Nicolás Maduro will auch dem Parlament den Strom kappen. Eine kleine Gemeinheit, weil Venezuelas Opposition den Präsidenten per Referendum stürzen will? Der Staatschef des Landes mit den grössten Ölreserven der Welt wirkt zunehmend rat- und hilflos. Seit Sonntag ist sogar an der Uhr gedreht worden, um Strom zu sparen.
Eine halbe Stunde vor, um mehr natürliches Tageslicht zu nutzen. Der drohende Zusammenbruch der Stromversorgung ist nicht die einzige Not. Venezuela gleicht einem Pulverfass. Medikamente und Lebensmittel fehlen, lange Schlangen, immer wieder Plünderungen.
Stundenlange Stromabschaltungen führten in einigen Städten zu Gewaltausbrüchen. Schulen blieben zuletzt freitags geschlossen, Staatsbedienstete mussten vergangene Woche nur an zwei Tagen arbeiten. Einkaufszentren müssen mit Spar- oder keiner Beleuchtung auskommen, viele Fabriken produzieren kaum noch. Das Problem heisst El Guri.
Das Kraftwerk in dem riesigen Stausee hat normalerweise 10'000 Megawatt Leistung, das entspricht sieben Atomkraftwerken. Es versorgt das Land zu fast 70 Prozent mit Energie. Doch die Leistung in dem Kraftwerk ist um über die Hälfte gefallen.
Die Abhängigkeit rächt sich mit einer der schlimmsten Energiekrisen. Hinzu kommen die höchste Inflation der Welt und eine tiefe Rezession.
Von 2014 bis 2015 seien die Jahreseinnahmen aus dem Ölgeschäft von 37,9 auf 12,6 Milliarden US-Dollar abgestürzt, sagte Maduro. Er sieht die Gründe für Krise und enorme Mangelwirtschaft im schwachen Ölpreis – und hält trotzdem an üppigen Sozial- und Wohnungsbauprogrammen fest.
Um die Bürger zu besänftigen, hat er pünktlich zum Tag der Arbeit nun auch eine Erhöhung des Mindestlohns um 30 Prozent verkündet, auf 15'051 Bolívares. «Die 51 sind für einen Extra-Tropfen Kaffee», scherzt er. Denn die Kaufkraft ist rapide gefallen. Je nach Schwarzmarktkurs entspricht der ab sofort geltende Mindestlohn gut 19 Franken – das Geschenk dürfte die Lage kaum bessern. Viele Krisen überlappen sich.
Die Stromkrise könnte der berühmte Tropfen zu viel sein. In der Hafenstadt Maracaibo wurden Strassenbarrikaden errichtet, um gegen das Leben ohne Strom zu protestieren. Der Chef der Nationalgarde, Néstor Reverol, schickte 3500 Soldaten, um der brenzligen Lage Herr zu werden.
Maduro schiebt alle Schuld auf das Klimaphänomen El Niño – hohe Temperaturen liessen den Pegel im Guri-See stark sinken. Die Opposition wettert hingegen gegen lange Misswirtschaft, gegen nicht getätigte Investitionen in neue, moderne Kraftwerke. Und trotz viel Sonne fristen erneuerbare Energie hier ein ziemliches Schattendasein.
Der Ingenieur Jesús Augusto Gómez vom Experten-Netzwerk Grupo Orinoco beobachtet täglich den Pegel, sein aktueller Befund ist dramatisch: 241,41 Meter. «Das ist nur noch 1,41 Meter über der kritischen Grenze von 240 Metern.» Dann ist für die meisten Turbinen Feierabend. Luft ströme ein, es bestehe die Gefahr schwerer Schäden.
Ende der Woche könnte der kritische Pegel erreicht sein. «Dann müssen bis zu acht Turbinen mit einer Leistung von 5000 Megawatt die Arbeit einstellen.»
Und was bringt die Zeitumstellung, auf nur noch sechs Stunden hinter der MESZ? «Der Effekt ist äusserst gering», meint Gómez. Vielleicht könne das den Bedarf an Leistung zu einigen Tageszeiten um 300 Megawatt drücken. «Die ganzen Massnahmen kommen zu spät, um nachhaltige Effekte zu haben.» Dazu gehört auch, dass Frauen auf Geheiss Maduros doch bitteschön vom Föhnen Abstand nehmen sollen.
Es kriselt an allen Ecken. Polar, mit 80 Prozent Marktanteil grösste Brauerei, musste gerade die Bierproduktion einstellen, wegen der Devisenpolitik der Regierung könne man keine Gerste mehr einführen. In wenigen Tagen könnte es daher vielerorts kein Bier mehr geben. Und in der Uniklinik in Caracas demonstrierten die Beschäftigten auf den Balkonen gegen fehlende Medikamente und ausbleibende Bezahlung.
Für Maduro hat längst das politische Endspiel begonnen. Im Dezember hatte die Opposition bei der Parlamentswahl triumphiert, sie will das unter dem 2013 gestorbenen Hugo Chávez begonnene Projekt eines Sozialismus des 21. Jahrhunderts beenden.
Chávez hatte 2007 die jetzt kassierte Zeitzone von 6,5 Stunden hinter der Mitteleuropäischen Sommerzeit eingeführt. Die Rückstellung um eine halbe Stunde wurde damit begründet, dass die Schulkinder dann nicht so früh aufstehen müssten. Spötter sagen, Chávez habe sie angeordnet, damit Venezuela nicht mehr in der gleichen Zeitzone wie Teile der von ihm verachteten USA liege.
1,5 Millionen Unterschriften sammelte die Opposition letzte Woche, damit wird ein Referendum über Maduros Abwahl noch 2016 immer wahrscheinlicher. Käme es jetzt auch noch zu einem grossen Blackout, dürfte das Maduros Chancen auf einem Amtsverbleib nicht erhöhen. (sda/dpa)