In den letzten Wochen war die politische Stimmung in den USA und im Westen im linksliberalen Lager zappenduster: Die Rechte gab sich siegessicher, ja euphorisch. Donald Trump schien nicht nur mit einem, sondern mindestens eineinhalb Beinen im Weissen Haus zu stehen. Schliesslich wurden fast täglich Umfragen veröffentlicht, die den Ex-Präsidenten in Führung zeigten – vor allem in den Swingstates.
Selbst wichtige Exponenten der Mainstream-Medien liessen sich von der rechten Euphorie anstecken. Der «Economist» beispielsweise schlug zeitweise geradezu apokalyptische Töne an. Hierzulande stiess etwa die «NZZ am Sonntag» ins gleiche Horn und widmete Donald Trump Superstar gleich eine Doppelseite, begleitet vom unterschwelligen Kommentar: Der Tattergreis Biden werde es leider nicht mehr richten, er sei weniger «authentisch» als Trump.
Kopf hoch. Noch ist die Zeit nicht gekommen, um uns an Anti-Depressions-Pillen zu verschlucken. Auf der anderen Seite des Atlantiks zeichnet sich ein Stimmungsumschwung ab. So sieht eine am Dienstag von der Quinnipiac University durchgeführte Umfrage – Quinnipiac-Umfragen gelten als seriös – Biden wieder mit sechs Prozentpunkten in Führung.
Ist das bereits ein Vorbote einer Trendumkehr? Durchaus möglich. Für diese Trendumkehr gibt es mindestens zehn Gründe. Hier sind sie:
Die amerikanische Wirtschaft hat nicht nur die vielfach prophezeite Rezession vermieden. Sie befindet sich nicht einmal in einer sogenannten «Goldilock»-Phase, will heissen, nicht zu heiss und nicht zu kalt. Gemäss Paul Krugman, Wirtschaftsnobelpreisträger und Kolumnist in der «New York Times», feuert sie derzeit auf allen Zylindern: «Das ist wohl die beste Wirtschaft, die wir seit den späten Neunzigerjahren hatten», stellt er fest und verweist darauf, dass das Bruttoinlandprodukt im letzten Jahr um 3,3 Prozentpunkte gewachsen ist, die Inflation sich beinahe wieder auf dem Normalzustand befindet, millionenfach Jobs geschaffen wurden – im Januar waren es erneut 353’000 – und die Finanzmärkte boomen.
Trump und das konservative Lager wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Die Bidenomics als schlechteste Wirtschaftspolitik aller Zeiten zu verdammen, wird angesichts der Fakten ziemlich schwierig. Selbst die Nummer mit dem Benzinpreis verliert an Wirkung. Der Ex-Präsident tut daher, was er immer tut: Er prahlt und lügt. Der Börsenboom sei ihm geschuldet, behauptet Trump dreist. Die Finanzmärkte würden bereits seinen Wahlsieg einpreisen. Und das Jobwunder, das gebe es gar nicht. Die Arbeitslosenzahlen seien gefaket.
Geld ist in US-Wahlen von entscheidender Bedeutung. Biden wird im Wahlkampf deutlich mehr davon ausgeben können als Trump. Die juristischen Probleme lassen die Reserven des Ex-Präsidenten schmelzen wie Schnee an der Sonne. Soeben wurde bekannt, dass der Ex-Präsident allein im letzten Jahr rund 50 Millionen Dollar für Anwaltskosten ausgeben musste. Im laufenden Jahr dürfte die Summer noch höher ausfallen, schliesslich hat er immer noch vier Strafprozesse ausstehend.
Anwaltskosten sind das eine, Bussgelder das andere. Ein Geschworenengericht in New York hat Trump zu einer 83-Millionen-Zahlung wegen Verleumdung an E. Jean Carroll verdonnert. Fünf Millionen Dollar Schadenersatz beträgt die Summe aus einem früheren Prozess gegen die Journalistin, die Trump gemäss einem Gerichtsurteil sexuell missbraucht und später diffamiert hat.
Das ist erst die Spitze des Eisbergs. Im Zivilprozess wegen untreuer Geschäftsführung ist Trump von einem Richter in Manhattan bereits schuldig gesprochen worden. Allgemein wird jetzt erwartet, dass er auch dafür eine gigantische Busse bezahlen muss. Die Schätzungen gehen über 300 Millionen Dollar hinaus. Das Urteil wird täglich erwartet.
Um diese gewaltigen Summen zu stemmen, greift Trump teilweise auf das Geld zurück, das für seine Wiederwahl gespendet wird. Das wird seine und auch die Kampagne der republikanischen Abgeordneten und Senatoren empfindlich schwächen. Wie erfreut die vielen Kleinspender sind, steht auf einem anderen Blatt.
Nicht nur juristisch, auch politisch hat Trump derzeit sehr viel Ärger mit Frauen. Nikki Haley, seine ehemalige Uno-Botschafterin, ist die einzige verbliebene Rivalin innerhalb der Grand Old Party (GOP). Obwohl sie in den Umfragen meilenweit zurückliegt, weigert sie sich standhaft, aufzugeben. Das setzt dem Ex-Präsidenten sichtbar zu. Haley legt nämlich endlich den Finger dorthin, wo es ihm wehtut: auf sein Alter und seinen Geisteszustand.
Um sein Alter zu übertünchen, muss Trump sein Gesicht orange anmalen und seine spärlichen Haare stundenlang so büscheln, dass man seine Beinahe-Glatze nicht sieht. Das kriegt er bisher gerade noch hin. Was der Ex-Präsident jedoch immer schlechter verheimlichen kann, ist seine sich abzeichnende Altersdemenz. «Trump ist nicht mehr der, der er 2016 war», betont daher Haley – und treibt damit ihren Ex-Boss zur Weissglut.
Eugene Robinson, Kolumnist bei der «Washington Post», bringt es auf den Punkt: «Zu versuchen, zwei der beliebtesten Phänomene der amerikanischen Kultur – Taylor Swift und die Superbowl – zu dämonisieren, ist eine verrückte politische Strategie. Das bedeutet auch, dass die MAGA-Meute kollektiv den Verstand verloren hat.»
Die in den letzten Tagen gegen den beliebtesten Popstar der Gegenwart und ihren Freund Travis Kelce, einen Football-Star, entfachte Hetzkampagne ist tatsächlich auf eine Art und Weise absurd, die sich nicht mehr in Worte fassen lässt und sich – wenn überhaupt – höchstens als Symptom einer sich abzeichnenden Panik bei Trump, Fox News und den zugewandten Orten interpretieren lässt. Die Kampagne dürfte Trump massenhaft Stimmen bei der Generation Z und den Millennials kosten.
Wenn wir schon beim Wahnsinn sind: Auch die von Trump angefeuerten Impeachment-Verfahren gegen Joe Biden und dessen Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas gehören in diese Kategorie. In beiden Fällen gibt es keinen einzigen Beweis für ein fehlbares Verhalten. Beide haben weder Verrat, Bestechung noch «other crimes and misdemeanors» begangen, wie es jeweils heisst.
Um seine beiden Impeachment-Verfahren zu verzwergen, drängt Trump die Abgeordneten der GOP trotzdem darauf, diese Verfahren durchzupeitschen. Er stösst damit selbst seinen Sympathisanten vor den Kopf, so etwa den Verfassungsjuristen Jonathan Turley, der ihn im zweiten Verfahren verteidigt hatte und ihn jetzt offen kritisiert.
Die Republikaner stehen eigentlich kurz vor einem grossen Sieg. Um das Chaos an der Grenze in den Griff zu bekommen und die Hilfe an die Ukraine zu sichern, sind Biden und die Demokraten bereit, einem Gesetz zuzustimmen, das ein viel härteres Verfahren gegen Immigranten ermöglichen würde. Es wird wahrscheinlich nicht zustande kommen. Trump hat bereits erklärt, dass er es ablehnen wird, und die republikanischen Schafe im Abgeordnetenhaus werden ihm wahrscheinlich willig folgen.
Trump will auf jeden Fall verhindern, dass das Chaos an der Grenze aufhört, denn er will dies zum zentralen Thema seiner Kampagne machen. Das bedeutet konkret: Aus rein persönlichen Gründen nimmt er billigend in Kauf, dass weiterhin Zehntausende sterben, weil Fentanyl – eine Droge, die weit stärker ist als Heroin – mehr oder weniger ungehindert über die Grenze geschmuggelt werden kann.
Mit diesem unverantwortlichen Handeln treibt Trump nicht nur die unabhängigen Wähler ins Biden-Lager, er treibt auch die eigenen Leute zur Verzweiflung. So klagt etwa Chip Roy, ein republikanischer Hardliner aus Texas: «Ich begreife beim besten Willen nicht mehr, weshalb ich mir noch die Mühe mache, Wahlkampf zu betreiben, Geld aufzutreiben, Veranstaltungen zu besuchen, mit Menschen zu sprechen, um dann nach Washington zu reisen zu einer Partei, die angeblich für etwas steht – und rein gar nichts dafür tut.»
Ebenfalls ins Kapitel «Chaos kreieren» gehört Trumps Versuch, einen Budget-Deal zu vereiteln. Bisher hangeln sich die Republikaner von Notlösung zu Notlösung. Doch demnächst schlägt die Stunde der Wahrheit, will heissen, ein reguläres Budget muss verabschiedet werden. Der Ex-Präsident stachelt die republikanischen Abgeordneten an, ihre minimale Mehrheit dazu zu nutzen, das zu verhindern und sich einem Deal zu verweigern, den der ehemalige Speaker Kevin McCarthy bereits mit dem Weissen Haus abgeschlossen hatte. Er wurde deswegen von den eigenen Leuten aus dem Amt gejagt.
Mike Johnson, McCarthys Nachfolger, war bisher ein frömmelnder Hinterbänkler und gilt als trump-hörig. Ihm ist zuzutrauen, dass er tatsächlich den Budget-Deal platzen lässt und damit zwangsläufig einen Shutdown herbeiführt. Das wäre ein Schuss ins eigene Knie. Die bisherigen Shutdowns haben den Republikanern geschadet und den Demokraten genützt.
Der Begriff «Infrastruktur-Woche» wurde in der Amtszeit von Trump zu einem Witz. Es blieb stets bei der Ankündigung. Konkret blieb von der dringend notwendigen Erneuerung der amerikanischen Infrastruktur null, zero, nilch. Ganz anders Joe Biden. Ihm ist es gelungen, das bislang grösste Infrastruktur-Programm durch den Kongress zu peitschen. Jetzt kann er die Früchte geniessen. Während Trump seine Zeit mit gehässiger Miene in Gerichtssälen verplempern muss, kann Biden strahlend eine neue Brücke und Fabriken einweihen und dabei stets darauf hinweisen, dass er mittlerweile rund 800’000 gut entlohnte Industrie-Jobs geschaffen hat.
Ebenso wird Obamacare für Trump zunehmend zu einem Desaster. In seiner Amtszeit hat er es nicht geschafft, dieses von ihm gehasste Krankenkassen-Gesetz zu kippen, obwohl es damals noch in vielen Kreisen unpopulär war. Inzwischen wird Obamacare jedoch von einer überwiegenden Mehrheit begrüsst. Und was will Trump? Es wieder abschaffen.
Noch krasser ist Trumps Verhalten bezüglich der Abtreibung. Immer wieder prahlt er damit, dass er es war, der drei konservative Oberste Richter ernannt hatte, und dass es deswegen möglich war, «Roe v. Wade» zu kippen. Dieses Urteil des Supreme Court hat ein halbes Jahrhundert lang das Recht auf Abtreibung landesweit sichergestellt. Nun ist die rechtliche Situation diesbezüglich von Bundesstaat zu Bundesstaat verschieden.
Eine überwiegende Mehrheit der Bevölkerung und vor allem die Frauen wollen am Recht auf Abtreibung festhalten. Nicht so die Republikaner und Trump. Und dies, obwohl sie deswegen in den letzten Jahren Schlappe für Schlappe einfahren mussten und ihnen dieses Thema auch 2024 zum Verhängnis werden könnte.
Trump und die GOP lässt dies offenbar kalt. Bereits ist durchgesickert, dass Rechtskonservative an einem Gesetz basteln, das die Abtreibung landesweit verbieten würde und das bei einem Wahlsieg Trumps umgehend installiert würde.
Trump rühmt sich damit, dass es in seiner Amtszeit zu keinen namhaften Kriegen gekommen sei. Wie weit dies zutrifft und wie weit dies sein Verdienst ist, bleibt umstritten. Unbestritten jedoch ist, dass er die NATO geschwächt und Diktatoren wie Putin, Xi Jinping und Kim Jong Un Zugeständnisse gemacht hat. Das betont sein ehemaliger Sicherheitsberater John Bolton in einem Gastkommentar im «Wall Street Journal».
Bolton schreibt: «Als ich 2018 Trumps nationaler Sicherheitsberater wurde, dachte ich mir, dass das Gewicht der Verantwortung selbst ihn disziplinieren würde. Ich habe mich geirrt. Seine erratische Art zu regieren und seine gefährlichen Ideen stellen eine grosse Gefahr für die amerikanische Sicherheit dar.» Für die Jüngeren unter euch: Rechts von Bolton stand lange nur die Wand.
Nach dem Corona-Lockdown witterten die Konservativen Morgenluft. Mit Glenn Youngkin kam im Bundesstaat Virginia ein Gouverneur ins Amt, der zwar ihre Werte verkörperte, bei dem man jedoch nicht um die Zukunft der Demokratie fürchten musste. Derweil war Florida unter Ron DeSantis im Begriff, sich zu einem Gegenentwurf von Kalifornien und damit zu einem republikanischen Musterstaat zu entwickeln.
Youngkin ist es nicht gelungen, bei den Wahlen im letzten Jahr eine Mehrheit im Kongress von Virginia zu erringen. DeSantis ist als Trump-Alternative brutal abgestürzt. Die Sterne der beiden Hoffnungsträger sind verglüht. Der GOP bleibt der Ex-Präsident. Dieser hat die Partei in einen Kult verwandelt. Es ist daher nicht die Stärke der Demokraten, es ist der jämmerliche Zustand der Republikaner, der sie zu Losern macht.
Wer absurde Kulturkriege führt und keine Errungenschaften vorweisen kann, und wer sich politisches Chaos und wirtschaftliche Krisen herbeiwünscht, wie dies Trump tut, der ist im Begriff, im kommenden November zu scheitern und gegen eine Wand zu fahren.
Ein leider sehr grosser Wähleranteil in den USA lässt sich nicht von Fakten leiten.
Ich hoffe innigst, dass es im November 2024 anders kommt und dieser Artikel recht behält.
Die EU sollte das ernst nehmen und sich auf Alles vorbereiten.
Biden und seine Leute machen einen hervorragenden Job und die Spinner in der GOP sehen nur eine Möglichkeit ihn auszubremsen indem sie alles torpedieren und das Land an die Wand fahren. Ihr einziges Argument ist Bidens Alter und sein angeblich schlechter Geisteszustand, ein Sprachfehler soll als "Beweis" gelten, dabei steht diesbezüglich Trump viel schlechter da. Geistig und intellektuell ist Biden Trump um Lichtjahre voraus hinzu kommt seine Erfahrungen als Kongressmitglied und Vize. Die Dems werden die GOP zerlegen, Trump wird entschuppt und entgrätet serviert.