Blogs
FragFrauFreitag

Kafi, wo bleibt bei all dem Egoismus die soziale Pflicht?

Und dann postet sie auch noch ein Foto, wo sie vier mal drauf ist. Vier mal! Unglaublich! 
Und dann postet sie auch noch ein Foto, wo sie vier mal drauf ist. Vier mal! Unglaublich! kafi freitag
FragFrauFreitag

Kafi, wo bleibt bei all dem Egoismus die soziale Pflicht?

Liebe Frau Freitag "Zeit mit Aktivitäten zu verbringen, die mir Freude machen", schreibst du. Ich möchte meine Aktivitäten auch soweit möglich nur auf Dinge beschränken die ich gerne mache. Ich bin aber im Vorstand eines Vereins, wo ich viele Aufgaben übernehme, die ich nicht mag. Aber mein schlechtes Gewissen plagt mich, wenn ich damit aufhören würde. Jemand muss es schliesslich machen. Ist es nicht egoistisch nur das zu tun was man gerne macht? Wo bleibt die soziale Pflicht? Noemie, 29
21.12.2016, 13:0821.12.2016, 13:36
Kafi Freitag
Folge mir
Mehr «Blogs»

Liebe Noemie

Diese Antwort hat bei vielen Menschen viel ausgelöst. Die Kommentarspalte hat bisweilen geglüht und nicht selten unterstellte man mir gnadenlosen Egoismus. Das kann man natürlich machen, jeder ist frei eine Antwort dahingehend zu interpretieren, dass sie ins eigene Weltbild passt. Wer mich aber regelmässig liest, wird wissen, dass ich nicht rücksichtslosen Egoismus predige, sondern vielmehr eine gesunde Balance. Ich bin in Berufen tätig, bei denen ich ständig gebe. Wenn ich hier schreibe, bin ich am Geben. Wenn ich coache oder vor Leuten einen Vortrag oder ein Seminar halte, ebenso. Und auch zuhause gebe ich, ich bin ja schliesslich auch noch Mutter, Partnerin, Freundin, Tochter und so einiges mehr.

Das geht sehr vielen Menschen so, gerade Frauen suchen sich gerne Berufe aus, in denen sie viel geben und das private Umfeld will auch nicht zu kurz kommen. Daran ist nichts falsch, im Gegenteil. Allerdings kann man nicht ständig geben, wenn man nicht auch gut zu sich selber schaut. Man braucht eine gute Basis, damit man eine Quelle für andere sein kann. Und diese Basis ist nur dann vorhanden, wenn man sie sehr konsequent pflegt. Viele Menschen haben das Gefühl, dass gut zu sich schauen purer Egoismus ist, aber es ist genau genommen das Gegenteil. Jemand, der immer nur für andere schaut, wird über kurz oder lang ausbrennen. (Eher über kurz, als über lang.) Das sehen wir gut an älteren Generationen von Menschen, die ihre Aufgabe im Sorgen für andere Menschen gesehen haben, und sich darob ganz vergassen. Die Bescheidenheit, nicht an sich selber zu denken ist eine falsch verstandene Tugend, die mittel- und langfristig niemandem dient. Schon gar nicht den Nutzniessern des Systems, weil es so nicht lange funktionieren wird.

In meiner Arbeit als Coach ist es von immenser Wichtigkeit, dass ich mich abgrenzen kann. Wenn ich an einem Tag mit diversen Menschen arbeite und mit diversen Lebensgeschichten konfrontiert werde, dann ist es etwas vom zentralsten, dass ich ganz nah bei mir bleibe. Wenn ich das nicht beherrschen würde, wäre ich nicht fähig, diesen Job zu machen, weil ich mich nie ganz auf eine Person einstellen und einlassen könnte. Und am Abend würde ich alle Sorgen, die man mir im Laufe des Tages erzählt hat, mit nach Hause nehmen und weiter grübeln und wäre darob nicht fähig, meinem Sohn oder meinem Partner zuzuhören. Das ist ein Problem, dass viele Masseure kennen und Personen, die in ähnlichen Berufen arbeiten. Sie geben den ganzen Tag und sind am Abend leer. Das ist mitunter ein Grund, warum viele diese Berufe nach wenigen Jahren wieder an den Nagel hängen, leider wird ein gesundes Abgrenzen nur in den wenigsten Ausbildungen gelehrt.

Wenn Sie meine Antwort genau gelesen haben, werden Sie sehen können, dass ich geschrieben habe, dass ich das Gesamtsystem in meine Vorsätze miteinbezogen habe, indem ich schrieb, dass ich genau hinschauen will, was ich für wen mache. Ich impliziere also, dass ich Dinge für andere oder für das System tue, die mir persönlich keine Freude bereiten. Davon habe ich in meinem Alltag sehr viele, das dürfen Sie mir glauben. Jedes Mal wenn ich koche, tue ich das als Eingeständnis an meine Familie, denn es bereitet mir leider kaum Freude. Wenn ich die Wäsche wasche, ebenfalls. Und wenn ich für eine Bekannte eine Rede gegenlese oder für meinen Vater eine Offerte einhole, dann mache ich das auch nicht aus lauter Freude an der Sache, sondern weil ich diese Menschen gerne habe und ihnen gerne einen Gefallen tue. Das werde ich auch weiterhin machen, weil es mir wichtig ist. Das habe ich gemeint, als ich geschrieben habe, dass ich meine Energie auf die mir wichtigen Menschen legen will und bei anderen zurückschraube. Lesen Sie die Antwort noch einmal sorgfältig durch. Ich habe mir, wie bei jeder Antwort die ich verfasse, grosse Mühe bei der Formulierung gegeben, und wenn man sich etwas Zeit zum Lesen nimmt, dann wird man genau diese Feinheiten darin sehen. Leider überfliegen viele LeserInnen meine Texte nur und bilden sich eine Meinung und schreiben bereits einen Kommentar dazu, bevor sie richtig fertig gelesen haben. Das kann man machen, aber man verpasst dann viel Feinsinniges, was man aus meinen Antworten mitnehmen könnte.

Für Sie wäre es sicherlich wichtig, mal genau hinzuspüren, warum Sie gewisse Dinge tun, die Sie eigentlich gar nicht tun möchten. Gerade im Vereinsleben sind ungeliebte Aufgaben auch mit dem Gefühl verbunden, für jemanden wichtig zu sein. Wenn ich im Coaching mit Klienten an diesem Thema arbeite, dann kommt oft ein Gefühl von "ich werde gebraucht" bis zu "ich bin unersetzlich" oder "das kann ich eh besser als die anderen" zum Vorschein. Die Menschen sind dann jeweils etwas erschreckt darüber, dass die Beweggründe oft nicht ganz so altruistisch sind, wie Sie auf den ersten Blick scheinen. Man könnte mit etwas Spitzfindigkeit sogar von einem gut kaschierten Egoismus reden! Wenn Sie diese Frage ehrlich für sich beantwortet haben, dann können Sie entscheiden, wie Sie weitermachen wollen.

Mit herzlichem Gruss. Ihre Kafi

FragFrauFreitag
AbonnierenAbonnieren

Kafi Freitag - Das Buch

Die 222 besten Fragen und Antworten in einem schön gestalteten und aufwendig hergestellten Geschenkband.

www.fragfraufreitag.ch
www.salisverlag.com

Fragen an Frau Freitag? ​
Hier stellen!

Kafi Freitag (40!) beantwortet auf ihrem Blog Frag Frau Freitag Alltagsfragen ihrer Leserschaft. Daneben ist sie Mitbegründerin einer neuen Plattform für Frauen: Tribute.

Im analogen Leben führt sie eine Praxis für prozessorientiertes Coaching (Freitag Coaching) und fotografiert leidenschaftlich gern. Sie lebt mit ihrem 11-jährigen Sohn in Zürich.

Haben Sie Artikel von FRAG FRAU FREITAG verpasst?
Sälber tschuld! Hier nachlesen!

Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!

  • watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
  • Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
  • Blick: 3 von 5 Sternchen
  • 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen

Du willst nur das Beste? Voilà:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
23 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Greet
21.12.2016 17:12registriert Mai 2016
Letzthin hat meine arbeitslose und arbeitssuchende Freundin die Dienste eines Coachs in Anspruch genommen. Pro Stunde hats 300 CHF gekostet.
Finde es bezeichnend für die heutige Zeit, dass solche Coachs sich als sozial bezeichnen.
479
Melden
Zum Kommentar
avatar
stadtzuercher
21.12.2016 14:47registriert Dezember 2014
"Ich bin in Berufen tätig, bei denen ich ständig gebe."
Ich auch. Kostet halt.
362
Melden
Zum Kommentar
avatar
Spooky
21.12.2016 17:51registriert November 2015
Sie hat ein Foto gepostet, wo sie vier mal drauf ist !!! Vier mal !!! Habt ihr das gesehen?
273
Melden
Zum Kommentar
23
Wie ich dem Tod von der Schippe sprang
Ich muss weg. Einfach mal raus in die Natur. Abschalten. Kein Internet. Kein Netflix. Nur ich und ich. Klingt theoretisch super. Praktisch erlebe ich mein eigenes Blair Witch Project.

Ich bin genervt. Von Sandros Rastlosigkeit, von meinem Vermieter, vom Wohnungsmarkt, vom Wetter, von Cleo und von meiner Cellulitis. Also eigentlich macht mich die ganze Welt hässig. Sogar die Teenies, die an der Bushaltestelle Deutsch-Rap hören und auf den Boden spucken. Und dann bin ich genervt davon, dass mich das nervt.

Zur Story