Es ist vielleicht das letzte Aufbäumen der Verbrenner-Lobby: Über 300 internationale Fachleute aus Wissenschaft und Forschung warnen die EU davor, den Verbrennungsmotor ab 2035 für neu verkaufte Personenwagen zu verbieten. In einem offenen Brief an alle EU-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier äussern sie «grosse Bedenken». Das EU-Parlament stimmt aller Voraussicht nach Mitte dieser Woche über das geplante Verbrenner-Aus für Neuwagen ab. Bestandsfahrzeuge sind davon auch nach 2035 nicht betroffen, es werden also keine Verbrenner zwangsweise aus dem Verkehr genommen.
Die Unterzeichner des offenen Briefes (PDF) plädieren dafür, die Elektromobilität weiterzuentwickeln und gleichzeitig auf Bio- und synthetische Kraftstoffe, sogenannte reFuels, zu setzen. Die Erforschung dieser Kraftstoffe würde aber durch ein Verbrennerverbot verunmöglicht. Sie argumentieren, die Umweltbilanz von E-Autos – insbesondere die CO2-Emissionen – seien häufig schlechter als angegeben. Eine Konzentration auf E-Autos würde Europa von China abhängig machen und zudem ginge das Know-how für Verbrennungsmotoren verloren. Sie sprechen sich daher für Verbrenner-Autos aus, die aber mit künstlich erzeugten Treibstoffen betrieben werden sollen – beispielsweise synthetischem Diesel.
Die Rede ist von sogenannten E-Fuels, die mittels Strom aus Wasser und Kohlenstoffdioxid hergestellt werden und unter anderem von der Mineralölindustrie als umweltfreundliche Alternative gepriesen werden. Demgegenüber kamen zuletzt mehrere wissenschaftliche Studien zum Schluss, dass synthetische Kraftstoffe in nächster Zeit aus Kosten- und Effizienzgründen für Personenwagen keine Alternative sind, um den Klimawandel einzudämmen.
Das Problem: Mit viel Energie aus Wasserstoff hergestellte E-Fuels schneiden derzeit ähnlich schlecht wie fossile Treibstoffe ab. Autos mit E-Fuels könnten dereinst nur klimaneutral betrieben werden, wenn das synthetische Benzin vollkommen mit erneuerbarem Strom erzeugt würde. Allerdings fallen bei der Herstellung und Nutzung von E-Fuels sehr hohe Wirkungsverluste an und erneuerbarer Strom ist Mangelware.
Der offene Brief wurde von der «Internationalen Vereinigung zur Erforschung nachhaltiger Antriebs- und Fahrzeugtechnik» (IASTEC) verschickt. Er soll das geplante Verbrenner-Aus in der EU in letzter Minute abwenden oder verzögern. Dies käme den Herstellern von E-Fuels entgegen, die wohl noch Jahre brauchen werden, um synthetische Kraftstoffe für Autos in ausreichenden Mengen marktreif und bezahlbar zu machen.
«Der aktuelle ist nicht der erste Brief, den Forscherinnen und Forscher unter dem Label IASTEC veröffentlichen. Bereits vor einem Jahr warnten sie davor, dass das Potenzial zur Reduktion von Treibhausgasen von E-Autos aufgrund eines Rechenfehlers viel zu hoch berechnet worden sei», ruft das deutsche Techportal heise.de in Erinnerung. Zahlreiche andere Experten widersprachen damals dieser Einschätzung und gingen mit den Absendern des offenen Briefes hart ins Gericht. Professor Christian Rehtanz von der Technischen Universität Dortmund entgegnete:
Der deutsche Wirtschaftswissenschaftler und Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer schrieb bereits zum ersten Brief auf Twitter: «Steinalter Wein in noch älteren Schläuchen. Ewiggestrige Diesel-Fanatiker vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) versuchen mal wieder den Verbrennungsmotor zu retten.»
Die Kritik richtete sich insbesondere an Thomas Koch, Leiter des Instituts für Kolbenmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Sprecher der IASTEC. Koch und mehrere Mitarbeiter seines Instituts gehören auch zu den Mitunterzeichnern des neuen Briefes.
Auch die Gegenseite lobbyiert in Brüssel: Ein Bündnis aus verschiedenen Unternehmen, darunter die Autohersteller Ford und Volvo, hat sich in einem Appell an die EU gewandt, sich aber für ein Verbrennerverbot ausgesprochen.
Der CDU-Europaabgeordnete Jens Gieseke sagte gegenüber «Focus», es werde derzeit «massiv lobbyiert». Die Aktivitäten seien extrem – von allen Seiten.
Das EU-Parlament will noch diese Woche darüber abstimmen, ob Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 aus dem Handel genommen werden. Unabhängig davon hat sich die Auto-Industrie inzwischen auf das Elektroauto festgelegt – zumindest in den zentralen Märkten Europa, Nordamerika und China. Der grösste Autohersteller Europas, Volkswagen, hat bereits im Juli 2021 verkündet, in Europa «zwischen 2033 und 2035 aus dem Geschäft mit Verbrenner-Fahrzeugen» auszusteigen.
Andere Hersteller werden in der EU noch deutlich früher auf Verbrennungsmotoren verzichten. Opel wird bereits 2028 vollelektrisch. Ford, Fiat, Peugeot und Volvo stampfen Benzin- und Hybridfahrzeuge bis 2030 ein. Mini soll ab 2031 die erste rein elektrische Marke des BMW-Konzerns werden.
Zudem haben auch Mercedes, Renault, General Motors und viele andere verkündet, dass sie auf das E-Auto setzen werden. Einige Hersteller wie Toyota, BMW und Hyundai halten sich die Türe für alternative Antriebe hingegen noch offen, setzen aber ebenfalls verstärkt auf Elektroautos.
Die Flucht aus dem Verbrenner hat handfeste Gründe: Aufgrund der verschärften CO2-Gesetze und neuer Abgasnormen der EU lohnt sich die Entwicklung neuer Diesel- und Benzin-Autos früher oder später schlicht nicht mehr. Schon mit den aktuellen CO2-Grenzwerten drohen jährlich milliardenschwere Strafzahlungen, da sich die Grenzwerte auch mit optimierten Benzin- und Dieselmotoren nicht mehr einhalten lassen. Die Autobauer kommen mit der Elektrowende also einem drohenden Verkaufsverbot für Verbrenner zuvor. Audi hat deshalb vor einem Jahr einen Entwicklungsstopp für neue Verbrennungsmotoren verkündet. Ab 2033 wolle man keinen einzigen Verbrenner mehr bauen.
Die EU-Kommission und der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments haben das Verbrennerverbot für neue Personenwagen und kleine Nutzfahrzeuge bereits befürwortet. Konservative und teils auch liberale EU-Parlamentarier wollen es noch abwenden.
Am Trend zum E-Auto dürfte dies wenig ändern. Die allermeisten Automobilhersteller sind längst auf dem E-Mobility-Kurs und haben wenig Interesse, mehrere Technologien gleichzeitig zu unterstützen. Zudem weiss die Branche nur zu gut: Wenn die EU das Verbrennerverbot ab 2035 nicht beschliesst, werden einzelne Länder, Regionen und Grossstädte selbst weitere Massnahmen gegen Diesel und Benziner erlassen.
Norwegen etwa will bereits ab 2025 keine Neuzulassungen von Benzin- und Dieselautos mehr genehmigen. Der Plan scheint aufzugehen: 2021 waren 65 Prozent der verkauften Neuwagen Elektroautos, in diesem Jahr wird die Marke von 80 Prozent angestrebt.
Power to X und Biomasse haben grosses Potenzial, aber wenn man realistisch ist, lohnt sich das v.a. für die chem. Industrie die auf Kohlenwasserstoffe angewiesen ist, als Speicher für Solarenergie und eventuell als treibstoffquelle für den Flugverkehr, obwohl wir da auch viel sparen müssten.
Was ist denn das für ein Argument? Mal abgesehen davon, dass es nicht stimmt (wir wissen schliesslich auch 140 Jahre nach der Erfindung des Verbrennerautos noch, wie man Pferde füttert und ein Aquadukt könnten wir sogar noch 2000 Jahre nach den Römern weiterhin bauen) wäre es auch nicht weiter schlimm, wenn Knowhow über eine Technologie verloren geht, die sowieso überholt ist.
Meiner bescheidenen Meinung nach sollten E-Fuels nicht nur für Oldtimer und Spezialfahrzeuge erforscht und eingesetzt werden, sondern generell genutzt werden dürfen, solange sie durch erneuerbare (überschüssige) Energie hergestellt werden.
Hierzu könnte ein System, vergleichbar zu der noch knapp bekannten Mittagssperre für Waschmaschine, Tumbler und co zum Einsatz kommen.