. Wir stehen für unabhängigen, sorgfältigen Journalismus. Nochmals: Wo Fehler passieren, werden sie korrigiert.

Was ist Ihre Rolle in diesem Abstimmungskampf?
Ich mache als Generaldirektorin selber keine aktive Kampagne. Aber ich habe den Auftrag zu vermitteln, was die Schweiz verliert bei einer Halbierung der SRG.

Die ersten Meinungsumfragen sehen die Unterstützer der Halbierung vorne. Sind Sie beunruhigt?
Ich habe immer gesagt, dass man diese Vorlage ernst nehmen muss. Die Initiative bedroht das, was wir täglich für das Publikum an Programm machen.

Warum ist der Präsident der SRG, Jean-Michel Cina, unsichtbar?
Jean-Michel Cina ist sehr engagiert.

Man merkt aber nichts davon.
Herr Cina ist im ganzen Land unterwegs, nicht nur in der Deutschschweiz. Er trifft Verbände, Politiker, Vereinsvertreter.

Wieso zahlt die SRG 400'000 Franken an das Nein-Komitee? Sollte die SRG nicht besser auf einen solchen Einsatz ihrer finanziellen Mittel verzichten?
Die SRG ist einerseits ein Unternehmen. Anderseits wird sie getragen vom Publikum im Rahmen einer Vereinsstruktur. Diese regionalen Trägerschaften erhalten auch Mittel aus Mitgliederbeiträgen und Spenden. Wichtig ist, dass keine Gebührengelder für eine politische Kampagne eingesetzt werden. Das ist gewährleistet.

Der Gewerbeverband findet es falsch, dass ein Teil der Unternehmen weiter die Medienabgabe bezahlen soll – obwohl die von einer Firma angestellten Personen auch zahlen. Die Doppelbelastung müsse weg. Haben Sie dafür Verständnis?
Ich weiss, was sie meinen. Gerne erkläre ich dazu unsere Rolle: Wir haben den Auftrag, mit dem Geld, das wir von der Gesellschaft erhalten, ein möglichst gutes Programm zu machen. Und wie die SRG finanziert wird – das ist ein politischer Entscheid. Die Wirtschaft profitiert von einem Land mit einem gesunden Mediensystem. Die Medien nehmen eine wichtige Vermittlerrolle wahr: Was sind Strafzölle, was ist Inflation, welche KMU gibt es in der Schweiz? Darüber informieren wir das Publikum. Es stellt sich eine grundsätzliche Frage.

Nämlich?
Bezahlt man nur für das, was man selber nutzt? Oder ist man bereit, auch einen Beitrag an die Gesellschaft zu leisten. Wie man beispielsweise für Schulen und Strassen bezahlt, auch wenn man keine Kinder hat und kein Auto fährt. Ein gutes Mediensystem gehört zur Infrastruktur eines Landes. Übrigens: Mit der neuen Verordnung des Bundesrates sind künftig 80 Prozent der Unternehmen vom Beitrag befreit.

Die Absetzung des «Wissenschaftsmagazins», der Sendung «Gesichter und Geschichten» hat viele Zuschauer und Zuhörer enttäuscht. Sie kritisieren, dass die SRG Formate streiche, die zum Service public gehörten.
Ich verstehe, dass jemand enttäuscht ist über die Absetzung einer Sendung, die er oder sie gerne hat. Wir haben einen politischen Sparauftrag. Dabei setzen wir vor allem bei den Organisationsstrukturen an, bei der Technologie, der Produktion. Das genügt aber nicht. Wir können das Programm von den Einsparungen nicht ausnehmen. Nach wie vor haben wir aber die grösste Wissenschaftsredaktion der Schweiz.

Trifft es zu, dass Sie einverstanden waren mit der Weiterführung von «Gesichter und Geschichten», mit einem privaten Sponsor – das Schweizer Fernsehen dies aber ablehnte?
Das trifft nicht zu. Die Sendung wurde gestrichen wegen der veränderten Mediennutzung der Konsumenten, und weil wir Mittel zu kürzen haben. Es gab Gespräche über ein privates Engagement, die aber zu keinem Ergebnis führten. Das Schweizer Fernsehen hätte weiter für einen grösseren Betrag aufkommen müssen. Das war nicht vereinbar mit den Sparvorgaben. Aber eines ist mir wichtig: Wir begrüssen es, wenn private Sender ein People-Format lancieren möchten, wo die SRG dies nicht mehr tun kann.

Die SRG sucht derzeit einen Chef für Schweizer Radio und Fernsehen. Offenbar ist man fast im Ziel. Erscheint der neue Direktor zusammen mit dem Christkind?
Der Prozess läuft.

Wenn es für die SRG schlecht herauskommt am 8.März, treten Sie dann zurück?
Diese Frage stellt sich mir derzeit nicht. Ich kremple jeden Tag die Ärmel hoch, damit es gut herauskommt.

Und wenn es ein Ja gibt?
Volksentscheide sind zu akzeptieren. Ich würde mir dann eher Sorgen machen, dass damit etwas kaputt gemacht wird, was die Schweiz stärkt. Das Land würde sehr viel verlieren. (bzbasel.ch)

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Mulumbi
20.12.2025 17:45registriert April 2024
Eines vorneweg, ich bin gegen die Halbierungsinitiative. Die SRG demontiert sich aber selber schon zu genüge, bestes Beispiel der überstürzte UKW Ausstieg und dem zurückkrebsen jetzt. Aber auch das Fernsehprogramm mit solchen Rohrkrepierern wie "unsere kleine Botschaft" lässt halt viele sich fragen, warum man für sowas Geld ausgibt und ob nicht die Hälfte reichen würde.
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DaniL (1)
20.12.2025 17:44registriert Dezember 2025
Das Ja-Lager sagt, dass die SRG zu links sei. Ich denke, das wirkt so, weil gute Journalisten halt nicht nur populistische Titel schreiben. Weil gute Journalisten hinter den Vorhang schauen, bei Themen in die Tiefe gehen. Weil gute Journalisten mit den Menschen sprechen, sich Zeit nehmen. Und zum Glück hat die SRG (noch) gute Journalisten.
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maruhu
20.12.2025 17:55registriert Januar 2021
Ich schaue nicht viel SRF, werde aber NEIN stimmen, weil von der Schweizer Trump Partei zu ihren Gunsten dies politisch instrumentiert ist, um dann ihre Parolen, wie ein Muezzin von ihrem Privatsender zu verbreiten. NEIN...NEIN !
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