Olaf Scholz reiste gestern zum ersten Mal als Bundeskanzler nach Moskau. Dies zu einem höchst delikaten Zeitpunkt. Denn die amerikanischen Geheimdienste hatten einen Angriff Russlands auf die Ukraine für nur wenige Stunden später vorausgesagt. Bisher ist es aber nicht zu einer Invasion gekommen. Das russische Verteidigungsministerium vermeldete sogar den Rückzug einiger militärischer Einheiten.
Saskia Esken, Vorsitzende der SPD, jubelte ihren Kanzler bereits hoch. Der Truppenrückzug sei das Ergebnis der Krisendiplomatie der Ampelregierung und von Olaf Scholz, twitterte Esken.
Putin zieht Truppen teilweise ab und zeigt sich „bereit, den Weg der Verhandlungen zu gehen". Das ist das erste Ergebnis einer beeindruckenden Krisendiplomatie der Ampelregierung und des @Bundeskanzler|s.
— Saskia Esken (@EskenSaskia) February 15, 2022
Well done, @OlafScholz 👏🏻 https://t.co/h6vwtKpWhR via @derspiegel
Wie gross Scholz' Anteil an der leichten Deeskalation ist, bleibt jedoch offen. Tatsächlich vermeldete Russland den Truppenabzug bereits vor dem Treffen zwischen Wladimir Putin und Scholz. Zudem lässt der russische Präsident seine europäischen Gesprächspartner auch immer wieder wissen, dass er eigentlich nur mit den Vereinigten Staaten verhandle.
Dennoch wird der Auftritt des Bundeskanzlers in Deutschland wohlwollend kommentiert. Scholz scheue das offene Wort nicht, konstatiert die FAZ. «Starker Auftritt von Kanzler Scholz bei Putin in Moskau», meint die Augsburger Allgemeine.
Kritisiert wurde zunächst, dass Scholz Wladimir Putin nicht widersprach, als dieser behauptete, dass in der Ukraine ein «Völkermord» stattfinde. Auf Nachfrage von Journalisten wurde der Bundeskanzler dann aber deutlich: «Das ist ein heftiges Wort, (...) es ist aber falsch.»
Für Aufsehen sorgten auch zwei subtile Spitzen gegen Putin, die sich Olaf Scholz erlaubte.
Scholz sprach an der gemeinsamen Pressekonferenz über die Nato-Osterweiterung. Dort gebe es unterschiedliche Positionen, so der Bundeskanzler. Die Situation sei aber etwas «eigenwillig», denn die Osterweiterung stehe gar nicht an. «Die steht nicht auf der Tagesordnung. Jeder weiss das ganz genau.»
Darauf setzte der Bundeskanzler zum Seitenhieb gegen den russischen Präsidenten an. Die Osterweiterung sei kein Thema, das den beiden in ihren Ämtern wieder begegnen werde, sagte Scholz und fügte in Richtung Putin schauend an: «Ich weiss jetzt nicht, wie lange der Präsident vorhat, im Amt zu sein. Jedenfalls habe ich das Gefühl, das könnte länger dauern. Aber nicht ewig.»
Damit zielte Scholz auf den autokratischen Regierungsstil des russischen Präsidenten ab. Nach einer Verfassungsreform in Russland könnte Putin bis 2036 Präsident bleiben.
Ein weiteres Thema bei den Gesprächen im Kreml war die «Deutsche Welle», der Auslandsrundfunk der Bundesrepublik Deutschland. Russland erteilte dem Sender vor zwei Wochen ein Sendeverbot. Die Büros in Moskau wurden geschlossen, die Mitarbeitenden mussten ihre Akkreditierung abgeben.
Damit reagierte die russische Regierung auf ein Sendeverbot für das Mitte Dezember gestartete deutschsprachige TV-Programm RT DE des russischen Staatsmediums RT. Die deutschen Behörden verboten die Ausstrahlung, da der Sender nie eine Sendelizenz beantragt hatte und sich stattdessen auf eine serbische Lizenz berufen hatte.
Als Putin über das Verbot von RT DE sprach, antwortet Scholz entschieden und führte die deutsche Rechtsstaatlichkeit an. Es gebe ein «rechtsstaatliches Verfahren, in dem können Anträge gestellt werden, auch solche, die bisher nicht gestellt wurden, und die werden dann ordnungsgemäss von den zuständigen Behörden bearbeitet.» Der Prozess geschehe nach Gesetzen, auf die sich jeder gleichmässig berufen könne.
Ob die Deutsche Welle bald wieder von Moskau aus senden kann, bleibt offen. Es scheint jedoch möglich. Putin sagte, er und Scholz hätten vereinbart, dass man sich Gedanken mache, wie das Problem gelöst werden könne.
Scholz zeigte seine Unterstützung für den Auslandsrundfunk mit einer weiteren subtilen Geste. Die erste Frage an der Pressekonferenz ging an die Journalistin Michaela Kuefner. Sie arbeitet für die «Deutsche Welle».
normalerweise lügt Putin besser und nicht so primitiv und leicht durchschaubar. diese Aussage allerdings unkommentiert stehen zu lassen ist mehr als eine Unterlassungssünde; das ist nur schwach vom Kanzler.