Am Dienstagabend wirkte es plötzlich, als wäre alles in bester Ordnung: Fraktionschef Ralph Brinkhaus sprach bei der ersten Sitzung der Unionsfraktion im Bundestag mit ausgeruhter Stimme zu den Abgeordneten. Hinter ihm sassen die Chefs von CDU und CSU Armin Laschet und Markus Söder. Beide sahen zufrieden aus.
Doch statt Harmonie hätte es beinahe eine Schlammschlacht gegeben: Erst kurz vor der Sitzung hatten sich Laschet und Söder mit Brinkhaus darauf geeinigt, dass dieser seinen Job vorerst behalten darf. Der Fraktionschef wird eigentlich jedes Jahr neu gewählt. Brinkhaus wollte erneut für zwölf Monate kandidieren, Laschet wollte, dass er nur kommissarisch im Amt bleibt. Jetzt wird Brinkhaus erst mal für ein halbes Jahr die Geschäfte weiterführen.
Man könnte glauben: Alles wie immer, der Ausgleichspolitiker Armin Laschet hat mal wieder einen Kompromiss gefunden, alle sind zufrieden.
Doch der Eindruck trügt. Denn sollten die Ampel-Ambitionen von SPD, Grünen und der FDP erfolgreich sein, gibt es praktisch nur noch ein Amt mit Einfluss in der CDU: das des Fraktionsvorsitzenden. In wenigen Wochen könnte Brinkhaus, ein Mann, den fast niemand in Deutschland kennt, der mächtigste Politiker der Union sein.
Auch deshalb hatte mancher erwartet, dass es zur offenen Revolte in der Fraktion kommt, Kampfkandidaturen von Jens Spahn oder Friedrich Merz galten als realistisch. Doch sie blieben aus. Armin Laschet gelang es, den offenen Aufstand zu verhindern. Es ist ein kleiner Teilsieg für ihn an diesem Dienstag.
Das liegt aber weniger an der plötzlichen Friedfertigkeit seiner Parteifreunde, sondern vielmehr an der puren Panik vor dem Machtverlust: Sollten die Ampel-Koalitionsgespräche nämlich doch scheitern und Armin Laschet wäre durch einen ermüdenden Kampf in der Fraktion völlig beschädigt, hätte man in der CDU und CSU gar keine Chance mehr auf prestigeträchtige Ministerposten. Wie solle man mit der Union verhandeln, wenn diese in Trümmern liege, fragt man sich nicht nur in der FDP.
Deswegen: Lieber keine Revolte, erst mal abwarten, wie es weitergeht – das ist die Losung in diesen Stunden bei der Union.
Intern brodelt es aber gewaltig. Ein Abgeordneter, der bei der Sitzung teilnahm, simst über Laschet: «Erst mal Glück gehabt. Aber er wirkt sehr kraftlos.»
Laschet selbst sagte in der Fraktion: „Niemand hat das Recht, sich zum Hauptwahlsieger zu erklären“, daraufhin platzte Fraktionsvize Gitta Connemann der Kragen: «unverhohlene Kritik-Fraktion».
Und dann ist da ja auch noch Markus Söder. Der CSU-Chef hat seine kurz vor der Wahl selbst auferlegte Freundlichkeit wieder abgelegt. In bewährter Manier stichelte er gegen Armin Laschet und erklärte, eine «Gratulation an Olaf Scholz ist unter Demokraten ganz normal». Laschet hatte Scholz bislang nicht gratuliert, sondern darauf verwiesen, dass man auch als Zweitplatzierter eine Regierung führen könne.
Söder dreht mit seiner Kritik noch nicht voll auf, weil er noch eine kleine Restchance auf den Machterhalt der Union sieht: Sollten die Ampel-Verhandlungen scheitern (und nur dann), stünde man für eine Jamaika-Koalition bereit, erklärte der CSU-Chef.
Demzufolge wirkt Laschets Teilsieg in der Fraktion nur logisch. Aber ob er ihm viel bringt?
Am Dienstagnachmittag geisterte plötzlich das Gerücht durch Berlin, Söder könnte selbst Kanzler werden, wenn er die Jamaika-Sondierungen führt. Damit wären auch die Grünen befriedet, die sich schwertun könnten, Laschet in den Kanzlersessel zu befördern.
In der CSU gilt das bestenfalls als gutes Gerücht, doch es zeigt: In der Union ist man offenbar zu vielem bereit, wenn sich damit das Kanzleramt sichern lässt.
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