Nachdem sie zeitweise wenig Fortschritte verzeichnen konnte, ist die russische Armee vor Charkiw im Nordosten der Ukraine aktuell wieder auf dem Vormarsch. Zuletzt nahmen Putins Truppen die strategisch wichtige Stadt Wuhledar in der Region Donezk ein. Nun rücken die Russen offenbar auf die nächste Stadt im Nordosten des Landes vor: Kupjansk.
Rund um die Stadt hält die ukrainische Armee den russischen Soldaten bereits seit ihrer Gegenoffensive im Herbst 2022 stand. Dort verläuft die Hauptverteidigungslinie vor der rund 80 Kilometer entfernten 1,5-Millionen-Einwohner-Stadt Charkiw. Kupjansk ist durch den Fluss Oskil geteilt, der dem ukrainischen Militär als natürliche Barriere gegen die russischen Angreifer dient.
Doch nun hat das russische Militär die Stadt ins Visier genommen. Laut dem Institute for the Study of War (ISW) greifen die Streitkräfte in den vergangenen Wochen vermehrt in der Umgebung an. Dabei nähern sie sich der Stadt von mehreren Seiten. In den vergangenen Tagen gab es aber in diesem Bereich keine Veränderungen an der Frontlinie.
So führten die Russen am Donnerstag laut dem Lagebericht der Ukraine fünf Attacken aus, vorerst aber ohne weiteren Gebietsgewinn. Weiterhin gibt es aus Kiew wenig Informationen über die Situation bei Kupjansk.
Allerdings hat die russische Armee ihre Angriffe auf Kupjansk schon seit Anfang des Jahres intensiviert. «Russische Kräfte könnten in den kommenden Wochen ihre Anstrengungen verstärken, Kupjansk im Gebiet Charkiw zu erobern», schrieb das ISW bereits im Januar.
Bisher hielt die ukrainische Verteidigung dem stand. Aus dem Norden kommend, hat sich die russische Armee Kupjansk aber offenbar schon genähert. Dort sollen die Panzer laut russischen Militärbloggern nur noch wenige Kilometer entfernt vom Stadtzentrum stehen.
«Russland setzt sich bei Kupjansk, Pokrowsk und Wuhledar langsam und verlustreich durch. Der Ukraine drohen damit Verluste strategischer Wegmarken», schreibt diesbezüglich Nico Lange, Experte für Sicherheitspolitik, auf X. Grosse russische Durchbrüche seien aber vorerst nicht zu erwarten.
Die Ukraine hält weiter Teile des Gebietes Kursk. Russland setzt sich bei Kupjansk, Pokrowsk und Wuhledar langsam und verlustreich durch. Der Ukraine drohen damit Verluste strategischer Wegmarken. Wie ist die Lage und was wird gebraucht? 🧵 pic.twitter.com/XDu7Psdltw
— Nico Lange (@nicolange_) October 2, 2024
Russische Militärblogger berichten zudem von massiven Angriffen der russischen Luftstreitkräfte auf die Region. Sie sollen Gleitbomben FAB-500 und Aerosolbomben ODAB-1500 abgeworfen haben. Speziell Aerosolbomben sind gegen befestigte Ziele effektiv, denn der Brennstoff kann auch in Bunkeranlagen eindringen.
Ähnlich wie Wuhledar kommt auch Kupjansk eine strategische Bedeutung zu. Die Stadt ist ein wichtiger Eisenbahnknoten im Nordosten der Ukraine. So verläuft dort die Bahnstrecke Charkiw – Horliwka, die aktuell wegen der Kampfhandlungen weitgehend ausser Betrieb ist. Sie könnte aber bei einer Frontverschiebung wieder aktiviert werden. Das gilt auch für die Fernstrasse M03. Zudem verläuft von dort aus eine Nationalstrasse bis kurz vor Charkiw.
Vor dem Krieg hatte Kupjansk etwa 30'000 Einwohner. Mittlerweile ist die Stadt aber nahezu vollständig zerstört, es leben nur noch wenige Menschen vor Ort. Die Ukraine hatte Russland 2022 in dieser Region noch erfolgreich zurückgedrängt und bei der sogenannten «Schlacht um Charkiw» triumphiert. Nun könnte Russland zurückschlagen.
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