Zittern im Skigebiet Brunni: Die nächsten Tage sind entscheidend
Wirklich nötig wäre es nicht, dass Bryan Kuhn zur Schaufel greift. Wirklich viel Schnee liegt nämlich nicht an der Talstation des Skilifts Brunni.
Und wirklich viele Gäste hat es auch nicht am Bügellift. Also schippt Kuhn halt Schnee.
Kuhn hält an diesem Mittwochnachmittag eine Woche vor Weihnachten einsam die Stellung. Etwa zwei Dutzend Skifahrerinnen und Skifahrer habe der Lift heute schon hangaufwärts transportiert, sagt Kuhn, der in den Sommermonaten in Einsiedeln Bier braut und im Winter über die Pisten im Skigebiet wacht.
Eine einzige Piste ist momentan geöffnet und auch sie nur, weil drei Schneekanonen eine weisse Decke in die Landschaft gelegt haben. Links und rechts davon lugt verdorrte Wiese hervor, die Wipfel des Tannenwalds im Hintergrund sind schneebefreit.
Würde eine Künstlerin hier ein Landschaftsbild malen wollen, sie würde ihren Pinsel mehr in braune und grüne statt weisse Farbe tunken.
«Die Piste ist hart und gut», bemüht sich Kuhn Werbung zu machen. Es ändert nichts: Skifahrstimmung kommt hier keine auf.
Bedrohtes Skigebiet
Das Skigebiet Brunni ist etwa zehn Minuten Autofahrt von Einsiedeln im Kanton Schwyz entfernt. Es gehört zu den Skigebieten, denen der ETH-Klimaforscher Reto Knutti eine düstere Zukunft prophezeit.
«Unter 1500 Höhenmetern wird es für die Skigebiete schwierig», sagt Knutti. Eine Studie der Europäischen Union setzt die kritische Grenze sogar bei 1700 Metern an. Günstige Bedingungen für Schneefall in tiefen Lagen werde es immer seltener geben.
Brunni liegt auf genau 1100 Metern über dem Meeresspiegel. Der höchste der drei Skilifte erreicht 1414 Meter. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts sind in der Schweiz 167 Skigebiete verschwunden. Wird Brunni das gleiche Schicksal ereilen?
Ein paar Meter neben dem Skilift Brunni steht Franz Rüegg und raucht eine Zigarette. Der Beizer, der auf diese Saison hin den Brunni Grill übernommen hat, wirkt entspannt – noch:
Zwischen dem 26. Dezember und dem 2. Januar würde der Brunni Grill erfahrungsgemäss bis zu einem Drittel des Jahresumsatzes machen.
Es wäre verheerend, wenn während dieser Tage wegen Schneemangels die Touristinnen und Touristen ausblieben.
Bevor Rüegg mit seiner Lebenspartnerin den Grill übernahm, arbeitete er während zwei Jahrzehnten in der Gastronomie auf dem Atzmännig an der Grenze zwischen dem Zürcher Oberland und dem Kanton St. Gallen.
«Dort ist es jetzt ganz grün. Im Vergleich dazu liegt hier richtig viel Schnee», sagt Rüegg. Man kann sich alles schönreden.
Gefragte Skilehrerin
Dem Schneemangel zum Trotz: Die Auftragsbücher von Skilehrerin Frey sind voll. Seit über 30 Jahren lehrt die 49-jährige Zürcherin Skischülerinnen und Skischüler die parallelen Skistellung und den gepflegten Hüftschwung.
Der in den letzten Jahren öfter ausbleibende Schnee habe nicht dazu geführt, dass das Interesse an Skiunterricht gesunken sei:
Frey kommt seit Kindesalter nach Brunni. Früher habe sich der Schnee hier haufenweise getürmt, erinnert sie sich.
Dass sei über die letzten Jahre schon weniger geworden, sagt Frey, die auch hauptberuflich als Lehrerin arbeitet.
Schnee fällt weniger und schmilzt schneller
Der subjektive Eindruck von Skilehrerin Frey lässt sich auch mit Zahlen belegen. Seit den 1950er-Jahren hat sich die Schneefallgrenze in den Alpen um hundert Meter nach oben verschoben.
Pro Jahrzehnt nimmt die Zeit, in der permanent Schnee liegt, um fünf bis zehn Tage ab. Mit dem Effekt, dass die Skisaison heute im Schnitt 12 Tage später beginnt und 25 Tage früher endet.
Zu allem Überfluss schneit es auch noch weniger. Die jährliche Neuschneemenge ist seit Mitte des 20. Jahrhunderts um 34 Prozent zurückgegangen.
Unter Liftbetreibern gibt es eine Faustregel: Um ein Skigebiet gewinnbringend betreiben zu können, muss in sieben von zehn Wintern genügend Schnee liegen, um das Skigebiet während 100 Tagen öffnen zu können
In Brunni konnten im vergangenen Winter, der als ausgezeichneter Winter galt, 92 Betriebstage verzeichnet werden. In den Jahren davor waren es 54 und 46 Tage.
In einem Satz: In Skigebieten wie Brunni fällt immer weniger Schnee – und wenn er fällt, bleibt er nicht mehr lange liegen:
Deswegen in Panik verfallen will man bei den Bergbahnen in Brunni nicht. Paul Schelbert ist Geschäftsführer der Skilifte Brunni-Haggenegg AG, die die beiden Skilifte am Sonnenhang betreibt. Gegenüber watson sagt Schelbert, dass er auf einen guten Saisonstart zurückblicke.
«Wir konnten die Lifte schon an zwei Wochenenden laufen lassen und es sind trotz wenig Schnee erstaunlich viele Leute gekommen.»
Der grosse Vorteil von Brunni ist: Aus Zürich, dem Aargau und Zug ist man in weniger als einer Stunde am Skilift.
Das zieht viele Tagestouristen an. Mit ihnen macht Brunni etwa 85 Prozent des Umsatzes. Das bedeutet aber gleichzeitig auch: Ist das Wetter schlecht und der Schnee geschmolzen, bleiben die Gäste aus.
Der Skilift auf der Schattenseite am gegenüberliegenden Hang wird von Raphael auf der Maur betrieben. Auch er hofft auf Schneegestöber über die Festtage. Noch mehr aber auf kalte Nächte. Denn:
Für eine gute Saison müssten entweder die Tage nach Weihnachten oder dann die Sportferien im Februar finanziell einschenken.
Am Brunni Grill hat Beizer Franz Rüegg seine Zigarette fertig geraucht. So ruhig wie heute wird es bald nicht mehr zu und hergehen.
Bis im März werden Rüegg und seine Partnerin pausenlos arbeiten, sieben Tage die Woche. Machen Wetter und Schnee nicht wie gewünscht mit, werden sie geradeso über die Runde kommen, schätzt Rüegg.
«Ich weiss, worauf ich mich eingelassen habe» sagt er, ehe er sich in die Küche verabschiedet. Und dann noch: «Wenn du Schnee siehst, schick ihn bitte vorbei. »
