Bei den Protesten gegen das umstrittene Auslieferungsgesetz in Hongkong ist es am Mittwoch erneut zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Die Sicherheitskräfte setzten Pfefferspray und Schlagstöcke gegen Demonstranten ein.
Die Zusammenstösse begannen am Nachmittag kurz nach 15.00 Uhr (Ortszeit, 09.00 Uhr MESZ). Die Demonstranten hatten den Behörden bis dahin Zeit gegeben, das geplante Gesetz, das Auslieferungen auch an das chinesische Festland ermöglichen würde, zurückzuziehen. Am Mittwoch wurde zunächst aber nur die zweite parlamentarische Lesung des Gesetzentwurfs im Hongkonger Legislativrat verschoben.
Zehntausende Menschen hatten vor der geplanten Parlamentssitzung wichtige Verkehrsadern und das Regierungsviertel in Hongkong blockiert. Am Nachmittag versuchten Demonstranten, die sich mit Helmen und Regenschirmen schützten, näher an die Polizeiabsperrungen am Legislativrat heranzukommen.
Sie bewarfen die Polizisten auch mit Wurfgeschossen. Daraufhin setzte die Polizei Pfefferspray und Schlagstöcke ein. «Wir werden nicht gehen, bevor sie das Gesetz fallenlassen», sagte ein junger Mann mit schwarzer Maske und Handschuhen.
«Carrie Lam hat uns unterschätzt. Wir werden sie damit nicht davon kommen lassen.» In dem asiatischen Finanzzentrum geht die Sorge um, dass die geplante Gesetzesänderung den Sonderstatus Hongkongs gefährden könnte und Investoren abschreckt.
Gegen das geplante Gesetz hatten am Sonntag in Hongkong bereits hunderttausende Menschen demonstriert. Die Organisatoren sprachen von mehr als einer Million Teilnehmern. Es war die grösste Demonstration seit der Übergabe der ehemaligen britischen Kronkolonie an China im Jahr 1997.
Die Peking-nahe Regierungschefin Hongkongs, Carrie Lam, kündigte aber an, an dem Gesetzesvorhaben festzuhalten. Verwaltungschef Matthew Cheung verlangte am Mittwoch ein Ende der Strassenblockaden. Er forderte die Demonstranten in einer Video-Botschaft auf, «so viel Zurückhaltung wie möglich zu zeigen», die Demonstration «friedlich» aufzulösen und sich «nicht über das Gesetz hinwegzusetzen».
Bisher hatte Hongkong von Auslieferungen an das chinesische Festland Abstand genommen, weil das chinesische Justizsystem wenig transparent und die Verhängung der Todesstrafe weit verbreitet ist. Die Regierung der Sonderverwaltungszone beteuert zwar, dass China-Kritiker nicht ausgeliefert werden sollen. Viele Menschen in Hongkong trauen diesen Zusagen aber nicht.
Proteste vor Parlament in #HongKong #Extraditionbill #SRFheutemorgen pic.twitter.com/WaabuyGzYD
— Martin Aldrovandi (@martinaldro) 12. Juni 2019
Am heutigen Mittwoch sollte das Stadtparlament in Hongkong in zweiter und dritter Lesung über den Gesetzentwurf der pro-chinesischen Führung beraten. Oppositionsgruppen hatten daher Proteste vor dem Parlamentsgebäude angekündigt. Die Lesungen wurden überraschend vertagt. Die endgültige Abstimmung über das Gesetzesvorhaben war für den 20. Juni vorgesehen. Bisher hatte Hongkong von Auslieferungen an das chinesische Festland Abstand genommen, weil das chinesische Justizsystem wenig transparent und die Verhängung der Todesstrafe weit verbreitet ist.
Bei der Rückgabe von Grossbritannien hatte Peking Hongkong unter der Formel «Ein Land, zwei Systeme» für 50 Jahre weitreichende innere Autonomie zugesagt. In Hongkong gelten daher Grundrechte, die den Bürgern der Volksrepublik vorenthalten werden, etwa Meinungs- und Pressefreiheit. Die Opposition wirft Peking jedoch vor, sich zunehmend in Hongkongs Angelegenheiten einzumischen und damit die Autonomievereinbarungen auszuhöhlen. (sda/afp/dpa/mim)