Wenn man eines aus den Umwälzungen in Syrien lernen kann, dann ist es das: Die Entwicklung von Kriegen lässt sich nicht vorhersagen. Das sollten sich nicht nur alle Nahost-Experten hinter die Ohren schreiben, sondern auch all jene, die bereits zu wissen meinen, wie der Krieg in der Ukraine ausgeht.
In Syrien ändert die Lage praktisch stündlich, deshalb ist es schwierig, sich einen Überblick zu verschaffen. Dennoch lassen sich ein paar Tatsachen schon jetzt festhalten: Die brutale Diktatur des Assad-Clans ist nach 54 Jahren zu Ende. Ob der Bürgerkrieg damit ebenfalls bald der Vergangenheit angehört, bleibt dagegen ungewiss. Denkbar ist auch, dass die verschiedenen Gruppen von Aufständischen schon bald übereinander herfallen werden.
Klar erscheint hingegen, wer zu den grossen Verlierern zählt: Es sind neben der Assad-Familie der russische Diktator Putin, der seine einzige Marinebasis am Mittelmeer zu verlieren droht; ausserdem die Regierung im Iran und deren Terrormiliz Hisbollah im Libanon. Sollten die Russen aus ihrem syrischen Kriegshafen in Tartus abziehen müssen, stünde die russische Expansionspolitik im Nahen Osten vor einem Scherbenhaufen.
Ein Schock ist der Vormarsch der mehrheitlich sunnitisch-islamistischen Rebellen auch für Teheran. Die Landbrücke, die das schiitische Mullah-Regime im Iran via Irak und Syrien mit der Hisbollah im Libanon verband, ist nun Geschichte. Und damit ist auch die sogenannte Achse des Widerstands gegen Israel zerbrochen.
Der Siegeszug der syrischen Aufständischen zeigt in dramatischer Weise, dass Irans Revolutionsgarden und deren ausländische Verbündete militärisch nichts anderes als Papiertiger sind. Teheran hat sich mit der Aufrüstung seiner Raketenstreitkräfte verspekuliert. Das rächt sich nun, weil es seine Bodentruppen und die Luftwaffe vernachlässigt hat. Im Kampf gegen Israel und die syrischen Aufständischen sind diese weitgehend impotent.
Iran konnte weder die Hamas im Gaza-Streifen retten noch die viel stärkere Hisbollah im Libanon. Diese ist ab sofort von jedem Nachschub auf dem Landweg abgeschnitten. Der Ausblick für die schiitischen Terroristen ist nach all den militärischen Rückschlägen düster. Ob die iranischen Mullahs dieses Desaster überleben, wird die Zukunft zeigen.
Nicht ganz so eindeutig präsentiert sich die Bilanz für Israel: Natürlich sind das Ende der Widerstandsachse und die Isolierung der Hisbollah gute Nachrichten für Jerusalem. Doch nach Assads Sturz stellen sich viele Fragen: Was passiert mit den Chemiewaffen und den Trägersystemen des syrischen Regimes? Und wie werden sich die Islamisten der federführenden Rebellenallianz Hayat tahrir asch-Scham (HTS, Organisation für die Befreiung der Levante) gegenüber Israel verhalten?
Bereits hat Israel eine Chemiewaffenfabrik des Assad-Regimes bombardiert, um zu verhindern, dass Massenvernichtungswaffen in die Hände der Aufständischen fallen. Ausserdem richtet die israelische Armee am Fuss der Golanhöhen eine Pufferzone ein. In früheren Phasen des syrischen Bürgerkriegs liess Israel verwundete Rebellen in seinen Spitälern behandeln.
Was aber ist von HTS-Anführer Abu Mohammed al-Dschulani zu halten? Er kämpfte im Irak als Dschihadist gegen die Amerikaner und war später Anführer des syrischen Ablegers von Al-Kaida. Seine Familie stammt ursprünglich von den israelisch besetzten Golanhöhen.
2016 sagte er sich von Al-Kaida los, nachdem sich seine Kämpfer schon längere Zeit heftige Gefechte mit der Terrororganisation Islamischer Staat geliefert hatten. Mit der Absage an Al-Kaida wandelte sich Dschulani vom Anhänger des global agierenden Dschihadismus zum nationalistischen Dschihadisten. Nach wie vor brandmarken die USA aber sowohl ihn als auch die HTS als Terroristen.
Dschulani hat es die HTS zu verdanken, dass sie sich zu einer im syrischen Kontext vergleichsweise gut trainierten und disziplinierten Truppe entwickelte. Ausgehend von den Erfahrungen im Ukraine-Krieg setzte die Rebellenallianz auch auf Kampfdrohnen, mit denen sie den korrupten und demoralisierten Assad-Truppen stark zusetzten.
Neu ist für Syrien die Gnade, welche HTS-Kämpfer der Zivilbevölkerung in den eroberten Gebieten und sogar sich ergebenden Regierungssoldaten angedeihen liessen. Dschulani appellierte an seine Kämpfer, die Häuser von Zivilisten nicht anzutasten und Minderheiten wie Kurden oder Alawiten, die Volks- und Religionsgruppe des Assad-Clans, in Ruhe zu lassen.
Ganz anders verhielt sich die von der Türkei abhängige Syrische Nationale Armee (SNA), die im Norden des Landes vor allem gegen die kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) kämpft. Die Rebellen der SNA, die ebenfalls mehrheitlich aus Islamisten bestehen, sind berüchtigt für Brutalität und schlechte Disziplin.
Der türkische Präsident Erdogan setzt sie in Syrien gegen die SDF ein, die – vereinfacht ausgedrückt – ein Ableger der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) sind. Die PKK gilt in der Türkei und in der EU ebenfalls als Terrororganisation.
Was viele im Westen nicht wissen: Dieses Jahr gab es mehrfach Gespräche zwischen der kurdischen Führung der SDF und der HTS. Ausserdem belieferten die SDF Gebiete unter Kontrolle der HTS mit Erdölprodukten. Einer der vielen Gründe für den wirtschaftlichen Absturz des Assad-Clans ist eben auch die Kontrolle der syrischen Erdölfelder im Nordosten durch die SDF. Dass diese Felder weiter von den Kurden ausgebeutet wurden, dafür sorgten auch amerikanische Truppen.
Ausserdem unterhalten die USA einen kleinen Stützpunkt am Dreiländereck zwischen Syrien, Irak und Jordanien. Die Revolutionäre Kommandoarmee in der kleinen Ortschaft Tanf hat von dort mit diskreter Rückendeckung der USA inzwischen den wichtigen Verkehrsknotenpunkt Palmyra erobert. Und ganz im Süden operiert eine gemischte Gruppe aus Arabern und Drusen, die angeblich via Jordanien auch von Grossbritannien unterstützt wird.
Dschulani propagiert inzwischen ein föderales System, das die Rechte von Kurden, Drusen und Alawiten gegenüber der sunnitisch-arabischen Mehrheit garantieren soll. Ob das wirklich sein Ernst ist, kann nur die Zukunft zeigen. Die HTS scheint sich von der Türkei zunehmend abzunabeln und in Konkurrenz zur SNA zu treten.
So gesehen ist es noch unklar, ob der türkische Präsident Erdogan auch noch am Ende zu den Gewinnern der Umwälzungen zählen wird.
(aargauerzeitung.ch)
die nächste Zeit wird interessant werden. gibt es ein Afghanistan 2.0 oder kann man den vernüftig klingenden Worte trauen.
Bei der SVP hängen die Fahnen auch auf Halbmast. Die SVP steht auf der Seite Putins. Die SVP will schon lange alle Sanktionen aufheben. Auch pilgern ständig Exponenten nach Moskau. Geht es Russland schlecht, geht es der SVP auch nicht so gut.
Kopf hoch, Jungs. Man kann nicht immer gewinnen.