Manchmal ist es nur ein kleiner Schritt zwischen Erfolg und Absturz. Joe Biden hat dies am Donnerstag im wahrsten Sinn erlebt, wenn auch in umgekehrter Reihenfolge. Nach seiner Rede an der Abschlussfeier der Air Force Academy in Colorado Springs stolperte der 80-jährige US-Präsident auf der Bühne über einen Sandsack und fiel auf den Boden.
Biden war schnell wieder auf den Beinen und offenbar unverletzt. Das Video des Vorfalls verbreitete sich dennoch in Windeseile. Denn es war nicht der erste Stolperer des greisen Präsidenten, der sich immer roboterhafter bewegt. Selbst Kevin O’Connor, der Arzt des Weissen Hauses, räumte ein, Joe Bidens Gang habe sich «versteift».
Ansonsten sei der Präsident aber fit und bei guter Gesundheit, betonte der Doktor. Auch geistig sei er auf der Höhe, obwohl Biden immer wieder Aussetzer unterlaufen. Dennoch stellt sich unweigerlich die Frage, ob der schon heute älteste US-Präsident der Geschichte eine zweite Amtszeit anstreben soll. Seine erneute Kandidatur hat er kürzlich angekündigt.
Joe Biden weiss um seine Schwächen. In Colorado Springs hatte er selber über sein Alter gewitzelt: «Nachdem ich vor 300 Jahren die Highschool abgeschlossen hatte, bewarb ich mich an der Marineakademie.» Seine Mitarbeiter verwiesen darauf, dass er während eineinhalb Stunden allen 921 Luftwaffen-Kadetten persönlich die Diplome überreicht habe.
Aus seinem Umfeld heisst es gemäss Politico, Biden habe mental nicht nachgelassen, doch er ermüde schneller als früher. Deshalb wirke er fragiler, als er tatsächlich sei. Seine Arbeitstage müssten entsprechend angepasst werden. Die Frage nach seinem Alter werde «eine anhaltende Herausforderung sein», meinte der frühere Obama-Berater David Axelrod.
Doch es gibt auch die andere Seite. Sie zeigte sich am Donnerstagabend, als der Senat das Gesetz zur Anhebung der Schuldenobergrenze mit klarer Mehrheit durchwinkte. Damit ist dieses leidige Thema bis nach den nächsten Wahlen abgehakt. Es war ein grosser Erfolg für Präsident Biden – und für Kevin McCarthy, den Speaker des Repräsentantenhauses.
Selbst führende Medien konnten es kaum fassen, dass ein solcher Kompromiss in der heutigen, scharf polarisierten US-Politik noch möglich ist. Er ist ein weiterer Beleg für Joe Bidens Fähigkeit als Dealmaker, die er während mehr als 50 Jahren in Washington beinahe zur Perfektion entwickelt hat. Und vor allem ist er nicht sein einziger Erfolg.
In den weniger als zweieinhalb Jahren seit seiner Vereidigung hat der Demokrat mehrere grosse Vorhaben durch den Kongress gebracht. Dazu gehören das Covid-Hilfspaket, die Reparatur der maroden Infrastruktur, das Gesetz zur Ankurbelung der Halbleiter-Produktion in den USA oder der Inflation Reduction Act mit seinen Sozial- und Klimaschutzprojekten.
Mit seiner anhaltenden finanziellen und militärischen Unterstützung ermöglicht Joe Biden der Ukraine den Widerstand gegen den russischen Aggressor. Denkwürdig war sein Besuch in Kiew im Februar. Erstmals in der Geschichte der Vereinigten Staaten reiste ein Präsident ohne Schutz durch die US-Armee in ein Kriegsgebiet. Vor ihm hatte das keiner gewagt.
Eine derart eindrückliche Bilanz kann wohl kein US-Präsident seit Lyndon Johnsons Bürgerrechts- und Sozialgesetzen in den 1960er-Jahren vorweisen. Dennoch endete Johnson als tragische Figur, weil er die USA immer tiefer in den Sumpf des Vietnamkriegs geführt hatte. Muss Joe Biden ein ähnliches Schicksal wie der Texaner befürchten?
Seine Errungenschaften schlagen sich jedenfalls nicht in den Popularitätswerten nieder. Sie befinden sich auf einem Tiefpunkt. Wegen der Inflation – die zuletzt allerdings rückläufig war – und den gestiegenen Hypothekarzinsen haben sich die Lebensumstände vieler Amerikanerinnen und Amerikaner verschlechtert. Das kreiden sie dem Präsidenten an.
Hinzu kommt die Altersfrage. Joe Biden wäre bei seiner erneuten Vereidigung 82-jährig. Gemäss einer Umfrage von ABC News und «Washington Post» finden 68 Prozent der Amerikaner, er sei zu alt für eine zweite Amtszeit. Selbst eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler der demokratischen Partei würden eine jüngere Alternative vorziehen.
Fragt sich nur, wer das sein soll. Bisher haben sich zwei Personen als Herausforderer bei den Demokraten gemeldet: Marianne Williamson, eine Autorin von Selbsthilfe-Büchern, und der Präsidenten-Neffe Robert Kennedy jr., ein einstmals respektierter Umwelt-Aktivist, der in die Covid-Verschwörungsszene abgedriftet ist. Beide gelten als komplett chancenlos.
Ernsthaftere Herausforderer halten sich zurück. Einige scheinen ihre Ambitionen auf die Wahlen 2028 auszurichten (Pete Buttigieg, Gretchen Whitmer, Raphael Warnock). Im Hintergrund «lauern» könnte Gavin Newsom, der Gouverneur von Kalifornien. Er wurde letztes Jahr klar wiedergewählt und versucht seither, sein nationales Profil zu schärfen.
Solange Joe Biden an seiner erneuten Kandidatur festhält, hat er jedoch kaum etwas zu befürchten. Bei den Republikanern hingegen wagen sich immer mehr Möchtegerns aus der Deckung. Nächste Woche dürften Chris Christie, der frühere Gouverneur von New Jersey, und Ex-Vizepräsident Mike Pence ihre Kandidatur für die Wahl 2024 ankündigen.
Darüber freuen kann sich nur Donald Trump, der auf seine eingeschworene Fangemeinde zählen kann. Und indirekt Joe Biden, denn gegen Trump hätte er intakte Chancen, die Wahl erneut zu gewinnen. Die Aussicht auf einen Rematch zwischen den beiden alten Männern graut längst nicht nur die Amerikaner. Doch der Präsident scheint darauf zu spekulieren.
Falls sich die Inflation und die Zinsen weiter abschwächen, wird ihm das zusätzlich helfen. Zwar droht weiterhin eine Bankenkrise, doch die US-Wirtschaft «weigert» sich bislang hartnäckig, in die prognostizierte Rezession abzugleiten. Und unterschätzen darf man den alten Fuchs Biden ohnehin nicht. Er sollte einfach nicht zu oft auf die Schnauze fallen.
Die Kritiker (insbesondere die Reps) sollten dies bezüglich die Füße still halten, denn sowas wird meist immer weiter hochgepuscht als es nötig ist.